Chronoskop

[464] Chronoskop (Chronograph), Vorrichtung zur Zeitbestimmung, und zwar 1. zur Bestimmung der Uhrzeit eines Ereignisses mit einer Genauigkeit von sehr kleinen Bruchteilen einer Sekunde, 2. zur Messung der Dauer sehr kurzer Zeitabschnitte, 3. zur graphischen Fixierung des Verlaufs rasch folgender Veränderungen.

Wenn der Astronom, den Durchgang eines Fixsterns durch das Sehfeld des Fernrohrs verfolgend, zugleich die Schläge einer die Sekunden bestimmenden Uhr vernimmt, so ist es ihm möglich, den Durchgang eines Fixsterns durch einen der Fäden des Fadennetzes mit einer Genauigkeit anzugeben, die höchstens Zehntelsekunden erreicht. Eine wesentlich größere Genauigkeit erreicht er, wenn er die Auge- und Ohrmethode durch die Auge- und Handmethode[464] ersetzt. Das Chronoskop von Fueß (R. Fueß, Berlin, Alte Jakobstraße 108), eine dem Morseschen Schreibtelegraphen nachgebildete Vorrichtung, die mit der astronomischen Uhr in elektrische Verbindung gesetzt wird, gestattet dem Beobachter, seine Aufmerksamkeit ungeteilt dem zu beobachtenden Ereignis zu widmen, dessen Eintritt durch einen kurzen Fingerdruck markiert wird. Das Chronoskop zeichnet auf einem fortlaufenden Papierstreifen zwei farbige Linien, deren eine die Anfänge der einzelnen Sekunden durch Auszackungen, deren andre ebenso die Momente der Tastbewegungen angibt, derart, daß letztere mit einer Genauigkeit von 0,001 Sekunden verzeichnet werden. Auch der aus der Zeit der Nervenleitung des Beobachters entspringende Fehler, die sogenannte persönliche Gleichung, kann mittels desselben Apparates ermittelt werden.

Die Chronoskope haben je nach dem Zwecke, dem sie dienen, sehr verschiedene Einrichtungen. Die allergenauesten chronoskopischen Vorrichtungen sind die von Arago und von Fizeau ersonnenen Vorrichtungen zur Ermittlung der Zeit, die das Licht (s.d.) braucht, um Strecken von einigen Kilometern oder gar nur von wenig Metern zurückzulegen. Wegen der direkten Beziehung des Lichtes zum Auge erfordern diese Versuche keine besonderen Vorrichtungen zur Auslösung von Mechanismen. Solche Auslösungen, selbsttätig wirkend, sind notwendig, wenn es sich darum handelt, Dauer und Verlauf einer mechanischen Ortsveränderung an einer Uhr oder an irgend einer die Uhr ersetzenden Bewegung von bekanntem Verlaufe zu messen.

Das Chronoskop von Hipp [1], [2], eine Verbesserung des von Wheatstone 1840 konstruierten Apparates, schaltet vom Beginn bis Schluß der zu messenden Ortsveränderung ein leicht bewegliches Zeigerwerk in den Gang einer Uhr ein, derart, daß die Zeit der Einschaltung bis auf 0,001 Sekunden genau abgelesen werden kann. Zum Beispiel wird die Zeit eines fallenden Körpers bei Fallhöhen von etwa 1 m, die Geschwindigkeit eines Geschosses innerhalb weniger Meter vor der Mündung des Laufs ermittelt, indem durch den bewegten Körper selbst am Anfangspunkt der Strecke ein zuvor geschlossener elektrischer Strom geöffnet, am Ende der Bahn eine Zweigleitung des Stromes durch eine Falle wieder geschlossen wird. Während der Dauer der Stromöffnung bleibt mittels des losgelassenen Ankers eines Elektromagnets das Zählwerk der Uhr eingeschaltet. Werner Siemens [3] mißt die Geschoßgeschwindigkeit im Laufe zwischen beliebig vielen verschiedenen Stellen des Laufs, indem er durch Bohrungen in der Rohrwand isolierte seine Drähte zieht, deren jeder mit der inneren Belegung einer Leidener Flasche oder mit dem einen Pol eines Funkeninduktors in Verbindung ist. Im Augenblick des Kontaktes von Draht und Geschoß findet die Ableitung der Flaschenladung zum Rohr und damit zur äußeren Belegung oder dem andern Pole statt. In den Entladungsweg ist eine rotierende Metalltrommel eingeschaltet, gegen deren polierte Oberfläche aus einer gegenüberstehenden Metallspitze der Funke überschlägt. Die Trommel macht in der Sekunde 100 Touren, und die Orte der Entladungsspuren auf dem Umfang der Trommel gestatten eine Zeitbestimmung mit der Genauigkeit einer Vierzigtausendstelsekunde. Eine bequeme mechanische Vorrichtung, an deren Bewegung die Zeit einer andern Bewegung gemessen werden kann, bildet ein freifallender Körper bei dem Chronoskop von Le Boulengé oder ein fallendes Pendel bei dem Apparate von Navez, wobei durch elektrische Auslösung der Beginn des Falls gleichzeitig mit dem der zu messenden Bewegung erfolgt und der Ort des fallenden Körpers zur Zeit des Schlusses der Bewegung markiert wird. Bei dem Chronoskop von Beetz [4] wird die Zeit durch die Bewegung einer Stimmgabel gemessen, die während ihrer Bewegung, vorwärts geschoben, auf berußter Fläche eine Wellenlinie zeichnet. Die Marken auf der Wellenlinie werden durch überspringende Induktionsfunken erzeugt, und die Zahl der Wellen zwischen zwei Marken gibt das Maß der Zeit. Die Bestimmungen sind bis auf 0,0005 Sekunden genau. Der Stimmgabelchronograph von Carl zeichnet die Wellen mit den Marken auf eine Schraubenwalze. Die beiden letzteren Systeme liefert Dr. Edelmann, München, ersteres zu Preisen von 110–800 ℳ., letzteres zu 265 ℳ. Das Prinzip der Zeitbestimmung nach den Schwingungen einer Stimmgabel verwirklicht in einfachster Weise das Chronoskop von J. Kuhn, Stuttgart, dessen sich Prof. G. Jäger bedient, um die mit den psychischen Zuständen desselben Individuums wechselnde Zeit kurzer Tastbewegungen des Fingers zu messen. Eine Uhr mit Stimmgabelhemmung teilt der Schwingungszahl der Stimmgabel entsprechend die Sekunde in 250 gleiche Teile; während der Dauer der Tastbewegung bleibt ein Zeiger in den Gang der Uhr eingeschaltet.

Das gemeinsame Prinzip all dieser genannten Vorrichtungen besteht darin, den Verlauf einer zu untersuchenden Veränderung an dem Verlauf einer bekannten Ortsveränderung zu messen. Ein andres Prinzip der Chronoskopie besteht darin, während der Dauer der zu messenden Veränderung eine Kraft wirken zu lassen und die Zeit der Größe der Kraftwirkung proportional zu setzen. Die gleichartigen Schwingungen eines Magnetstabs, der an einem Faden als Umdrehungsachse aufgehängt ist, werden eine in der Größe des Ausschlags erkennbare Störung erfahren, wenn der Magnetstab während des Durchgangs durch die Gleichgewichtslage der kurz dauernden Einwirkung einer stromdurchflossenen Drahtspirale ausgesetzt war. Aus dem Betrage der Aenderung des Ausschlags läßt sich die Zeit des Stromschlusses berechnen. Diese von Pouillet 1844 [5] zuerst angewendete Methode wurde durch v. Helmholtz [6] vervollkommnet und zu physiologischen Messungen (Geschwindigkeit der Nervenleitung und Zeit von Muskelzuckungen) verwendet. Besonders aber wurde von den Physiologen das Siemenssche Prinzip der Aufzeichnung des Verlaufs der Vorgänge auf einer rotierenden Trommel oder Scheibe weiter ausgebildet in dem Myographion von Helmholtz, dem Federmyographion von Dubois-Reymond, dem Pendelmyographion von Fick, dem Kymographion von Ludwig, dem Pantomyographion von Engelmann [7].

Eine eingehende Beschreibung der zum Messen von Geschoßgeschwindigkeiten verwendeten Chronoskope mit reichlichen Literaturangaben s. [8].[465]


Literatur: [1] Müller-Pouillets Lehrbuch d. Physik u. Meteorol., umgearb. von Pfaundler, Bd. 3, S. 672, Braunschweig 1888–90. – [2] Hirsch u. Plantamour, Détermination télégraphique de la différence de longitude entre Genève et Neuschâtel, Genf 1864. – [3] Pogg. Ann., Bd. 66, S. 435, 1845. – [4] Fricks physikalische Technik von O. Lehmann, Bd. 2, S. 269, 6. Aufl., Braunschweig 1895. – [5] Müller-Pouillet, a.a.O., S. 675. – [6] Helmholtz, H. v., Wissenschaftl. Abhandlungen, Physiologie, S. 745–952, Leipzig 1883. – [7] Engelmann, Das Pantomyographion, Archiv für gesamte Physiologie, Bd. 60, Bonn 1895. – [8] Cranz, C., Compendium d. theoretischen äußeren Ballistik, Leipzig 1896, S. 432 ff. und S. 463.

Aug. Schmidt.

Chronoskope hat man ferner auch mehrere Apparate und Instrumente zur (ungefähren) Zeitbestimmung genannt. (Dem Ausdruck an sich nach könnte man ja mit vollem Recht neben den obenbeschriebenen Chronoskopen zur feinsten Zeitpunkt- oder Zeitdauerbestimmung auch jede beliebige Uhr, z.B. eine Sonnenuhr oder eine Taschenuhr oder Instrumente nach Art des Dipleidoskops oder Gnomons [s.d.] so nennen; die im folgenden noch zu erwähnenden Apparate tragen aber ihren Namen meist nicht ganz mit Recht.) Zum Beispiel hat C.A. Steinheil in München ein kleines Instrument »zur Bestimmung der Zeit und der Polhöhe ohne Rechnung« so genannt [1], ebenso Professor Rieß in Stuttgart ein (wenig brauchbares) Hilfsmittel zur Zeitbestimmung u.s.w.


Literatur: [1] Steinheil, Abhandlungen der 2. Klasse der bayr. Akad. der Wissensch., Bd. 10, 2. Abt., 1868, auch Sep.: Das Chronoskop, München 1870.

Hammer.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 464-466.
Lizenz:
Faksimiles:
464 | 465 | 466
Kategorien:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon