Kolmation

[567] Kolmation (aus dem italienischen »colmata« abgeleitet) bedeutet die Erhöhung von Ländereien durch Aufschwemmung von Sinkstoffen (Kies, Sand, Schlamm). Vgl. [1]–[5].

Innatürlicher Weise vollzieht sich der Vorgang der Auflandung vielerorts da, wo die Hochfluten unbedeichter Flüsse über die Ufer austreten, die Niederungen unter Wasser setzen und infolge der hierbei eintretenden Verminderung der Abflußgeschwindigkeit ihre Sinkstoffe zum größeren oder kleineren Teil absetzen; derart kann das Niederungsgelände im Lauf längerer Zeiträume eine namhafte Erhöhung erfahren.

Die künstliche Kolmation tiefgelegener versumpfter Gebiete kann verschiedenerlei Zwecke kulturtechnischer, hygienischer und hydrotechnischer Art im Auge haben.

In kulturtechnischer Hinsicht wird durch die Erhöhung des Geländes die vorhandene Versumpfung aufgehoben, der schädliche Einfluß des zu hohen Grundwasserstandes beseitigt, der regelmäßige Abfluß des Tagwassers und eine zweckmäßige Bodenentwässerung ermöglicht, die pflanzentragende Bodenschicht – insbesondere durch Aufschlämmung toniger Bestandteile – verbessert und derart das Gedeihen von Kulturpflanzen ermöglicht oder befördert.

In gesundheitlicher Beziehung erlangt die Kolmation insofern oft große Bedeutung, als durch Urbarmachung von Sümpfen die Gefahren beseitigt werden, welche infolge des Entstehens miasmatischer Ausdünstungen Leben und Gesundheit der Anwohner bedrohen. So konnten die umfangreichen Sumpfgebiete des Chianatales und der Maremmen in Italien nur durch die Ausführung großartiger Kolmationsarbeiten befiedelungs- und kulturfähig gemacht werden [3].

Endlich kann die Kolmation als rein hydrotechnisches Hilfsmittel zur Anwendung kommen bei der Korrektion der die Sumpfniederung regellos durchziehenden Wasserläufe, denen es bei[567] der tiefen und flachen Lage des Sumpfgebietes an der erforderlichen Vorflut gebricht. Hier wird durch die als Vorarbeit der Korrektion zu betrachtende planmäßige Aufhöhung eines für den neuen Flußlauf in Anspruch zu nehmenden Geländestreifens zunächst die für die Gefällentwicklung der Korrektionsanlage erforderliche Höhenlage geschaffen, um alsdann den korrigierten Fluß in diese Anschwemmung einzubetten. Derart wurde bei der Regelung der Wasserläufe im Chianatal in Italien verfahren [3].

Die Voraussetzung einer wirksamen Kolmation ist das Vorhandensein eines Wasserlaufes, welcher erhebliche Mengen fester Stoffe mit sich führt und so hoch liegt, daß eine möglichst vollständige Abschwemmung dieser Stoffe in die Niederung möglich wird. Die Menge der Sinkstoffe des zu benutzenden Wasserlaufes zu kennen ist für den Entwurf einer Kolmation wichtig, um hiernach die für dieselbe erforderliche Zeitdauer oder die Möglichkeit der Durchführung einer Kolmation von gegebenem Umfang überhaupt bemessen zu können. Der Gehalt an Sinkstoffen ist in den einzelnen Wasserläufen verschieden; auch wechselt er selbstverständlich bei jedem Gewässer mit den Wasserständen. Am schlammreichsten sind Gebirgsflüsse, welche aus sedimentären Formationen kommen, und um so schlammreicher, je Heiler ihr Quellgebiet ist. Einen wesentlichen Einfluß auf die Schlammführung hat der Kulturzustand des Einzugsgebietes und die größere oder geringere Fürsorge für den Zustand der Wasserläufe auf denjenigen Strecken, wo sie den Charakter von Wildbächen besitzen. So führen ganz außerordentliche Schlammmengen die von den waldarmen Appenninen herabkommenden Flüsse und Bäche in Italien (z.B. enthält der Ombrone nach Markus [3] bei Hochwasser nicht weniger als 8 Volumprozente Schlamm!); dieselben sind deshalb zu den umfassenden Kolmationsanlagen jener Gegend hervorragend geeignet. Von andern Wasserläufen werden folgende Gehalte an Sinkstoffen angegeben:


Kolmation

Der Rhein führt nach Grebenau 0,1–1,5‰ Gewichtsteile Schlamm bei verschiedenen Wasserständen. Beim Entwerfen größerer Kolmationen ist eine vorherige Messung der nutzbaren Sinkstoffmengen in dem zu benutzenden Wasserlauf nicht zu umgehen.

Die Zuleitung des Schlammwassers zur Kolmationsfläche kann bei unmittelbarer Nachbarschaft des Flusses aus diesem selbst geschehen; andernfalls sind besondere Kanäle für diesen Zweck anzulegen. Bei Herstellung der Kolmationskanäle ist es von größter Wichtigkeit, denselben eine solche Höhenlage zu geben, daß auch bei fortschreitender Aufhöhung des Kolmationsgebietes dieses immer noch durch den Kanal beherrscht wird; der Endpunkt des letzteren hat demnach diejenige Höhe zu erhalten, welche das Gelände nach beendeter Kolmation planmäßig besitzen soll. Nicht minder wichtig ist die richtige Gefällbemessung für den Kolmationskanal, um diesen zur Abführung der im Wasser enthaltenen Sinkstoffe zu befähigen und zu verhüten, daß sie im Kanal liegen bleiben.

Zur Fortbewegung der Sinkstoffe sind an der Sohle des Kanals folgende Geschwindigkeiten erforderlich:


Kolmation

Die mittleren Profilgeschwindigkeiten werden diese Werte um etwa ein Drittel übersteigen müssen. Beim Gebrauch der üblichen Geschwindigkeitsformeln ist zu beachten, daß bei schlammreichem Wasser ein größerer Rauhigkeitskoeffizient einzuführen ist (bei der Ganguillet-Kutterschen Formel n mindestens = 0,030–0,035).

Das Kolmationsgebiet wird durch Dämme in passende Abteilungen zerlegt und das Wasser zwischen den Dämmen aufgestaut. Die Stauhöhe über der Bodenfläche beträgt meist 0,5–1,2 m; größere Stauhöhen werden wegen der Kosten der Dammschüttungen tunlichst vermieden, wenngleich die Aufhöhung naturgemäß um so rascher voranschreitet, je höher das Wasser über den Boden angestaut wird. Ueber die Größe der einzelnen Staubecken gibt es keine allgemeine Regel; sie hängt wesentlich von der Größe des Zuflusses ab. In Italien werden Staubecken von mehreren Quadratkilometern Flächengehalt angelegt; im allgemeinen gilt dort der Grundsatz, die Wassermengen nicht unnötig zu zersplittern.

Der Kolmationsbetrieb ist entweder ein unterbrochener oder ein dauernder. Beim unterbrochenen Betrieb bleibt das eingelassene Wasser einige Zeit ruhig im Kolmationsbecken stehen und wird dann in geklärtem Zustand abgelassen, um durch frisches Wasser ersetzt zu werden. Je häufiger der Wechsel, desto rascher die Auflandung. Der dauernde Betrieb wird namentlich bei geringer Zuflußmenge angewendet, wo eine häufige Erneuerung des Wassers nicht möglich ist. Das Wasser fließt dann in langsamer Bewegung von einem Staubecken in das andre; zu dem Zweck sind in den Zwischendämmen Einschnitte angebracht, die ein ruhiges Ueberfließen gestatten. Da bei dieser Betriebsweise die oberen Abteilungen sich naturgemäß rascher aufhöhen als die unteren, muß das Grabennetz so angelegt sein, daß nach Bedarf einer jeden Abteilung das frische schlammreiche Wasser zugeführt werden kann.

Ebenso wichtig wie die Zuleitung ist auch eine richtige Ableitung des geklärten Wassers aus den Kolmationsbecken. Die hierzu dienenden Ablaßschleusen müssen so eingerichtet sein, daß das Wasser von der Oberfläche – also mit Ueberfällen – und nicht am Boden – mit Grundablaß – abfließt, damit nicht die abgelagerten Sinkstoffe mitgerissen werden. Durch einen Abzugskanal mit freier Vorflut muß für eine vollständige und rasche Ableitung des zur Auflandung benutzten Wassers aus dem Kolmationsgebiet gesorgt werden.[568]

Die umfangreichsten Kolmationen sind in Südfrankreich an den Flüssen Var [7], Durance und Isère [6] ausgeführt, ferner in Italien. Von den italienischen Kolmationen sind besonders bemerkens wert jene im Chianatal und in den Maremmen von Toskana, welche als großartige Werke der Wasserbaukunst bezeichnet werden können. Die Kolmationsanlagen des Val di Chiana [9] erstrecken sich über ein in den beiden Provinzen Arezzo und Siena belegenes Gebiet von 65 km Länge und 5 km Breite von der Stadt Chiusi im Süden bis gegen die Stadt Arezzo im Norden, welches vom Chianafluß durchzogen wird. Durch den ungeordneten Zustand dieses Flusses und die zahlreichen, aus dem benachbarten Gebirge hervorbrechenden Wildbäche, deren massenhafte Geschiebe in der gesfällarmen Talsohle sich regellos ausbreiteten, wurde allmählich eine vollständige Versumpfung des Talbodens herbeigeführt, welche im Mittelalter ihren Höhenpunkt erreichte und den Aufenthalt von Menschen wie auch jegliche Bodenbenutzung unmöglich machte. An dem Problem der Entwässerung und Urbarmachung dieses Sumpfgebietes haben seit jener Zeit die bedeutendsten Techniker und Gelehrten, wie Galilei, Torricelli, Prony, Humboldt, Possenti u.a., sich versucht und die verschiedenartigsten Projekte vorgeschlagen. Zur Ausführung gelangte schließlich ein Entwurf, nach welchem die Herstellung des erforderlichen Abflußgefälles in der nahezu horizontalen Talsohle des Chianaflusses durch eine großartige Kolmation bewirkt werden soll, und zwar derart, daß die Gefällrichtung des Tales von Süd nach Nord mit Ausmündung in den Arno sich ergibt, während in früheren Jahrhunderten der Fluß in der umgekehrten Gefällrichtung in den Tiber sich ergossen hatte. Zu den schon im 14. Jahrhundert noch wenig planvoll begonnenen, erst in der neueren Zeit systematisch betriebenen Kolmationsarbeiten traten im vorigen Jahrhundert planmäßige Korrektionsarbeiten an dem Hauptgewässer und die Anlage größerer Kanäle in dem 14823 ha umfassenden Bonifikationsgebiete. Der Erfolg der wenngleich noch nicht vollendeten Arbeiten ist als ein hervorragender zu bezeichnen, indem der größere Teil des Gebiets bereits der Kultur zugeführt ist und der Wertzuwachs des Geländes die aufgewendeten Kosten bedeutend übersteigt, außerdem die ehedem gefürchteten Sümpfe beseitigt und die menschlichen Wohnstätten saniert sind.

Nicht minder bedeutend ist die Kolmation der Maremmen von Toskana [8], einer Gruppe von Sümpfen an der Westküste Italiens zwischen den Städten Civitavecchia im Süden und Livorno im Norden, welche ein Gebiet von 120 km Länge bei 24 km Breite mit einer Bonifikationsfläche von 14 967 ha umfassen.


Literatur: [1] Hagen, G., Handbuch der Wasserbaukunst, Berlin 1869, 1. Teil, Bd. 1. – [2] Perels, E., Handbuch des landwirtschaftl. Wasserbaues, 2. Aufl., Berlin 1884. – [3] Markus, E., Das landwirtschaftliche Meliorationswesen Italiens, Wien 1881. – [4] Nadault de Buffon, Hydraulique agricole. Des submersions fertilisantes, comprenant les travaux de colmatage, limonage, irrigations d'hiver, Paris 1867. – [5] Cossigny, J. Charpentier de, Notions élémentaires théoriques et pratiques sur les irrigations, Paris 1874. – [6] Choron, Die Kolmation im Iséretale, Annales des ponts et chaussées, 1871 Mai. – [7] Vigan, Historische und technische Abhandlung, betreffend die Eindeichung und Kolmation am linken Ufer des Varflusses, Annales des ponts et chaussées, 1872, Mai. – [8] Baccarini, A., Sul compinento delle opere di bonificazione nelle Maremme Toscane, Rom 1873. – [9]Possenti, C., Sulla sistemazione idraulica di Val di Chiana, Florenz 1866, 1867, 1868. – [10] Lanciani, F., Sul Fiume Lamone, Rom 1876.

Drach.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 567-569.
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