Herzogs Verfahren

[50] Herzogs Verfahren zur Berechnung der Fachwerkstreben.

Damit in der dritten Strebe des Fachwerkträgers A B (Fig. 1) die größte Spannung auftrete, muß die – gleichförmig verteilt gedachte – zufällige Belastung von B aus bis zu einem Punkte E reichen, der sich ergibt, wenn man die Richtung des oberen Gurtstabes bis A'' und B'' verlängert und A'' mit A', B'' mit B' verbindet; vgl. Belastungsgrenze.

Wenn in E eine einzelne Last aufgehängt wird, so ruft sie in der dritten Strebe weder Zug noch Druck hervor. Die Last zerlegt sich nämlich vermittelst des Zwischenträgers in zwei Kräfte, A' und B' und diesen entsprechen zwei Auflagerdrücke A und B. Das Viereck A'' A' B' B'' kann als das Seilpolygon (s.d.) für diese vier Kräfte angesehen werden. Links vom Schnitt wirken die Kräfte A und A'; ihre Mittelkraft geht nach der Theorie des Seilpolygons durch den Schnittpunkt von A'' B'' mit A' B'. Dieser Schnittpunkt ist aber nichts andres als der Drehpunkt (s.d.) der betreffenden Strebe. Die Strebenkraft wird somit gleich Null; oder, was dasselbe bedeutet, die Wirkungen von A und A' heben sich für eine in E liegende Last auf.[50]

Wir trennen nun die auf dem Träger ruhende verteilte Last in zwei Teile von der Größe p b' und p b1, zerlegen p b' in zwei Einzelkräfte, die in E und B' wirken, und ebenso p b1 in zwei Kräfte, die in B' und B wirken (vgl. Fig. 1, oben). Vereinigen wir die beiden in B' liegenden Kräfte, so gelangen wir auf drei Einzelkräfte von der Größe 1/2p b', 1/2p b und 1/2p b1, die zusammen dieselbe Wirkung auf die Strebe ausüben wie die ursprüngliche Belastung. Von diesen drei Kräften fallen aber die erste und die dritte außer Betracht, die erste, weil sie im Grenzpunkte angreift, die dritte, weil sie im Auflager liegt. Die gesuchte Strebenkraft tritt daher auch dann am, wenn man die Einzelkraft 1/2p b im Punkte P' angreifen läßt. Der Auflagerdruck A ergibt sich in diesem Falle nach dem Hebelgesetze gleich p b · b1 : 2l. Zerlegt, man A in die drei vom Schnitte getroffenen Stabrichtungen O, S und U, so bekommt man die gesuchte Strebenkraft S. Nun bleibt der Auflagerdruck A unverändert, wenn man, anstatt 1/2p b in B' aufzulegen, 1/2p b1 in E auflegt. Nach früher ist in diesem Falle die Wirkung, die A auf die Strebe ausübt, gleich groß und entgegengesetzt wie die Wirkung der Kraft A', die man erhält, wenn man 1/2p b1 in A' und B' zerlegt. Daraus folgt: Um die Größe der gesuchten Strebenkraft S zu erhalten, zerlegt man die in E liegende Last 1/2p b1 in die Komponenten A' und B' und hierauf A' in die Komponenten O, S und U. Bei dieser Zerlegung wird jedoch U = 0, wen A' durch den Schnittpunkt von O und S geht Die Lösung gestaltet sich infolgedessen einfacher: Man ersetzt die Kraft A' durch die Last E und die (dann nach oben gerichtete) Komponente in B', so daß die vier Kräfte O S E B' am linken abgeschnittenen Fachwerksteil ins Gleichgewicht gesetzt werden können. Es muß dann die Rentierende von S und E durch den Schnittpunkt G der beiden andern Kräfte hindurchgehen, also in die Richtung von F G fallen, und man hat zur Ermittlung von S die Kraft 1/2p b1, nur nach den Richtungen von F B' und F G zu zerlegen.

Die Größe 1/2p b1 wird dadurch erhalten, daß man (Fig. 1, unten) lotrecht unter A die Kraft A1 A2 = 1/2p l aufträgt und deren Endpunkt mit dem Punkte B1 verbindet Eine weitere Erklärung der Figur dürfte überflüssig sein. Soll die kleinste in der Strebe auftretende Kraft (S') bestimmt werden so vertauscht man (Fig. 1) G mit A' und b1 mit a1, d.h. man zerlegt die Kraft 1/2p a1 parallel zu F B' und F A'.

Handelt es sich die Ermittlung der größten, in einem Pfosten auftretenden Kraft V, so gelten die nämlichen Erwägungen; nur wird in diesem Falle auch die Kraft O = 0 so daß A' sofort die gesuchte Pfostenkraft darstellt. Um sie zu erhalten, verschiebt man (Fig. 2) die Kraft 1/2p b1 um eine Feldlänge nach links, zieht in dem hierbei entstehenden Rechtecke Je Diagonale und lotet den Grenzpunkt E herunter. Soll die kleinste im Pfosten auftretende Kraft bestimmt werden, so legt man die Last 1/2p a1 in E auf, zerlegt sie in A' und B' und hierauf B in O, V und U. Eine Vereinfachung ist hier nicht möglich.

Das Herzogsche Verfahren eignet sich vorzüglich zur graphischen Berechnung der Strebenkräfte für gleichförmig verteilte zufällige Belastung und bildet zusammen mit dem Cremonaschen Verfahren der kürzesten Weg zur vollständigen Berechnung eines Fachwerks; vgl. Halbparabelträger.


Literatur: Herzog, A., Schweizer. Bauztg., Bd. 15, S. 46; Ritter, W., Anwendungen der graph. Statik, 2. Teil, Zürich 1890.

Mörsch.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 50-51.
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