[85] Hochwasser, das Anschwellen eines Flusses zu außergewöhnlicher Höhe bezw. zu abnormal großer Wassermenge. Ursache des Anschwellens sind starke, insbesondere lange dauernde Regenfälle oder Schneeschmelzen in Verbindung mit Regenfällen oder besondere Ereignisse, wie Bruch von Mauern und Dämmen an Stauweihern, Teichen u.s.w. Regelmäßig im Frühjahr oder Sommer (in den Alpen) eintretende Schneeschmelzen und Gletscherschmelzen veranlassen die jährlich zu bestimmten Zeiten wiederkehrenden Hochwasser der Gebirgsflüsse in unserm Klima. Auch in andern Klimaten treten die Regenfälle zu bestimmten Zeiten mit bestimmter Dauer und damit auch die Hochwasser regelmäßig auf; im gemäßigten Klima aber ist abgesehen von den erwähnten Frühjahrs- und Sommerhochwassern der Zeitpunkt für das Eintreten starker und anhaltender Regenfälle und damit der Hochwasser meistens nicht vorauszusehen.
Die durch Pegelmessungen festzustellende Erhebung des Wasserspiegels an irgend einer Stelle des Flußlaufes nennt man den Wasserstand, aus welchem sich sodann dort, wo regelmäßige Beobachtungen und Messungen vorgenommen werden, die Wassermenge ohne weiteres aus Tabellen u.s.w. annähernd feststellen läßt. Wo dies nicht der Fall ist, muß die Hochwassermenge aus den Verhältnissen des Einzugsgebietes geschätzt werden. Man unterscheidet gewöhnliche Hochwasser, welche fast alljährlich mehr oder minder regelmäßig eintreten, und außergewöhnliche, größte oder Katastrophenhochwasser, die selten vorkommen (vgl. Wasserstände). Beim Steigen des Hochwassers ist das Spiegelgefälle und somit auch die Wassermenge etwas größer, beim Fallen etwas kleiner als bei gleichem Wasserstande des Beharrungszustandes. Vom Quellengebiete bis zum Unterlaufe erscheint das Hochwasser im Verhältnis zum Nieder- oder Mittelwasser nach und nach kleiner. Der Scheitel der Hochwasserwelle (die Kulmination des Hochwassers) schreitet gewöhnlich langsamer abwärts als die sonstige Strömung und wird zugleich niedriger.
Die Bestimmung der Hochwassermengen, welche durch beliebige Stellen eines Flußlaufes gehen, aus dem Einzugsgebiete und den Verhältnissen in demselben durch Rechnung ist mit sehr großen Schwierigkeiten verknüpft. Der einfachste Fall ist jener, bei welchem ein Wasserlauf das von beidseitigen Hängen herkommende Wasser aufnimmt und weiterführt. Beginnt der Regen, so wird eine bestimmte Zeit vergehen, bis die an den Wasserscheiden der Hänge gefallenen Regentropfen in den Wasserlauf gelangen; erst wenn dies geschehen ist, bildet sich im letzteren die eigentliche Anschwellung. Sie geht vom höchsten Punkte des Wasserlaufes aus und erst dann, wenn ein am höchsten Punkte vorhandener Wassertropfen durch eine tiefer gelegene Flußstelle durchgeht, geht auch die größte Flutwelle an der gedachten Stelle durch. Es muß also zuerst der maximale Seitenzufluß eingetreten sein, ehe sich die höchste Flut von oben nach unten entwickeln kann.
Liegt die Stelle M (Fig. 1), an welcher die Hochflut bestimmt werden soll, so, daß die Zeit, welche vergeht, bis der am obersten Ende in der Entfernung L von M gefallene Wassertropfen durch M abzieht, größer ist, als die Zeit, welche für den Beharrungszustand in der von den breitesten Hängen gelieferten maximalen Flut erforderlich wird, so kann man die nachfolgenden Betrachtungen für das Anschwellen und Abschwellen der eigentlichen Hochflut gelten lassen.[85]
Es sei angenommen, daß der das Hochwasser erzeugende Regen von der Zeitdauer t auf dem ganzen, zu einem betrachteten Flußquerschnitte M gehörenden Einzugsgebiete A niederfalle. Nur bei einem sehr großen Werte von A, wie z.B. für eine Stelle im Unterlaufe eines Stromes, müßte hierfür anstatt des Sammelgebietes nur das zur gleichen Zeit mögliche größte Regengebiet gesetzt werden. L (vgl. Fig. 1) sei die Länge des Abflußweges für den von M entferntesten Regentropfen und v die zugehörige mittlere Abflußgeschwindigkeit; q = mittlere pro Sekunde auf die Flächeneinheit fallende Regenmenge; ψ = Abflußkoeffizient, kleiner als 1, gebe jenen Teil des Niederschlages an, welcher wirklich zum Abfluß gelangt.
I. Fall. Langer Regen, Landregen, nämlich t L/v; derselbe ist bei großem A maßgebend. Dann ist die größte sekundliche Abflußmenge bezw. Hochwassermenge Q in M : Q = ψ q A. Der Verlauf des Hochwassers ist durch die Abflußkurve (Fig. 2) veranschaulicht. Vom Beginn des Regens gerechnet, kommt der größte Abfluß Q nach der Zeit, der Sammlungsdauer, τ1 = L/v zum Vorschein und dauert bis τ2 = t, die ganze Entwässerungsdauer ist: τ3 = t + L/v.
II. Fall. Verhältnismäßig kurzer, heftiger Regen, Schlagregen, Platzregen, t L/v, ist insbesondere bei kleineren und mittleren Werten von A in Rechnung zu ziehen. Das größte Hochwasser Q ergibt sich hierbei aus einer größten Abflußfigur, welches in dem Sammelgebiete (Fig. 1) durch Schraffierung hervorgehoben ist. Von den Punkten der schrägen Linien, wie m n und m n', komme der Abfluß zur gleichen Zeit wie von m in M an. Die Abflußfigur hat die Länge m m' = t · v; die Breite B = der größten mittleren Breite des zugehörigen Niederschlagsgebietes. Es ist dann: Q = ψ q B t v.
Ferner erscheint hier mit Bezug auf die Fig. 2:
τ1 = t + B'/2v; τ2 = L/v; τ3 wie früher = t + L/v.
III. Fall. Es sei ein ausgesprochenes Seitental vorhanden, von dessen Einmündungspunkt M' bis M die Abflußentfernung E betrage. Für dasselbe sowie für noch weitere Seitentäler wird man gleichwie für das Haupttal je eine selbständige Fig. 2 konstruieren. Diese Helle man so untereinander, daß jeder Anfangspunkt N' um das zugehörige E/v rechts von N zu liegen komme. Dann ergibt sich durch Summierung der in der nämlichen Vertikalen liegenden Ordinaten die totale Abflußkurve.
Größte Hochwasser (Katastrophenhochwasser) entstehen in der Regel, wenn der Boden bereits durch vorhergegangene Niederschläge mehr oder minder gesättigt ist, so daß für den darauffolgenden verhängnisvollen Regen der Wert ψ bis auf etwa 0,8 anwächst. Dem größeren t entspricht gewöhnlich ein kleineres q. Aus beobachteten Hoch wassern [1] [12] versuchte man auch diesbezügliche empirische Formeln abzuleiten, welche indessen nur mehr oder minder angenäherte Resultate liefern.
Nach Iszkowski [12] ist die größte Hochwassermenge in Kubikmetern pro Sekunde: Qmax = c m h A. Der Wert A hier sowie im nachfolgenden in Quadratkilometern. Es ist c für ein Gebiet im Tieflande, das sehr durchlässig bis mittel erscheint, 0,020,03, und nimmt zu, bis es fürs Hochgebirge, und zwar wenn sehr durchlässig, weniger oder mehr steil, auf 0,060,08, und wenn sehr undurchlässig auf 0,60,8 ansteigt. Der Koeffizient m ist für wachsende A stetig abnehmend, und zwar m = 9,5, 7,4, 4,7, 3,1, 2,6 für bezw. A = 10, 100, 1000, 5000, 50000 qkm. Dann h = mittlere jährliche Niederschlagshöhe in m.
Nach Lauterburg ist Qmax = c' A (114/(115 + 0,05 A) + 0,007), wobei für Niederung und Hügelland, wenn sehr durchlässig bis undurchlässig und wenig bis mittel steil, c' = 0,72,2, dann zunehmend und schließlich für die Alpenregion, desgleichen bis sehr steil, c' = 1,72,6.
Direkte Werte gibt die Größthochwassertabelle von Pascher [13]. Denselben entspricht 32 auch gut die von Kresnik aufgestellte einfache Formel: Q'max = α A 32/(0,5 + √A), worin α in der Regel = 1 ist und nur bei besonders abflußvermindernden Verhältnissen kleiner wird und bis etwa 0,6 herabsinkt. Für Einzugsgebiete kleiner als 1 qkm ist hier für √A wenigstens 1 einzusetzen.
In welchen Fällen der Ingenieurpraxis die größten Hochwasser zu berücksichtigen sind, ist im allgemeinen leicht zu entscheiden: überall dort, wo die Nichtberücksichtigung zu nicht [86] wieder gutzumachenden Schädigungen führen würde. Wo dagegen die Kosten, welche bei Berücksichtigung der größten Hochwasser entstehen, in der zwischen zwei Katastrophen liegenden Periode einen größeren Aufwand an Zinsen erfordern als der reichliche Schadenersatz bei Ueberschwemmungen, ist es nicht rationell, bei Ingenieurbauten die Maxima in Rechnung zu nehmen.
Die gewöhnlichen Hochwasser führen nur etwa die Hälfte bis ein Viertel der aus den Formeln für Qmax resultierenden Wassermengen. Im durchlässigen hügeligen Gelände pflegt man folgende Annahmen für den sekundlichen Hochwasserabfluß Q von 1 qkm zu machen, wenn A das Einzugsgebiet in Quadratkilometer bedeutet:
A < 1, | Q = 5 3 | cbm/sec |
A = 110, | Q = 3 1,5 | cbm/sec |
A = 1040, | Q = 1,51,0 | cbm/sec |
A = 40100, | Q = 1,00,6 | cbm/sec |
A = 100300, | Q = 0,60,5 | cbm/sec |
A = 300600, | Q = 0,50,4 | cbm/sec |
A > 600, | Q = 0,4 | cbm/sec |
Zwischenwerte sind durch Interpolation zu finden.
Indem wir noch auf die in Bd. 3, S. 164, mitgeteilte Formel der bayrischen Generaldirektion der Staatseisenbahnen für gewöhnliche Hochwasser verweisen, sei bemerkt, daß alle bisher mitgeteilten empirischen Annahmen keine Rücksicht auf die Dauer des Regens, der das Hochwasser veranlaßt, nehmen, also das wichtigste Moment unbeachtet lassen. Klunzinger hat diesem Uebelstande durch die empirische Formel:
Q = 0,006 · T hs(3t/T t3/T3)
abzuhelfen gesucht; es ist darin mit t die Dauer des Regenfalles, mit hs die größte Regenabflußhöhe in Millimetern in 24 Stunden, mit T = L/v (vgl. Fig. 1) die größte Abflußdauer bezeichnet.
Alle diese Angaben können auf absolute Zuverlässigkeit keinen Anspruch machen; man wird auch nie in die Lage kommen, die Hochwassermengen zutreffend zu bestimmen, denn selbst dann, wenn alle vorhandenen Beobachtungen über Niederschlagshöhen u.s.w. in unanfechtbaren Formeln dazu verwendet würden, so ist doch niemand imstande, vorherzusagen, ob nicht später noch größere und länger dauernde Niederschläge als die beobachteten eintreten, wodurch neue Grundlagen entstehen, mit denen man früher nicht rechnen konnte.
Zu beachten ist ferner, daß alle angegebenen Werte unzutreffend werden, wenn die Hochwasser sich oberhalb der Stelle M (Fig. 1) in einen See ergießen oder durch Stauweiher teilweise zurückgehalten werden u.s.w. Endlich ist auch dann, wenn Hochwasser und Eisgang zusammentreffen, der Vorgang schwer durch Rechnung bezw. empirische Formeln zu verfolgen.
Die Versuche, der Entstehung von Hochwassern und dem Fortschreiten der Flutwellen theoretisch beizukommen, sind zahlreich; wir verweisen auf [18] und [19], S. 381, wo sich weitere Literaturangaben finden. Zu unanfechtbaren Resultaten haben sie nicht geführt.
Die Hochwasservoraussage (Hochwasserprognose) entwickelt sich immer mehr zu einem wichtigen Dienst der hydrographischen Aemter. Zweck derselben ist die rechtzeitige Warnung vor gefährlichen Hochwassern; für Schiffahrtszwecke werden auch andre Wasserstände vorausgesagt [14], [16], [17]. Es gibt diesbezüglich drei Fälle, indem als Beobachtungsgrundlage für die Voraussage dienen: 1. Nur Wetternachrichten. Dies paßt bei einem Orte, der sich im obersten Teile eines Flußgebietes befindet, so daß zwischen dem Niederschlag und dem daraus folgenden Hochwasser ein zu kleiner Zeitunterschied verbleibt. Eine solche Voraussage ist aber wenig genau. 2. Ombrometrische Nachrichten aus dem genügend oberhalb des betreffenden Ortes befindlichen Einzugsgebiete. 3. Die Wasserstände, besser noch die sekundlichen Wassermengen der schon bedeutenderen geschlossenen Gerinne an den einflußnehmenden, hinreichend oberhalb gelegenen Pegelstationen. Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Regenhöhen und dem zu berücksichtigenden Sättigungsgrade des Bodens in den Fällen 1 und 2 sowie zwischen den oberen Wasserständen und -mengen im Falle 3 einerseits und dem daraus vorherzusagenden unteren Wasserstände anderseits muß durch mehrjährige Beobachtungen ermittelt werden. Interessante diesbezügliche Studien der Verhältnisse im deutschen Rheingebiete liefern [20] und [21].
Literatur: [1] Ergebnisse der Wasserstandsbeobachtungen an den Flüssen Böhmens, Prag, alljährlich. [2] Der Rheinstrom und seine wichtigen Zuflüsse, Berlin 1889. [3] Deutsche Bauztg. 1888, S. 266. [4] Beiträge zur Hydrographie des Großh. Baden, Karlsruhe, periodisch. [5] Franzius, Der Wasserbau, Leipzig 1892, 1. Abt., 1. Hälfte. [6] Weber v. Ebenhof, Die Etsch-Regulierung in Tirol und Italien, Wien 1892; auch Zeitschr. d. österr. Ingen.- u. Arch.-Ver. 1892. [7] Wochenschr. d. österr. Ingen.- u. Arch.-Ver. 1891, Karlsbader-Hochwasser. [8] Jahrbuch des k. k. hydrographischen Zentralbureaus, Wien, Jahrg. 1893 u. 1894. [9] Zeitschr. d. österr. Ingen.- u. Arch.-Vereins 1891, Moldau, S. 161. [10] Desgl. 1893, Wienfluß, S. 281. [11] Desgl. 1895, Donau bei Wien, S. 353. [12] Desgl. 1886, S. 69 u. S. 10. [13] Desgl. 1892, S. 322. [14] Desgl. 1894, S. 87 u. 105. [15] Desgl. 1896, S. 33. [16] Zeitschr. f. Bauwesen 1887, S. 599; 1894, S. 85 u. 283. [17] Annales des ponts et chaussées 1896, Taf. 33. [18] Lueger, O., Ueber Entstehung und Verlauf der Hochfluten, Zeitschr. d. österr. Ingen.- u. Arch.-Ver. 1885, S. 77 ff. [19] Encyklopädie der mathem. Wissenschaften, Bd. 4, S. 20, Hydraulik von Ph. Forchheimer, Leipzig 1906. [20] Honsell, M., Die Hochwasserkatastrophen am Rhein im November und Dezember 1882, Zentralblatt d. Bauverw. 1883, S. 39. [21] v. Tein, M., Ergebnisse der Untersuchungen der Hochwasserverhältnisse im deutschen Rheingebiet vom Zentralbureau für Meteorologie und Hydrographie in Baden, Bd. 3, Berlin 1897.
Lueger.
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