[583] Naphthalin, ein aromatischer Kohlenwasserstoff C10H8, der dem Benzol überaus ähnlich ist und die nebenstehende Konstitutionsformel besitzt, wonach das Naphthalin aus zwei Benzolkernen besteht, denen zwei in Orthostellung befindliche Kohlenstoffatome gemeinsam sind.
Das Naphthalin kristallisiert und sublimiert in glänzenden Blättern, schmilzt bei 79,2° C, siedet bei 218°, ist ungemein leicht flüchtig, besitzt einen charakteristischen Geruch und ist in kaltem Alkohol schwer, in heißem und in Aether leicht löslich. Mit Pikrinsäure liefert es eine kristallinische, schwer lösliche Doppelverbindung C10H8C6H2(NO2)3OH vom Schmelzpunkt 149°, die zur Charakterisierung des Naphthalins und zu dessen quantitativer Bestimmung im Steinkohlengas dient. Durch Oxydation mit Salpetersäure liefert es Phthalsäure. Das Naphthalin ist im Steinkohlenteer enthalten und wird aus den Leichtölen (s.d.), nachdem die Phenole aus diesem mittels Natronlauge abgeschieden worden sind, durch Destillation und Abkühlung der entsprechenden Fraktion gewonnen. Das auskristallisierte Naphthalin wird abgepreßt, nochmals destilliert, zur Entfernung der Brandharze einige Stunden unter Umrühren mit 1% Schwefelsaure geschmolzen und, nachdem es nach dem Erkalten von der Schwefelsäure abgetrennt worden, zu seiner völligen Reinigung der Sublimation unterworfen (s. darüber [2]). Das Naphthalin enthält gleich dem Benzol Wasserstoffatome, die durch die beim Benzol schon angeführten Gruppen [583] NO2, NH2, OH, SO3H, COOH, nach den ebenfalls dort besprochenen Gesetzmäßigkeiten substituiert werden können. Es leiten sich daher vom Naphthalin eine Reihe von Derivaten ab, die den entsprechenden Benzolkörpern durchaus analog sind. Die Wasserstoffatome des Naphthalins sind aber in bezug auf ihre Stellung nicht gleichwertig miteinander wie die des Benzols, sondern es sind in jedem Benzolkern des Naphthalins je zwei CH-Gruppen vorhanden, die dem gemeinschaftlichen Komplex entweder benachbart oder von diesem durch eine CH-Gruppe getrennt sind (in der Konstitutionsformel als α und β bezeichnet). Die α- und β-Wasserstoffatome sind also nur unter sich gleichartig, gegenseitig aber durch ihre relative Stellung voneinander verschieden. Daher existieren die Monosubstitutionsprodukte des Naphthalins schon in zwei isomeren Formen, die als α- und β- voneinander unterschieden werden. Ueber die künstlichen Synthesen und über die Reaktionen des Naphthalins, durch die der Naphthalinring aufgespalten wird, sowie über die Abkömmlinge des Naphthalins s. [1].
Als solches dient das Naphthalin zur Karburierung von Leuchtgas (Albokarbon) und als antiseptisches und konservierendes Mittel gegen Schimmel, Motten u.s.w. Weitaus der größte Teil des erzeugten Kohlenwasserstoffs wird aber entweder auf Phthalsäure verarbeitet, die ihrerseits zur Darstellung der Phthaleinfarbstoffe dient, oder er wird, nach Umwandlung in die entsprechenden Derivate, zur Herstellung von Azofarbstoffen, der Naphthalinfarbstoffe, verwendet. Die wichtigsten dieser Naphthalinderivate sind: α-Nitronaphthalin, C10H7 · NO2, das, aus Naphthalin mit Salpeterschwefelsäure entstehend, durch Reduktion α-Naphthylamin C10H7NH2H liefert. Das isomere β-Naphthylamin entsteht aus dem β-Naphthol mittels Chlorzinkammoniak. Die beiden Naphthole C10H7 · OH werden entweder durch Verschmelzen der entsprechenden Naphthalin-α oder β-Sulfosäuren mit Aetzkali oder aus den Naphthylaminen mittels der Diazoverbindungen gewonnen. Von Bedeutung für die Farbstofftechnik sind ferner eine Reihe von Naphthylamin- und Naphtholsulfosäuren geworden. S. Aromatische Verbindungen, Benzol und Farbstoffe, künstliche, organische.
Literatur: [1] Beilstein, Handb. der organ. Chemie, 3. Aufl., Hamburg und Leipzig 1896, Bd. 2, S. 178 ff. [2] Fischer, Handb. der chem. Technologie, Leipzig 1893, S. 642, 646, 705 ff. [3] Schmidt, Lehrb., der pharmaz. Chemie, organ. Teil, Braunschweig 1901.
Bujard.