[438] Tiresĭas, ein berühmter Seher der Zukunft, von welchem die griech. Sage erzählt. Er war zu Theben geboren. Einst erblickte er zwei sich begattende Schlangen, schlug mit dem Stock zwischen sie und ward augenblicklich in ein Weib verwandelt. Nach sieben Jahren wurde er durch denselben Zufall ein Mann. Als nun später Jupiter und Juno sich einmal stritten, welches Geschlecht beim Liebesgenusse die höhere Wollust genösse, riefen sie den T., welcher Mann und Weib gewesen, zum Schiedsrichter auf und seine Antwort war: das Weib empfinde zehnfach höhere Luft als der Mann. Juno schlug ihn für diese Entscheidung mit Blindheit, und Jupiter gab ihm dafür zur Entschädigung die Gabe der Weissagung; durch diese rettete er einst seine Vaterstadt, indem er die Schandthaten enthüllte, welche Ödipus (s.d.) unwissend vollbracht hatte, und so den auf Theben lastenden Fluch aufhob, welcher eine schreckliche Pest zur Folge gehabt hatte. T. erreichte ein sehr hohes Alter und kam endlich in dem Kriege der Nachkommen des Ödipus um. Er wurde als Gefangener hinweggeführt und starb bei der Quelle Tilphuse, wo man ihm ein Grabmal errichtete. Da die Beherrscherin der Unterwelt, Proserpina, auch noch dem Schatten des T. die Gabe der Weissagung gegönnt hatte, so ward diesem ein Orakel zu Orchomenos geweiht.