Fahrgeschwindigkeit [1]

[578] Fahrgeschwindigkeit der Eisenbahnzüge, 1. Messung derselben auf den Stationen durch Kontaktapparate. Bei der Geschwindigkeitsmessung durch elektrische Kontaktanlagen wird der eigentliche Meßapparat auf einer der zu sichernden Strecke benachbarten Station aufgestellt. Er besteht im wesentlichen aus einem Uhrwerk, das einen Papierstreifen mit gleichförmiger Geschwindigkeit unter einem Zeichengeber entlangführt, der durch einen Elektromagneten bewegt wird. Von letzterem ist eine Drahtleitung die Strecke entlanggeführt, von der Abzweigungen zu den längs des Gleises in Entfernungen von gewöhnlich 500 bezw. 1000 m voneinander angebrachten Kontaktapparaten gehen. In diesen wird bei der Fahrt durch den Zug ein Kontakt geschlossen, so daß nun aus einer in die Leitung eingeschalteten Batterie ein elektrischer Strom durch den Elektromagneten, die Streckenleitung, den Kontakt zur Erde und zurück gesendet wird. Beim Passieren jedes Kontaktapparates wird dadurch von dem Zeichengeber auf dem Papierstreifen ein Zeichen hervorgebracht. Aus dem Abstand der aufeinander folgenden Zeichen kann man mit Hilfe eines geeigneten Maßstabes, der mit Rücklicht auf den Abstand der Kontaktapparate und die Geschwindigkeit des Papierstreifens zu konstruieren ist, unmittelbar die Geschwindigkeit des betreffenden Zuges entnehmen.

Aus Fig. 1 ist die allgemeine Anordnung des auf der Station befindlichen Meßapparates in der Anordnung von Siemens & Halske in Berlin ersichtlich. Die von dem Uhrwerk bewegte Trommel T wickelt von einer Rolle den Papierstreifen ab. Um jedes Gleiten des letzteren zu verhindern, ist er auf seiner ganzen Länge mit einer Reihe von Löchern in gleichem Abstande voneinander versehen, in welche die auf dem Umfang der Trommel befindlichen Stifte eingreifen. Der Zeichengeber besteht aus einem kleinen Messer am Ende des Hebels H, der an seiner unteren Seite den Anker des Elektromagneten E trägt und im Ruhezustande von einer Spiralfeder gegen den Selbstunterbrechungskontakt 2 gedrückt wird. Beim Schluß eines Streckenkontaktes ist sonach für den Strom der Batterie eine Leitung hergestellt, die über den Kontakt 1 zum Hebel H, Kontakt 2, Elektromagnet E zur Streckenleitung und zurück führt. Unter dem Einfluß dieses Stromes und der Selbstunterbrechung desselben durch den Kontakt 2 gerät der Hebel H, solange der Schluß des Streckenkontaktes dauert, in Schwingungen und das Messer arbeitet in den Papierstreifen ein Loch von entsprechender Länge ein. Da die Geschwindigkeit des Papierstreifens nur etwa 12–30 mm in der Minute beträgt, so werden die Zeichen bei kurz andauerndem Schluß des Streckenkontaktes, wie er z.B. durch einzeln fahrende Lokomotiven bewirkt wird, leicht undeutlich. Der Apparat zeigt deshalb in Fig. 1 noch eine Einrichtung, die bestimmt ist, in solchen Fällen eine Kontaktverlängerung von hinreichender Dauer in dem Apparat selbst hervorzubringen. Zu diesem Zwecke trägt der Hebel H ein kleines Sperrad, das durch eine am Uhrgehäuse befestigte Sperrfeder gezwungen wird, bei jeder Schwingung des Hebels um einen Zahn vorzurücken, während eine zweite am Hebel selbst befestigte Sperrfeder[578] die Rückwärtsdrehung verhindert. In dem gezeichneten Ruhezustande unterstützt ein an dem Sperrade bereinigter Stift den Kontakthebel h, welch letzterer bei der Drehung des ersteren herabfällt und den Kontakt 3 schließt, bis nach einer vollen Umdrehung des Rades der Hebel h wieder in die Ruhelage zurückgehoben wird. Während des Schlusses von 3 fließt der Strom der Batterie über 1, Hebel H, 2, Elektromagnet E, Hebel h, 3 zurück zur Batterie. Die Streckenleitung ist demnach ausgeschaltet und die Batterie durch den Elektromagneten kurzgeschlossen. Das kürzeste Zeichen entspricht sonach der Zeit, die das Sperrad zu einer Umdrehung gebraucht.

Die Streckenkontakte, die bei diesen Anlagen notwendig sind, waren anfangs solche, bei denen pedalartige Hebel durch den über die Außenseite der Schienenköpfe hinüberreichenden Rand der Radeisen niedergedrückt wurden (s. Schienenkontakte). Da derartige Einrichtungen aber leicht von unbefugter Hand bewegt werden konnten sowie auch durch die mit ihrer Konstruktion verbundenen heftigen Stöße in der Unterhaltung sehr teuer wurden, so werden neuerdings meist sogenannte Durchbiegungskontakte verwendet, bei denen die Durchbiegung, welche die Schiene zwischen den Schwellen durch die Räder der Fahrzeuge erleidet, für den Kontaktschluß verwendet wird. In Fig. 2 ist ein solcher Kontakt in der Konstruktion von Siemens & Halske dargestellt. Der aus Gußeisen hergestellte Apparat ist mittels zweier längs der Schiene lieh erstreckenden Arme und Klemmplatten am Schienenfuß beteiligt. Die Durchbiegung der Schiene wird durch den Stempel d, die Scheibe c und die Platte b auf das unter letzterer befindliche Quecksilber übertragen. Letzteres steigt infolgedessen durch den Kanal f in den Topf G und füllt den in demselben befindlichen Kelch r an. Durch die Zinken der in letzteren hineinreichenden Gabel i, die von dem Körper des Apparates isoliert ist, wird in diesem Falle die elektrische Verbindung des Kabels S mit dem als Erdplatte wirkenden Körper des Apparates und den ebenso wirkenden Schienen hergestellt. Bei dem Nachlassen des Druckes auf die Schiene tritt das Quecksilber zurück und das in dem Kelche r befindliche läuft durch das Loch s im Boden des letzteren in etwa 10 Sekunden ab, so daß alsdann der Kontakt wieder unterbrochen ist.


Literatur: Elektrotechn. Zeitschr. 1886, April; Grahwinkel und Strecker, Hilfsbuch s.d. Elektrotechnik, Berlin.

Köchy.


2. Messung auf den Eisenbahnfahrzeugen erfolgt durch Vorrichtungen, die unabhängig von der Fahrstrecke die Fahrgeschwindigkeit durch Messung der Umfangsgeschwindigkeit eines Rades angeben. Man unterscheidet:

a) Fahrgeschwindigkeitsmesser, die auf dem Grundsatz beruhen, daß in Drehung versetzte Massen sich von der Drehachse mit um so größerer Kraft zu entfernen streben, je größer die Winkelgeschwindigkeit der Drehbewegung wird; die Rotationsmassen können feste oder flüssige Körper (Wasser, Quecksilber) sein.

Mit festen Rotationskörpern sind die Fahrgeschwindigkeitsmesser von Klose, Finkbein und Schäfer (Organ f. d. Fortschr. des Eisenbahnw. 1878, 1880, 1889, 1890), Buß-Sombart & Cie. (Dinglers Polyt. Journ., Bd. 238) und Jahns (Ann. f. Gew. u. Bauw. 1884, Bd. 14) konstruiert. Bei Kloses Fahrgeschwindigkeitsmesser (Fig. 3), der vom Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen[579] prämiiert wurde, sitzt auf der Rotationsachse xx eine astatisch aufgehängte Scheibe ss, die sich bei Drehung jener entsprechend der Umdrehungsgeschwindigkeit mehr oder minder geneigt zu ihr Hellt; die Zugstange ee gestattet, das Maß dieser Neigung durch die Spannkraft der Feder ff zu bestimmen, und vermittelt die hin und her gehende Bewegung der Stange hh, deren Größe an einem Zifferblatte und in einem Schreibapparate in entsprechender Weise dargestellt wird; an ersterem erscheint die Angabe der Fahrgeschwindigkeit in Kilometern pro Stunde (Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw. 1879). – Mit flüssiger Schwungmasse sind die Fahrgeschwindigkeitsmesser von Stroudley (Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw. 1880), Proell-Scharowsky (Dinglers Polyt. Journ., Bd. 238), Schneider (ebend., Bd. 245), Ehrhardt (ebend., Bd. 250) und Brüggemann (Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw. 1888) konstruiert.

b) Fahrgeschwindigkeitsmesser, welche die in gleichen Zeitabschnitten erfolgenden Umdrehungen eines Fahrzeugrades bezw. die in gleichen Zeiträumen zurückgelegten Zugswege oder die einer und derselben Anzahl von Radumdrehungen entsprechenden Zeiträume angeben.

Hierher gehören die Fahrgeschwindigkeitsmesser von Haußhälter (Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw. 1887), Petri (Annal. f. Gew. u. Bauw. 1879), Horn (ebend. 1884), Jähns (ebend. 1884), Pouget (Portefeuille économique des machines 1882), Sombart (Prakt. Masch.-Konstr. 1882), Pohl (Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw. 1878), Brettmann (Zentralbl. der Bauverw. 1890), Hasler (Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw. 1903) und jener der französischen Staatsbahnen (Rev. gen. des ehem. de ser 1901, XXIV; Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw. 1901). Dem Fahrgeschwindigkeitsmesser Haußhälters liegt der Gedanke zugrunde, die Höhen, um die ein Gewicht in gleichen Zeiträumen gehoben wird, von der Umdrehungsgeschwindigkeit einer Fahrzeugachse in einem bestimmten Verhältnisse abhängig zu machen. Dieser Apparat, über dessen Genauigkeitsgrad P. Bautze im Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw. 1903 ausführlich berichtet, hat im Vereine Deutscher Eisenbahnverwaltungen große Verbreitung gefunden.

c) Anderweitige Fahrgeschwindigkeitsmesser sind von Small & Mc Naughton (Dinglers Polyt. Journ. 1887, Bd. 263), Dietze (Annal. f. Gew. u. Bauw. 1883, Bd. 13), Pfeil (Oesterr. Eisenb.-Ztg. 1893, S. 261), Göbel (Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw. 1879), Volkmar (Zentralbl. d. Bauverw. 1887) und G.A. Glöckner (Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw. 1903) konstruiert worden.

Pfeils Fahrgeschwindigkeitsmesser mißt die Fahrgeschwindigkeit durch die Höhenlage eines in einem vertikalen Rohre verschiebbaren Ventilkolbens, unter welchen durch eine Pumpe, die im Verhältnis zu der Umdrehungsgeschwindigkeit des Rades betätigt wird, ein Gemisch von Wasser und Glyzerin gepumpt wird. In dem Maße, als sich der Kolben hebt, wird die Oeffnung eines im Rohr angebrachten Schlitzes frei, durch den die Flüssigkeit wieder zur Pumpe gelangt. Mit dem Ventilkolben steht ein Schreib- und ein Zeigerwerk in Verbindung. Glöckners Fahrgeschwindigkeitsmesser ist hauptsächlich für rasch und stark wechselnde Fahrgeschwindigkeiten, z.B. bei elektrischen Bahnen, bestimmt; deshalb ist die mechanische Zwangläufigkeit durch elektromagnetische Kupplung ersetzt. – S.a. Eisenbahnbetrieb, S. 288.


Literatur: Außer den angegebenen Zeitschriften s.a. Schloß in der Wochenschr. des österr. Ingen.- u. Arch.-Ver. 1891 und Roll, Encyklop. d. Eisenbahnw., S. 1517. Ueber die Erfahrungen mit Geschwindigkeitsmessern im Bereiche Deutscher Eisenbahnverwaltungen findet sich ein ausführlicher Bericht im Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnw., 13. Ergänzungsband, 1903.

Alfred Birk.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 578-580.
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