Magnetismus, thierischer

[479] Magnetismus, thierischer, thierischer, ist die Uebertragung eines unendlich seinen, unsichtbaren, ätherartigen, unmittelbar auf Nervensystem und Lebensprincip einwirkenden, kräftigen Stoffes, des magnetischen Fluidum's, welches besonders durch Streichen mit der [479] Hand von einem Menschen dem andern mitgetheilt wird. Dieses magnetische Fluidum aber ist nichts Anderes, als der Nervenäther, welcher vom Gehirn ausgehend, die Nerven belebend bis zu deren Enden dringt und mit andern Ausdünstungsstoffen verbunden, den Körper verläßt. Daß von kräftigen Menschen die ausscheidenden Dünste kraftvoll belebend für schwächere sind, ist sicher und die Nähe junger Personen z. B. wirkt auf Altersschwache merkwürdig belebend, wie dieß sich oft darthut, wenn Kinder bei den Großältern schlafen. Außerdem haben die Manipulationen unläugbar eine belebende, das Nervensystem kräftig erregende, selbst schmerzstillende Macht. Höchst schätzenswerth mußte ein solches natürliches Heilmittel für den Arzt sein, wurde leider aber auch sehr oft in den Händen des Charlatanismus gemißbraucht. Mesmer, ein berühmter Arzt und Charlatan, stellte die Lehre des thierischen Magnetismus auf, verrichtete Wunderkuren, mußte wegen mannichfacher Anfeindungen nach Frankreich flüchten, trieb dort seine Gewinn bringende Kunst, wurde aber auch von da verbannt. Deutschland baute ihm später Altäre, der große Hause glaubte und unlautere Künstler wurden bis heute seine Priester. Viel ist Trug und Täuschung, Vieles ist wahr, aber der ruhige, vorurtheilsfrei denkende Mann kann nur weniges Gute daran finden. Was auch von der unendlichen Kraft gefabelt worden ist, die außer jener natürlichen Wirkung bei Frauen von krankhaft verstimmtem Nervensysteme sich geäußert haben soll, und wenn ferner eine Einwirkung des Mannes auf dieselben nicht zu läugnen ist, so kann doch selten auf einen Mann gewirkt werden, uns wenigstens fehlen die Beispiele Staunen erregender Clairvoyance beim männlichen Geschlechte. Frauen gefallen sich oft in der Träumerei und lieben die Krankheit um des Mittels willen. Aber nur ein rechtschaffener Arzt darf es in gelinden, nie bis zur höchsten Potenz gesteigerten Graden und nie dauernd anwenden, sonst führt es zu den bemitleidenswerthesten Resultaten höchster Nervenschwäche, Reizbarkeit, Krämpfen und[480] endlich zur Selbsttäuschung, wie dieß so viele traurige Beispiele darthun. Das edelstolze, häuslich bescheidene Weib wird vor solchen Resultaten übertriebener Reizbarkeit zurückschrecken und sich sagen, daß sein Geschlecht eines schönern Looses werth ist, als der Taschenspielerapparat eines Charlatan zu sein. Nach dieser Bevorwortung wollen wir unsern Leserinnen ein Bild jener Wahnkunst entwerfen.– Vom Magnetiseur wird Kraft des Körpers und Geistes, Lauterkeit des Gemüths, Charakterfestigkeit, Ruhe und Beharrlichkeit gefordert. Die einfache Behandlung besteht in dem nach Regeln bestimmten Anhauchen (Adspiriren), dem Fixiren der Augen und Gedanken bei dem schon in magnetischer Gemeinschaft (in Rapport) stehenden Kranken oder in den Manipulationen mit der Hand, Streichen, Vorüberfahren (in Distanz), Auflegen oder Druck (mit Contact und Massiren). Die zusammengesetzte Behandlung benutzt Zwischenkörper, Substitute und Conductoren, eiserne Stäbe, das Bad, das Isolatorium, welches wie das elektrische gemacht ist, die Elektricität, Spiegel, Musik etc. Eine dieser Weisen wird nun von dem mit der Individualität und Reizbarkeit der Kranken vertrauten Magnetiseur gewählt, zu gewissen Zeiten und bestimmter Dauer angewandt, wobei die Kranke regelmäßig, vorsichtig, diät und geschützt vor Gemüthsbewegungen leben muß. Die verschiednen Grade der Folgen einer fortgesetzten Anwendung sind: 1. Graddes Wachens. Außer allgemeiner Erregung, das Gefühl verschiedener Reactionen, Kälte, Wärme, Schwere, Beklemmung, flüchtige Stiche und Schmerzen. 2. Grad. Halbschlaf oder unvollkommne Krise. Die Wärme nimmt zu und verbreitet sich, dem Gefühl der Kranken nach, von der Magengegend über den ganzen Körper aus. Die Augenlider fallen unwiderstehlich zu, hängen fest zusammen und können nicht freiwillig geöffnet werden. Die Kranke sieht vor den geschlossenen Augen Blitze oder hellen Schein, fühlt ein Wehesein in der Magengegend, Stechen in den Fingerspitzen, Uebelkeit, Krämpfe und andere Nervenzufälle. Der 3. Grad, der magnetische [481] Schlaf, zeichnet sich durch Ohnmachten, Zittern, Krämpfe, Starrsucht aus und ist der Begleiter der höhern Stufen. Wenn nun die Kranke in diesem magnetischen Schlafe, nicht aus ihmerwacht, d. h. innerlich zum Bewußtsein gelangt, was einem lebhaften Traume zu vergleichen ist, und wobei sie in der Abhängigkeit vom Magnetiseur lebt, handelt, denkt und durch diesen, ihr Mittelorgan für die Außenwelt, empfindet, gelangt sie in den 4. Grad, die vollkommne Krise oder den einfachen Somnambulismus, der sich dadurch äußert, daß der äußerlich noch schlafende, innerlich wieder erwachte Mensch sein Bewußtsein wieder erhält, doch bleiben die äußern Sinne geschlossen und unter wiederholter Behandlung treten die wunderbaren Erscheinungen hervor. Die Somnambule sieht zwar Licht und Finsterniß, aber mit den krampfhaft verdrehten Augen nur Nebel, der Tastsinn aber dient zur Erkenntniß der Umrisse und Farben. Das Sonnengeflecht des Unterleibes (s. Nervensystem), die Magengegend ist der Mittelpunkt dieses Wahrnehmungsvermögens, wo die Kranke Körper unterscheidet und sogar Briefe lesen kann. Sie sieht Bilder, aber wie im Traume, bemerkt beim Herumwandeln im Schlafe alle Hindernisse, und es kann dieß Vermögen so gesteigert werden, daß sie Dinge erkennt, die außer dem Bereich sinnlicher Wahrnehmung liegen, wie den vom Magnetiseur ausgehenden Glanz. Das Ohr hört zwar nicht, aber die Herzgrube vernimmt die Stimme des Magnetiseurs oder einer mit diesem in Verbindung gesetzten Person. Es findet eine innige Verbindung zwischen der Kranken und dem Magnetiseur Statt, und fremde Personen fühlt sie schon 12–15 Schritte weit und die Berührung einer solchen oder mit Metallen bringen widrige Empfindungen, selbst Krämpfe, hervor. Die meisten Somnambulen sprechen, Andere bedienen sich der Schrift- und Zeichensprache. Hat die Kranke diesen Grad erst einige Male erreicht, so bedarf es nur des Anhauchens vom Magnetiseur oder des Fixirens, um sie sogleich[482] von selbst wiederkehrt und eine oder mehrere Stunden dauert. Der 5. Grad, das Selbstbeschauen, Hellsehen (Clairvoyance), ist ein Erwachen des Selbstbewußtseins nach Innen und Außen. Dieser psychische Magnetismus erlaubt der Somnambule eine Erkenntniß ihres innern Körper- und Gemüthszustandes, welche die als Folge eintretenden Krankheitserscheinungen auf das Pünktlichste vorausberechnet und die wirksamsten Mittel zu ihrer Heilung angibt. Dieß innere Hellsehen erstreckt sich auf die mit der Kranken in magnetischem Rapport befindlichen Personen, sie fühlt krankhafte Empfindungen derselben mit, hört eine Taschenuhr, die der Magnetiseur an sein Ohr hielt, obgleich sie die Uhr am eignen Ohre nicht hörte u. s. w. Ist die Clairvoyante schon weit in diesem Grade vorgerückt, so ist die Gegenwart des Magnetiseurs nicht mehr erforderlich, ein Zwischenkörper kann den Rapport herstellen und meilenweite Entfernung hebt die Verbindung dann nicht auf. Der 6. Grad, die allgemeine Klarheit, Ekstase oder Desorganisation, laßt die Kranke wieder aus sich heraus in eine höhere Verbindung mit der gesammten Natur treten und die innere Selbstbeschauung hemmt nicht Raum, noch Zeit. Das Verborgene der Vergangenheit und Zukunft wird ihr deutlich oder als klares Ahnungsgefühl bekannt. Die Geistesthätigkeit steigt höher, die Sprache veredelt sich, die Fähigkeit, den eignen Körper zu sehen, erweitert sich rückwärts und vorwärts schauend, und es bedarf von Seiten des Magnetiseurs nur des lebhaften Gedankens, um sich mit der Kranken in Rapport zu setzen, wodurch die Clairvoyante von entfernten unbekannten Personen augenblickliche Kunde bekommt, weil sie mit dem Magnetiseur in Verbindung steht. – Die Nerven des Unterleibes, durch abnormes Leben zu höherer Empfindlichkeit gesteigert, wie dieß besonders in der Hysterie der Fall ist, eine in das Gebiet der Magie gehörige Anziehung, eine geistige Liebe und Verwandtschaft sind die Ursachen der wunderbaren Erscheinungen, in so weit sie nicht dem Betruge angehören, von dessen Vorhandensein der[483] klare Verstand mehr Beweise hat als für die Wahrheit jener. Große Geister unter Aerzten sind ein Menschenleben lang von Hysterischen betrogen worden (Herholdt in Kopenhagen von Rahel Herz), und man läßt sich gar zu gern vom Wunderbaren erfassen.

D.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 479-484.
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