Qualitätszahlen

[312] Qualitätszahlen (Wertziffern, Gütezahlen) sind Zahlen, durch welche die Qualität gewisser Materialien, insbesondere von Eisen und Stahl, zum Ausdruck gebracht werden soll. Früher wurde, abgesehen von Schlagproben, Biegeproben u s. w. für besondere Zwecke, häufig nur der Nachweis einer gewissen Zugfestigkeit gegen ruhende Last verlangt, so daß diese gewissermaßen als Qualitätszahl galt und ein Hinaufschrauben der Fertigkeit gegen ruhende Last auf Kosten andrer Eigenschaften, z.B. der Widerstandsfähigkeit gegen schnelle Spannungswechsel, Stöße und Erschütterungen, nahe lag. Da bei gleicher Güte des Rohmaterials und gleicher Sorgfalt der Fabrikation die »Zähigkeit« des produzierten Schweißeisens oder Flußeisens unter Umständen abnimmt, wenn die Fertigkeit wächst, während je nach dem Verwendungszwecke größere Fertigkeit oder größere Zähigkeit erwünscht sein kann, so durfte die Qualität des Materials sowohl im Interesse der Produzenten als der Konsumenten nicht nur nach einer dieser Eigenschaften beurteilt werden. Angesichts der immer weiter greifenden Verwendung des Eisens empfand man überdies das Bedürfnis nach einer Klassifikation des Materials, welche jedem die Gewähr böte, bei Bezug einer bestimmten Materialklasse auf gewisse Eigenschaften oder eine gewisse Verwendbarkeit rechnen zu können.

Einige Beispiele: Anfangs der 1880er Jahre führte der Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen [2] auf Veranlassung Wöhlers eine Klassifikation ein, bei welcher die Summe aus Zugfestigkeit pro Quadratmillimeter und Kontraktion (s.d. und Zerreißversuch) in Prozenten des ursprünglichen Querschnitts als Qualitätszahl diente. Folgende Zahlen geben die Minima, welche für die Einreihung in die verschiedenen Klassen verlangt wurden.


Qualitätszahlen

Die Zahlen für Eisenblech gelten in der Walzrichtung, während senkrecht zur letzteren 32 und 15 bezw. 30 und 9 genügen sollten. Gegen vorstehende Bestimmungen wurde besonders geltend gemacht, daß die Kontraktion zu sehr durch lokale Verhältnisse beeinflußt werde. Tetmajer [10], [11], [14] ging von der Arbeit für die Einheit Stabvolumen aus, welche die Zugkraft beim Zerreißversuch bis zum Bruche leistet (s. Arbeitskapazität, Bd. 1, S. 287). Da er diese Arbeit für eine bestimmte Materialgattung (Schweißeisen oder Flußeisen) nahezu proportional dem Produkte c = z λ von Zugfestigkeit z und Bruchdehnung λ = Δl/l pro Einheit der ursprünglichen Länge fand, so wurde c als Qualitätszahl gewählt und dabei z in Tonnen pro Quadratzentimeter gesetzt, während λ ein kleiner Bruch ist, womit auch c meist ein Bruch wird. Für Konstruktionsmaterial schlug Tetmajer folgende Anforderungen vor [14], S. 218:


Qualitätszahlen

[312] Nach den 1895 abgeänderten Würzburger Normen für die Prüfung der Materialien zum Bau von Dampfkesseln [15] wird die Qualitätszahl gebildet durch Addition der Zugfestigkeit in Kilogramm pro Quadratmillimeter und Bruchdehnung in Prozenten der ursprünglichen Länge. Andre Vorschläge von Qualitätszahlen s. [5]–[9] oder [12]. – Bei Bestimmung der Zugfestigkeit, Dehnung, Kontraktion u.s.w. behufs Ermittlung von Qualitätszahlen kommen in erster Linie normale Probestäbe und eventuell diesen geometrisch ähnliche Stäbe in Betracht (vgl. Proportionale Widerstände, Dehnung, Zerreißversuch).


Literatur: [1] Wöhler, Die Klassifikation von Eisen und Stahl, Deutsche Bauztg. 1876, Nr. 89. – [2] Denkschrift über die Einführung einer staatlich anerkannten Klassifikation von Eisen und Stahl, Organ f. d. Fortschr. d. Eisenbahnwesens, 7. Supplementband: Die Eigenschaften von Eisen und Stahl, Wiesbaden 1880. – [3] Tetmajer, Zur Frage der Qualitätsbestimmung von Eisen und Stahl, Eisenbahn 1881, II, S. 16, 92; 1882, I, S. 109. – [4] Wedding, Ueber die Bedingungen der Deutschen Eisenbahnverwaltung für die Lieferung von Schienen u.s.w., Glasers Annalen für Gewerbe und Bauwesen 1882, X, S. 63, 137, 149 (Vortrag und Diskussion, vgl. »Stahl und Eisen« 1881, 1882, 1889). – [5] Intze, Anwendung von Stahl im Vergleiche zu Schweißeisen, Wochenschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1882, S. 447. – [6] Hartig, Ueber die Konstanten der Zerreißungsfestigkeit und deren vergleichende Anordnung für verschiedene Materialien, Civilingenieur 1884, S. 93. – [7] Krohn, Beitrag zur Frage der Wertziffern für Konstruktionsmaterialien, ebend. 1884, S. 369. – [8] Ders., Ueber die Dimensionierung von Eisenkonstruktionen und über Wertziffern, Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1885, S. 153. – [9] Gollner, Ueber das Maß der Zähigkeit und Gleichartigkeit der Konstruktionsmaterialien, Technische Blätter 1886, S. 211; 1887, S. 171. – [10] Tetmajer, Mitteilungen der Anstalt zur Prüfung von Baumaterialien in Zürich, 3. Heft, 1886, S. VIII, 13, 56, 103 ff.; 4. Heft, 1890, S. 5, 30, 115 ff. – [11] Tetmajer, Die Baumechanik, Zürich 1889, S. 9. – [12] Weyrauch, Die Festigkeitseigenschaften und Methoden der Dimensionenberechnung von Eisen- und Stahlkonstruktionen, Leipzig 1889, S. 52. – [13] Martens, Handbuch der Materialienkunde für den Maschinenbau, Berlin 1898, S. 276. – [14] Tetmajer, Die angewandte Elastizitäts- und Festigkeitslehre, Leipzig und Wien 1904, S. 27, 218. – [15] »Hütte«, I, Berlin 1905, S. 517.

Weyrauch.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 312-313.
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