Schlangen

Schlangen

[84] Schlangen (lat. Ophidii) sind eine Classe der Amphibien, welche einen langgestreckten, walzenförmigen Körper [84] haben, dem alle äußern Gliedmaßen, als Beine, Arme oder Flossen, fehlen und die sich dennoch mit ungemeiner Schnelligkeit, Behendigkeit und Geschicklichkeit bewegen können.

Sie können sich um sich selbst und um andere Körper wie Bänder umwinden und schlingen, an Bäumen sich emporranken, sich aufrichten und schnell über den Boden dahinschießen, indem jeder Theil ihres Körpers, wenn er den Boden berührt, wie eine von diesem sich abschnellende Feder wirkt. Das am deutlichsten ausgebildete besondere Organ des ganzen Körpers ist der Kopf. Derselbe ist gegen den Rumpf meistens sehr klein, aber mit einem weitgespaltenen Maule versehen, dessen Kinnladen nur durch elastische Bänder in Verbindung gesetzt sind, sodaß es sich so weit ausdehnen läßt, daß die Schlange Thiere verschlingen kann, deren Umfang bedeutender als ihr eigner ist. Die Augen sind schön und glänzend, Ohren sind äußerlich gar nicht zu sehen. In einer Scheide liegt die Zunge, welche lang und gespalten ist und mit ungemeiner Geschwindigkeit zum Maule sich heraus bewegt, besonders wenn das Thier gereizt ist. In der Kinnlade sitzen Zähne, mit denen die Schlange ihre Beute festhält, nicht aber sie zermalmt oder kaut, denn diese wird ungetheilt verschlungen, nachdem sie die Schlange getödtet und, um leichter verschluckt werden zu können, mit einem schleimigen Speichel überzogen hat. Einige Schlangen haben Giftzähne. Diese stehen vorn, sind ungemein scharf, länger als die übrigen Zähne, hohl und beweglich, sodaß sie von dem Thiere willkürlich eingezogen und hervorgestoßen werden können. Mit der Wurzel stoßen sie auf kleine Bläschen, in denen das aus dem Speichel sich absondernde Gift enthalten ist. Beißt die Schlange, so spritzt durch den Druck aus den Bläschen das Gift in die hohlen Zähne und durch diese in die Wunde. Das Schlangengift ist von besonderer Stärke in heißen Ländern, und wenn die Schlange sehr gereizt war, ist es zuweilen so wirksam, daß es in wenigen Minuten, ja wol schon nach Augenblicken tödtet. Die meisten Schlangen sind mit einer schuppigen Haut überzogen, welche sie alljährlich abstreifen. Von festen knochigen Theilen findet man bei diesen Amphibien nur den Schädel, Wirbelbeine und Rippen. Die Wirbelbeine sind eins in das andere durch in Pfannen liegende Kugeln eingelenkt, gehen vom Kopfe bis zum Schwanze und haben, mit Ausnahme der nach dem Schwanze zu liegenden, nach mehren Richtungen gebogene Rippen. Die Schuppen des Bauches sind breiter und eine ansehnliche Menge. Fett, welches zwischen der Haut und den Eingeweiden liegt, dient diesen zum Schutz. Besonders durch die Anordnung und Färbung der Haut und durch die Größe unterscheiden sich äußerlich die verschiedenen Schlangenarten. Einige erlangen eine Länge von mehr als 30 F. und sind im Stande, einen Stier zu bewältigen, während andere nur einige Zoll lang werden; einige haben eine Haut, die in den buntesten und schönsten Farben prangt, während andere in ein einfarbiges, schmuziges Grau gekleidet sind. Am häufigsten und mannichfaltigsten findet man diese Thiere in den Gegenden der heißen Zone; ebendaselbst findet man auch die schönsten, größten und gefährlichsten. Jenseit des Polarkreises gibt es gar keine Schlangen mehr und bei uns gibt es nur wenige giftige Schlangen. Die meisten Schlangen halten sich am liebsten an feuchten, schattigen und dabei warmen Orten auf. Während der wärmsten Zeit des Jahres besitzen se die größte Lebhaftigkeit und sind also auch am gefährlichsten, wogegen sie zur Zeit des eintretenden Winters immer träger werden und endlich in einen Winterschlaf verfallen, aus dem sie im Frühlinge erwachen, um sich zu häuten. Die in den heißen Gegenden lebenden großen Schlangen kennen keinen Winterschlaf. Dieselben leben fast immer vereinzelt, wogegen die kleinen Schlangen oft in großen Gesellschaften, z.B. untereinander geschlungen in Erdhöhlen angetroffen werden. Obschon alle Schlangen im Wasser leben können, so können sie doch der Luft nicht lange entbehren. Die übelriechende Ausdünstung, welche man bei allen Schlangen beobachtet, kommt daher, daß die ganz unzertheilt mit Haut und Haaren von ihnen verschluckten Thiere in ihrem Magen allmälig in Fäulniß übergehen. Alle Schlangen nähren sich aus dem Thierreiche, aber während die größten Panther und Leoparden verschlucken, begnügen sich die kleinen mit Gewürm und Insekten. Alle Schlangen erzeugen ihre Jungen aus Eiern, aber einige brüten die Eier im eignen Körper aus und bringen dann lebendige Junge zur Welt; diese heißen Vipery. Das Fleisch der meisten Schlangen soll sehr nahrhaft sein und wird von den Völkern der heißen Zone gegessen, namentlich auch das der giftigen Schlangen. Die Wilden benutzen auch das Gift der Schlangen, um ihre Geschosse damit zu vergiften. Merkwürdig ist, daß die Schlangen eine große Liebe zur Musik haben und sich durch dieselbe zähmen lassen. In Ägypten und Indien gibt es Menschen, welche völlig ein Geschäft daraus machen, Schlangen zu zähmen und sich mit denselben sehen zu lassen. Sie wählen hierzu nicht nur unschädliche, sondern auch die allergiftigsten Schlangen, welchen sie, um sie gefahrlos zu machen, die Giftzähne ausbrechen. Man hat diese Leute auch Schlangenbeschwörer genannt und angegeben, daß sie die giftigsten Schlangen aus ihren Schlupfwinkeln herauszulocken und einzufangen verständen. Wahrscheinlich beruht diese Kunst aber auf Täuschung. Eine Fabel ist es, daß die Schlangen eine eigne Zauberkraft besitzen sollen, vermöge welcher sie die Thiere, deren sie sich bemächtigen wollen, zu sich heranzwängen. Die größte aller Schlangen ist die Riesenschlange (s.d.). Merkwürdig ist sonst die in Südeuropa lebende regenwurmartige Schuppenschlange, welche nur 8 Zoll lang und 2 Linien dick wird, eine schillerndweiße schuppige Haut und am Schwanz einen kleinen stachelförmigen Fortsatz hat; die Klapperschlange (s.d.); die auf den Inseln Martinique, Ste.-Lucie und Becouja außerordentlich häufig vorkommende Lanzenschlange, welche 7 F. lang wird und 1 Zoll lange Giftzähne hat; die in Brasilien lebende Iarararacca, die Scharlachnatter, welche die Wilden in Carolina als Arm- und Halsband tragen; die Schoosnatter, schwarz und weiß geringelt, welche die Frauen in Indien im Busen zu tragen pflegen, der Kühlung wegen; die Cobra Capello (s.d.). Bei uns leben, außer der Kreuzotter (s.d.), die nebenstehend abgebildete unschädliche gemeine Schlange, Ringelnatter oder Unke, welche gegen 4 F. lang wird, stahlfarben mit weißen oder gelblichen Flecken ist und sich leicht zähmen läßt; die gemeine Natter oder Otter, Viper oder schwarze Otter, gegen 2 F. lang, von dunkler Färbung mit einem schwarzbraunen gezackten Bande längs des Rückens, mit zugespitztem Schwanze und Giftzähnen; die englische Natter [85] Vipernatter oder schwarze Otter, gegen 2 F. lang, schwarz oder schwarzgrau und giftig, und endlich die unschädliche östreichische Natter, welche 2 F. lang wird und oben grauroth mit weißen Flecken ist. – Die Schlange ist in ältester Zeit schon, wie noch jetzt, als Symbol des bösen Wesens gebraucht worden, wozu wol ihre Giftigkeit, ihr heimtückisches Heranschleichen, plötzliches Losfahren auf die Beute, Schlingen und Winden, ihre glänzende Farbenschönheit u.s.w. Veranlassung gegeben hat. Indessen kommt sie bei den Phöniziern und Ägyptern auch als Symbol der schaffenden Kraft und der Fruchtbarkeit vor, bei den Griechen als Symbol der Heilkraft, sowie der Weissagung. Sogar eine christliche Partei, die Ophiten oder Schlangenbrüder (im 2.–6. Jahrh.) hegte noch eine lebendige Schlange, welche als Bild der Sinnlichkeit und der Klugheit geehrt wurde, gleichsam zur Sühnung dieses feindlichen Princips.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 84-86.
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