Friedhof

[192] Friedhof, s.v.w. der Ort des Friedens, auch Kirchhof, weil die Kirche mit den umliegenden Begräbnisplätzen am längsten das Asylrecht behielt, außerdem auch Gottesacker, Totenacker u.s.w. genannt. In der antiken Periode gab es zumeist keine Friedhöfe in unserm Sinne, denn damals wurden die Toten längs der Straße außerhalb der Tore bestattet; erst in christlicher Zeit pflegte man den Gottesacker rings um die Kirche zu legen, in besonderen Fällen auch Begräbnisse in der Kirche anzuordnen. Als aber die Städte wuchsen und es notwendig erschien, das sanitäre Moment bei Anlage der Städte in erster Linie zu berücksichtigen, sah man sich veranlaßt, die Friedhöfe außerhalb der Städte zu legen und hinlänglichen Raum für viele Jahre zu sichern.

Bauliche Anordnung. Die Anordnung der Grabstätten geschieht in Reihen innerhalb geordneter Feldereinteilung, die durch mehr oder weniger breite Wege oder Straßen getrennt und zugänglich gemacht ist. In der Ausbildung des Grabes sind zu unterscheiden: die allgemeinen Gräber, Einzelgräber und Grüfte (Erbbegräbnisse). Die einfachsten, gemeinsamen und[192] oft unentgeltlichen Gräber sind möglichst nahe beieinander liegend und werden nach einer bestimmten Reihe von Jahren neu benutzt. Die Einzelgräber von etwa 4–5 qm Bodenfläche sind anzukaufen (mit Eigentumsrecht auf ca. 30 Jahre); sie liegen ebenso in den Reihen der Felder wie längs der Wege und der Umfassungsmauern. Durch die Pflege dieser Gräber, durch Aufstellung von künstlerisch bedeutenden Denkmälern und den sie umgebenden üppigen Baumwuchs lassen sich bei sonst einfachen Verhältnissen schöne parkartige Anlagen schaffen. – Die Grüfte sind entweder Einzelgrüfte, d.h. Gewölbe unter einem kapellenartigen Aufbau (sogenanntem Mausoleum), der zu schönsten architektonischen Lösungen sich eignet, oder Teile von Grufthallen, die in den neuen Friedhöfen der Großstädte als eine bedeutsame architektonische Ausbildung der Gesamtanlage erscheinen. Solche Hallen bilden entweder einen stattlichen Zugang oder Vorhof oder den imposanten Abschluß der Anlage und stehen dann meist in Verbindung mit einer Kapelle, in der gottesdienstliche Handlungen stattfinden. Ihre Vorbilder haben sie in den italienischen Kamposantobauten [1] aus alter Zeit, wie in Pisa, Bologna u.s.w., sowie in den neueren großartigen Friedhofanlagen von Genua, Mailand, Rom, Neapel u.s.w. Weitere nötige Bauten bei den Friedhof anlagen der Großstädte sind: 1. Leichenhallen mit einer Anzahl von Einzelkammern zur Aufnahme von Verdorbenen, die hier vor der Beerdigung aufgestellt und im Hinblick auf Scheintod überwacht werden, damit in Verbindung ein Seziersaal und Wärterräume. 2. Großes Einfahrttor mit Pförtner- bezw. Aufseherwohnung, der etwa eine Gärtnerei anzufügen ist. 3. Für besonders große Verhältnisse ein Verwaltungsgebäude mit Kanzleien, Wohnungen für Angeflehte, für Aerzte u.s.w. 4. Brunnen und öffentliche Aborte [2]. – Vgl. a. Fig. 1 und auf der nächsten Seite Fig. 2.


Literatur: [1] Peters, O., Italienische Campo-Santoanlagen, Deutsche Bauztg., Jahrg. 1878. – [2] Baukunde des Architekten, Berlin 1884, Bd. 2, Kultusanlagen; Mylius, C.J., 2. Städtische Friedhöfe, S. 258. – [3] Berlin und seine Bauten. – [4] Grässel, H., Die neuen Münchner Friedhöfe, Deutsche Bauztg., Berlin, Jahrg. 1902, Nr. 46; 1903, Nr. 3 und 7.

Weinbrenner.

Hygiene der Friedhöfe. Allgemeines. [1] Von alters her bestand die Meinung, daß durch Friedhöfe für die An- und Umwohner gesundheitliche Gefahren hervorgerufen werden, insbesondere war man gewöhnt, anzunehmen, daß durch die Verwesung der Leichen in die Luft und das Grundwasser giftige Stoffe übergehen. Den Ergebnissen der neueren hygienischen Forschung haben indessen diese Befürchtungen nicht standgehalten. Die Leichen verfallen im Erdboden einem fortschreitenden Verwesungsprozeß, durch den teils flüchtige, teils feste, wasserlösliche Verbindungen entstehen; die ersteren, sogenannte Fäulnisgase, sind zum Teil giftig (Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Kohlensäure u.a.), ebenso die letzteren den Alkaloiden nahestehenden Stoffe (sogenannte Ptomaine). Diese giftigen Verwesungsprodukte werden aber dadurch unschädlich gemacht, daß der Boden hervorragend befähigt ist, dieselben zu absorbieren und in unschädliche Verbindungen überzuführen, also einen ständigen Selbstreinigungsprozeß durchzumachen. Zahlreiche Untersuchungen [2] haben dargetan, daß das Grundwasser der Friedhöfe nicht reicher an organischen Bestandteilen ist als anderwärts und daß die Friedhofbrunnen vollkommen normales Trinkwasser liefern.

Nachdem die Forschung als Ursache der Infektionskrankheiten pathogene Keime festgestellt hatte, die mit den Leichen in lebensfähigem Zustande der Erde übergeben werden, glaubte man die früheren Ansichten über die Gefährlichkeit der Friedhöfe damit begründen zu können, daß die pathogenen Keime aus den Leichen in das Grundwasser und die Luft der Friedhöfe übergehen und auf diesem Wege Krankheiten erzeugen könnten. Die von verschiedenen Seiten [3] vorgenommenen experimentellen Untersuchungen haben indessen ergeben, daß die spezifische Infektiosität der Leichen nach wenigen Monaten in der Erde zerstört wird; nur für Tuberkulose- [4] und Milzbrandbazillen ist eine längere Lebensdauer anzunehmen. Ebenso wie für die flüchtigen und festen Verwesungsprodukte ist aber der Erdboden auch vorzüglich geeignet, die in ihn übergegangenen Keime unschädlich zu machen und zurückzuhalten, so daß von einem weiteren Transporte derselben in das Grundwasser oder die Luft nicht die Rede sein kann. Die Untersuchung der Kirchhoferde in unmittelbarer Umgebung der Gräber [5] hat ergeben, daß dieselbe nicht mehr Keime enthält, wie ein gewöhnlicher Ackerboden.

Der im Erdboden eines Friedhofs ablaufende Selbstreinigungsprozeß ist aber in seiner Wirksamkeit wesentlich abhängig von der Beschaffenheit des Erdbodens selbst. Der letztere muß genügend porös und lufthaltig, sowie der von oben eindringenden Feuchtigkeit leicht zugänglich sein, damit der Verwesungsprozeß ununterbrochen von flauen geht; der Boden darf auch nicht zu trocken sein, sonst ist sogenannte Mumifikation der Leiche zu erwarten (in unsern Breiten selten vorkommend), auf der andern Seite nicht zu dicht und zu feucht, sonst tritt sogenannte Fettwachsbildung (adipocire) in der Leiche ein; in beiden Fällen wird die endgültige Verwesung wesentlich verlangsamt, was auf den Beerdigungsturnus nicht ohne Einfluß wäre.[193] Insbesondere ist ein hoher Grundwasserstand zu vermeiden, durch den zeitweise die Sohle der Gräber durchspült wird und eine Auslaugung der Leichen stattfinden kann; bei solchen Bodenarten kann die Uebersättigung des Bodens mit faulenden organischen Substanzen und Verunreinigung des Grundwassers eintreten. Die letztere wird allerdings nur in nächster Nähe sich geltend machen, wenn nicht durch Bodenrisse und Spaltbildungen in die tieferen Erdschichten die Verunreinigungen weitertransportiert werden.

Aus dem Gesagten ergeben sich für die Anlage eines Friedhofes folgende hygienische Anforderungen:

Lage. Die Entfernung des Friedhofs von bewohnten Ortschaften ist meist durch Gesetz oder Verordnung bestimmt, 100 m dürften in der Regel genügen, Ausnahmen für einzelne Wohngebäude sind zuzulassen; die vorgeschriebenen Entfernungen betragen u.a. für Preußen 200 m, Rußland 1067 m (1 Werst), Frankreich 100 m. Die Himmelsrichtung zu der betreffenden Ortschaft ist vom hygienischen Standpunkt aus gleichgültig; mäßig ansteigendes Terrain, mäßig hohe Plateaus sind günstig; abschüssiges Terrain sollte der Ortschaft abgewendet sein; die Nähe von Teichen, Wasserläufen, Terrainmulden, Ueberschwemmungen ausgesetztem Gebiet ist zu vermeiden; der durch Bohrversuche festzustellende höchste Stand des Grundwassers soll nicht[194] bis zur Grabessohle reichen, die Richtung des Grundwasserstromes möglichst nicht gegen die nächstliegenden Wasserentnahmestellen gehen.

Bodenart. Das beste Material ist grobkörniger Kies; es folgt in absteigender Reihe seiner Kies, Sandboden, mit Sand gemischter Lehmboden (dieser um so ungünstiger, je mehr der Lehm überwiegt); sehr ungünstig sind Lehm-, Ton-, Mergel- und stark humushaltiger Boden (Torf- und Moorboden); sogenannter gewachsener Boden ist immer besser als aufgeschütteter; zu vermeiden ist auch ein mit Spalten durchsetzter Untergrund.

Die Größe und Ausdehnung einer Friedhofsanlage berechnet sich aus der Bevölkerungsziffer der betreffenden Gemeinde, der anzunehmenden Steigerung derselben und dem Sterblichkeitsquotienten unter Berücksichtigung des erlaubten Beerdigungsturnus (Umgrabefrist). Nach Pappenheim [6] muß bei jedem Grabe (für Erwachsene) die Länge 1,9 m, die Breite 0,8 m, die Sohlenfläche 1,6 qm mindestens betragen; die Tiefe der Gräber hat sich zwischen 1,5 m und 2 m zu bewegen, wobei der Stand des Grundwassers zu berücksichtigen ist. Zusammen mit den übrigen für ein Grab notwendigen Flächen, Seitenabstand u. dergl. stellt sich die Gesamtgrabesfläche auf ca. 4 qm, für Kindergräber auf ca. 2 qm, die Durchschnittsfläche auf ca. 3 qm. Die Berechnung der gesamten notwendigen Bodenfläche geschieht durch Multiplikation der Ziffer der Turnusjahre mit dem für jedes Grab anzunehmenden durchschnittlichen Flächenraum und der Ziffer der zu erwartenden Sterbefälle. Außerdem sind noch Zuschläge nötig für Wege, reservierte Plätze, Erbbegräbnisse, Leichenhalle, eventuell Krematorium. Unter allen Umständen empfiehlt es sich, das angrenzende Gelände über das nächstliegende Bedürfnis hinaus zu erwerben. Der Beerdigungsturnus, d.h. die Zeitlänge, nach der ein Grab wieder zur Aufnahme eines Leichnams benutzt werden darf, hat sich eigentlich nach der besonderen Bodenart des Begräbnisplatzes zu richten, ist aber meistens gesetzlich festgelegt, z.B. Hamburg 15 Jahre, Sachsen 20 Jahre, Baden 20–25 Jahre je nach Bodenart, Preußen 40 Jahre; für Kinderbegräbnisplätze kann die Hälfte angenommen werden. Dem Bedürfnisse eines möglichst kleinen Beerdigungsturnus soll der sogenannte Tachyphag entsprechen, ein aus besonderem Materiale angefertigter Sarg, von Gebhard Pfeiffer, Ravensburg, erfunden [7]; derselbe besteht aus einem mit Stoff überzogenen Sarggestell, auf das ein Mörtel, aus Silikaten, Alkalikarbonat und einem Klebemittel bestehend, aufgetragen ist; durch Auslaugung im Boden wird die Masse porös, läßt Feuchtigkeit und Luft zutreten und beschleunigt dadurch die Zerstörung der Leiche. – Bei Anlage von Grüften ist darauf zu achten, daß die durch die Fäulnis entstehenden Gase abgeführt werden können; Lüftungsöffnungen, die eine gewisse Ventilation des Innenraumes gestatten, sind anzubringen; durch die in Grüften sich ansammelnden Gase, besonders Kohlensäure, sind mehrfach Unglücksfälle hervorgerufen worden, welche die Furcht vor den Friedhöfen hauptsächlich genährt haben und besondere Vorsichtsmaßregeln bei Wiederöffnung einer Gruft nahelegen. Sogenannte Massengrüfte (caveaux funéraires) finden sich in Belgien und in den südlichen romanischen Ländern, Spanien, Portugal, Italien; wenn gesonderte Zellen angelegt werden, die nach Aufnahme des für sie bestimmten Leichnams hermetisch und definitiv geschlossen werden, sollen hygienische Bedenken nicht bestehen. S.a. Leichenverbrennung.


Literatur: [1] Wernich, Leichenwesen, in Weyl, Handbuch der Hygiene, Bd. 2, 2, S. 70 ff. – [2] Pettenkofer, Ueber die Wahl der Begräbnisplätze, Zeitschr. für Biologie, Bd. 1, 1865; Fleck, Untersuchungen des Kirchhofbrunnenwassers, Jahresbericht der Zentralstelle für öffentliche Gesundheitspflege in Dresden, 1873. – [3] Petri, Verhandlungen des X. Internationalen Medizinischen Kongresses 1890, S. 126 ff.; Ders., Das Verhalten pathogener Mikroben in Tierleichen, Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt, Bd. 5, 1. Heft; Lösner, ebend., Bd. 12, S. 448 ff.; Karlinski, Archiv für Hygiene, Bd. 13, S. 302 ff. – [4] Schottelius, Tagebl. der 62. Naturforscherversamml. – [5] Gärtner, Verhandlungen des X. Internat. Medizinischen Kongresses 1890, S. 138. – [6] Pappenheim, Handbuch d. Sanitätspolizei. – [7] Heibig, Pharmazeut. Zentralhalle, Bd. 42 u. 44.

Greiff.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 4 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 192-195.
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