Hyperbelfunktionen [1]

[162] Hyperbelfunktionen, die (wahrscheinlich von Riccati um 1753 zuerst eingeführten) Funktionen sin h ( = sinus hyperbolicus), cos h, tg h, ctg h, welche auch (nach Gudermann) mit Sin, Cos, Tg, Ctg bezeichnet werden und sich geometrisch auf ähnliche Art von der gleichzeitigen Hyperbel herleiten lassen, wie die Kreisfunktionen sin, cos, tg, ctg vom Kreise.

Ist nämlich (s. die Figur) o der Mittelpunkt, a ein Scheitel einer gleichseitigen Hyperbel, deren reelle Halbachse o a die Länge Eins hat, b ein beliebiger Punkt der Kurve, b' der in bezug auf die reelle Achse symmetrisch zu b liegende Punkt, c der Schnittpunkt der Sehne bb' mit der reellen Achse, d der Schnittpunkt der Geraden o b mit der Scheiteltangente a d, so werden die Strecken c b, o c, a d als Funktionen der (in der Figur schraffierten) Hyperbelfläche o b a b' o aufgefaßt und man schreibt c b = Sin φ, o c = Cos φ, a d = Tg φ, wenn φ = Fläche o b a b' o = 2 mal Fläche o b a o ist. Ferner bezeichnet man 1/Tg φ mit Ctg φ.

Analytisch werden diese Funktionen durch die für jeden (auch imaginären) endlichen Wert von φ gültigen Formeln:


Hyperbelfunktionen [1]

definiert. Entsprechend der Gleichung x2y2 = 1 für die gleichseitige Hyperbel hat man:


Hyperbelfunktionen [1]

woraus folgt


Hyperbelfunktionen [1]

Cos ist eine gerade Funktion, d.h. Cos (– φ) = + Cos φ; Sin, Tg, Ctg sind ungerade Funktionen, d.h. Sin (– φ) = – Sin φ u.s.w.

Für reelle Werte des Arguments φ kann Sin φ jeden positiven oder negativen Zahlenwert annehmen, Cos φ dagegen nicht kleiner als + 1, Tg φ weder kleiner als – 1, noch größer als + 1, sein, in Zeichen: Cos φ > + 1, – 1 < Tg φ < + 1.

Es bestehen für die Hyperbelfunktionen auch Additionstheoreme, Formeln für die Funktionen der doppelten und halben Argumente u.s.w., und zwar von derselben Gestalt wie für die Kreisfunktionen; nur in den Vorzeichen der Glieder ist manchmal ein Unterschied. Aus jeder[162] Beziehung zwischen Kreisfunktionen erhält man die entsprechende Beziehung der Hyperbelfunktionen, wenn man statt der in ersterer vorkommenden Argumente α, ß, ... das i-fache, also i α, i ß, ... setzt, dann die Gleichungen:

sin i x = i Sin x, cos i x = Cos x, tg i x = i Tg x, ctg i x = – i Ctg x

anwendet und nötigenfalls mit einer Potenz von i dividiert. So folgt aus

sin + ß) = sin α cos ß + cos α sin ß:

sin (i α + i ß) = sin i α cos i ß + cos i α sin i ß oder

i Sin + ß) = i Sin α Cos ß + i Cos α Sin ß, also

Sin + β) = Sin α Cos β + Cos α Sin ß; ferner

aus cos + β) = cos α cos ß – sin α sin ß

die Beziehung

Cos + β) = Cos α Cos β + Sin α Sin β

(das Vorzeichen + im zweiten Glied ist zu beachten) u.s.w.

Ist Sin φ = u, so schreibt man φ = Ar Sin u, d.h. Ar Sin u bedeutet diejenige Hyperbelfläche, deren Sin gleich u ist. Entsprechende Bedeutung haben Ar Cos u, Ar Tg u, Ar Ctg u. (Ur ist die Abkürzung des lateinischen area = Fläche, Flächeninhalt; die häufig benutzte Schreibweise Arc Sin, Arc Cos u.s.w. ist zu verwerfen.) Man hat


Hyperbelfunktionen [1]

Erwähnt seien noch die Differentialformeln

d Sin x = Cos x d x,

d Cos x = Sin x d x(Vorzeichen + !).

d Tg x = dx/Cos2x, d Ctg x = dx/Sin2 x

und die Integralformeln


Hyperbelfunktionen [1]

Die Hyperbelfunktionen haben sich nicht bloß in der Mathematik bei der Auflösung kubischer Gleichungen (s. den Art. Gleichungen, Bd. 4, S. 563), bei der Darstellung der Kettenlinie (s.d.), allgemeiner der Seilkurven für horizontal begrenzte Belastungsflächen [5], der Antifriktionskurve oder Huyghensschen Traktorie, bei vielen Integralen u.s.w., in der nautischen Astronomie [6] u.s.w., sondern auch in verschiedenen Zweigen der technischen Wissenschaften [7]–[9] als sehr nützlich, ja unentbehrlich erwiesen.


Literatur: Ausführlichste Theorie und Geschichte der Hyperbelfunktionen in [1]; Tafeln: vierstellig in [2] und [3], fünf- bis siebenstellig [4]. – [1] Günther, Siegm., Die Lehre von den Hyperbelfunktionen, Halle 1881. – [2] Des Ingenieurs Taschenbuch, herausgeg. vom akadem. Verein Hütte, 18. Aufl., Berlin 1902, Abt. 1, S. 28–32. – [3] Ligowski, W., Taschenbuch der Mathematik, 3. Aufl., Berlin 1893, S. 22–36. – [4] Ders., Tafeln der Hyperbelfunktionen und der Kreisfunktionen nebst einem Anhange, enthaltend die Theorie der Hyperbelfunktionen, Berlin 1890. – [5] Zimmermann, H., Ueber Seilkurven, Zentralblatt der Bauverwaltung, Jahrg. 3, 1883, S. 231. – [6] Villarceau, Yvon et Magnac, Nouvelle navigation astronomique, Paris 1877. – [7] Ligowski, W., Die Bestimmung der Form und Stärke gewölbter Bogen mit Hilfe der hyperbolischen Funktionen, Erbkams Zeitschrift f. Bauwesen, 4. Jahrg., 1854, S. 127, 267. – [8] Zimmermann, H., Die Berechnung des Eisenbahnoberbaues, Berlin 1888. – [9] Lodge, J., The electrical transmission of power, Engineer 1883, I, S. 59, 97, 137, 179.

Mehmke.

Hyperbelfunktionen [1]
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 162-163.
Lizenz:
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