Elektrorohrposten

[169] Elektrorohrposten. Als treibende Kraft zum Fortbewegen der Sendungen dient bei den zur Ausführung gekommenen Haus- und Stadtrohrposten überwiegend die atmosphärische Luft in verdichtetem oder verdünntem Zustande; die von einer Luftpumpe (Gebläse, Kompressor) erzeugte Druck- bezw. Saugluft (von maximal 3 Atm. abs. bezw. minimal 1/3 Atm. abs.) wird den Apparaten und Fahrrohren dauernd oder nur zeitweise zugeführt, sei es mittelbar, unter Verwendung besonderer Speiseleitungen, Luftspeicher u.s.w., sei es ohne weitere Zwischenglieder (Unmittelbaranschluß der Linienanfangsapparate an die Maschinenstation).

Einige elektrische Anordnungen für Rohrposten sind jedoch von geschichtlichem Werte, für neuere Systeme liegen größere Versuchsanlagen vor. Die Versuche zur Herstellung elektrischer Rohrposten reichen bis auf 1860 zurück; zu dieser Zeit hat in Neuyork der Maschineningenieur Williams einige Konstruktionen von Solenoidbahnen mit motorlosen Torpedopistons entworfen. Größere Rohrpostprobeanlagen nach Williams Ideen kamen jedoch erst gegen Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zur Ausführung; die bekannteste hier einschlägige Rohrpostversuchsbahn für Briefbeutelsendungen ist die im Jahre 1890 bei Boston (Dorchester) erfolgte Ausführung.

Die elektrische Post von Williams in Neuyork (1860) beruhte darauf, daß eine vom Strom durchflossene Drahtspule ein Eisenstück, also auch z.B. einen eisernen Karten, in sich hineinsaugt. Der zur Aufnahme der Post dienende Wagen lief auf Rädern zwischen zwei senkrecht übereinander gelagerten Schienen, die auf einem Gerüst ruhten, und von welchen die untere den Strom zuführte. Um die Schienen waren in gleichen Zwischenräumen elektrische [169] Spulen gewickelt; jede der letzteren trug einen magnetischen Anker, der beim Eintritt eines Wagens in eine Spule diese selbsttätig in den Stromweg einschaltete, um sie, bevor die Mitte des Wagens die Spule durcheilt hatte, durch Stromunterbrechung wieder auszuschalten, während gleichzeitig die nächstfolgende Spule elektrisch einbezogen wurde. In denjenigen Spulen, in denen der Wagen zum Stillstand kommen sollte, wurde der Anker so angeordnet, daß er den Strom unterbrach. Die Betriebslänge der nach dieser Idee Williams 1890 in Dorchester gebauten elektrischen Rohrpostlinie von 500 mm Außendurchmesser betrug rund 1 km. Auf einem starken Holzgerüste bezw. in einem Kanal waren in Zwischenräumen von rund 2 m elektrodynamische Schraubendrähte (Solenoide) gelagert (mit Kupferdraht umwundene Eisenhülsen); durch die Stirnseite dieser Spulen führten zwei Eisenschienen, ein oberer und ein unterer Schienenstrang. Parallel zum unteren befand sich der Stromzuführungsdraht, welcher bedarfsweise durch Arme mit dem oberen Schienenstrang in Verbindung stand. Der untere Schienenstrang war an die 20 PS-Dynamo der Kraftstation angeschlossen. Die rund 31/2 m langen eisernen Transportwagen (von rund 150 kg Eigengewicht) nahmen die Sendungen auf; sie hatten die Form von Torpedos; Führungsrädchen für die obere und untere Schiene sicherten den Verkehr. Im Durchmesser waren die Torpedowagen kleiner als die innere Weite der Solenoide, um durch letztere leicht hindurchfahren zu können (300 mm Nutzdurchmesser der Wagen, also von rund 2 hl Nutzinhalt). Der von der Dynamo gelieferte Strom schloß sich, sobald der Wagen mit seiner Spitze in einen der Solenoide eindrang, und öffnete sich, sobald die Mitte der betreffenden Spule erreicht war. Die vom Strom hervorgerufene magnetische Anziehungskraft der Solenoide bewirkte absatzweise die Vorwärtsbewegung der Torpedowagen. Bei der Dorchester Versuchsbahn erreichte der Torpedowagen eine Geschwindigkeit von etwa 50 km in der Stunde.

Ähnliche Konstruktionen sind die im Jahre 1905 in Paterson (Neujersy) hergestellten Versuchsbahnen für 1 m Rohrweite (Induktionsspulen zwischen den Schienen) und einige den Siemens-Schuckert-Werken, Berlin, patentierte Systeme. Depeschenrohrposten elektrischer Betriebsweise (für kleine Fahrrohrquerschnitte) mit Motoreinbau in die Rohrpostbüchsen wurden seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts wiederholt entworfen; zu größeren praktischen Versuchen kam es jedoch nicht. Elektrische Rohrposten mit Motorpistons gelangten erst in jüngster Zeit und zwar für größere Rohrquerschnitte zu umfangreicheren Probebetrieben, z.B. in Cambridge (Mass.) im Jahre 1912. Dem Verwirklichen der zahlreichen Vorschläge, die Rohrposten elektrisch zu betreiben, stehen Hindernisse entgegen, die wenigstens für kleine Rohrquerschnitte bis jetzt noch als unüberwindlich anzusehen sind; es liegt den einschlägigen Versuchsanordnungen der Gedanke zu Grunde, den kleinen, durch Elektromotoren angetriebenen Wagen, welche die Sendungen aufzunehmen hätten, elektrische Energie durch eine im Rohr untergebrachte Oberleitung zuzuführen. Da aber sowohl letztere als auch die Fahrschienen der Abnutzung unterworfen sind, so ergibt sich die wesentliche Forderung, daß das Innere des Rohres leicht zugänglich ist; sein Durchmesser müßte also dem der meisten bei Depeschenstadtrohrposten üblichen Maßen (57 bis 80 mm) um ein Vielfaches überschreiten. (Schwierigkeiten und Kostspieligkeiten der unterhaltungstechnischen Arbeiten ohne unmittelbare Zugänglichkeit zum Innern der Fahrrohre.) Beim Einbau größerer Rohre, welche den Zutritt ohne weiteres ermöglichen, entstehen, abgesehen von den teuren Rohr- und Apparatlieferungs- bezw. Montagekosten, besondere Mehrungen des Bauaufwandes dadurch, daß derartige Rohre in der Regel nicht mehr (wie bei der Mehrzahl der bisherigen Rohrbettungen für die Depeschenrohrposten) im Boden der Gehbahnen untergebracht werden können, unter denen der Raum für sonstige Tiefbauobjekte ohnehin meist stark in Anspruch genommen ist; das Tunnelrohr müßte vielmehr fast immer in die Fahrbahnzone verlegt werden. Führerlose Brief- und Paketpostuntergrundbahnen elektrischen Betriebes in Kanälen, kreisförmigen, ovalen u.s.w. Querschnittes, verhältnismäßig großer Abmessungen, sind ganz neuen Datums; Siemens & Halske erwarben schon im Jahre 1897 wichtige Patente von Elektroposten ähnlich den heutigen Untergrundstadtbahnen; durchschlagende Projekte und Ausführungen von solchen elektrischen Briefpost- und Paketuntergrundbahnen (ohne Fahrbegleiter) kamen jedoch erst im letzten Jahrzehnt zustande.

Die Bostoner American Pneumatic Service Company, im Briefbeutel-Luftrohrpostwesen Nordamerikas vorherrschend, hat im Jahre 1912 in Cambridge (Mass.) eine Versuchsbahn zum Betrieb von elektrischen Motorpistons gebaut; das Bahnsystem soll zur Beförderung von Paketen, Postsäcken und Waren dienen, entweder bei unterirdischer Anordnung oder bei ausnahmsweise erfolgender Verlegung im Freien. Die Betriebseröffnung für die rund 500 m lange Fahrstrecke fand im November 1912 statt. Ein Teil der Linie befand sich in einem Gußeisenrohr von etwa 75 cm Innendurchmesser, der übrige Abschnitt der Versuchsanlage ruhte auf einem offen zugänglichen Eisengerippe gleichen Innendurchmessers. Die elektrische Bahn, deren Rohrdurchmesser und Transportgefäße innerhalb gewisser Grenzen vergrößert werden können, soll insbesondere die Briefbeutelbeförderung auf unterirdischem Wege oder auf der Oberfläche in technisch und wirtschaftlich günstigerer Weise ermöglichen, als die Pneumatik oder der Postwagenbetrieb und zwar infolge der Möglichkeit der Zuweisung längerer Linien an je eine maschinelle Anlage, wegen des größeren Fassungsvermögens der Transportgefäße, rücksichtlich der geringeren[170] Betriebskosten (infolge Wegfalles der als Totlast in Rechnung kommenden Förderluft) bezw. wegen Ersparung an Bedienungsmannschaft für die Wagenbegleitung, der Ununterbrochenheit der Verkehrsabwicklung u.s.f. Das Anhalten der Züge sowie das Umleiten auf Nebengleise betätigt sich automatisch.

Die Gleisanlage in den kreisrunden Rohren bezw. im Rohrgerippe ist vierteilig: Auf einer unteren Schiene läuft der Wagen; sie bewerkstelligt außerdem die Kraftstromrückleitung; zwei seitliche Gleise dienen zur Führung der Wagen und eine obere, elektrisch isolierte Schiene wird zum Anschluß der elektrischen Kraft an die Wagen benutzt. Der Einbau des Bahnsystems in einen gußeisernen Rohrstrang ist die Normalausführung, wenn das Verlegen in einem Graben vorgenommen werden kann; es kommt die Verwendung eines Rohrgerippes lediglich in Frage, wenn die Bahn auf der Oberfläche gebaut werden muß oder falls zwei Stränge in einem einzigen großen Kanal aus Ziegeln oder Beton anzuordnen sind. Die eisernen Motorwagen mit vier, den letztbezeichneten Schienenführungen entsprechenden Räderpaaren und mit einer den elektrischen Trambahnen (im Prinzip) ähnlichen Technik des Triebwerkes hatten rund 1,5 m Nutzlänge bei etwa 2,5 m Außenmaß (von Puffer zu Puffer bestimmt) und rund 4 hl Nutzinhalt. Vor dem Ablassen des Zuges wird am Motorwagen ein Zielmechanismus eingestellt, welcher überdies anzeigt, auf welcher Stelle der Zug halten soll. Beim Herannahen des Bestimmungsortes wurden die Fahrzeuge durch eine von dieser Steuerung in Tätigkeit gesetzte Stationsschaltanlage nach Bedarf aus dem Hauptschienenstrang auf ein Nebengleis umgeschaltet. Sobald der Zug den Zielbahnhof erreichte, hielt er durch besondere Hemmschuhe und unter dem Einflusse automatischer Bremsungen an. Die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit der aus Motorwagen und mehreren Anhängern bestandenen Züge war rund 30 bis 35 km/Stde.; sie konnte von den Kraftstationen aus reguliert werden. Außer den Anlaß- und Anhalteautomaten der Bahnhöfe erhielten diese noch Vorrichtungen zum Betätigen der Drehscheiben behufs Wenden der Wagen oder für allenfallsige Umleitungen auf Anschlußgleise. Die Wagen befuhren die Bahnhöfe entweder an der einen Stationsflucht und verließen sie an der gegenüberliegenden (Durchgangsstellen) oder es trafen die Züge an der einen Seite ein und entfernten sich wieder in gleicher Richtung nach Durchfahren einer Schleife oder von Nebengleisen (Drehscheibenbenutzung). Eine elektrische Umsteuerungsvorrichtung an dem Wagen ermöglichte es, die Züge in jedem Sinne in Bewegung zu setzen. (Vorausfahrten und Rückbewegungen.) Während bei den vorstehend angedeuteten Bahnsystemen die Beförderung der Briefbeutel oder Pakete grundsätzlich innerhalb von Rohren oder Rohrgerippen erfolgt, deren Durchmesser in der Regel 1 m nicht überschreitet, kommen bei elektrischen Tunnelbahnen für Postzwecke, wie sie in neuester Zeit projektiert bezw. ausgeführt werden, meist andere Fahrbahnquerschnittsformen in Betracht, und zwar unter Festlegung erheblich größerer Abmessungen für den lichten Raum. Die tiefbautechnischen Gesamtanordnungen hierfür entsprechen jenem der städtischen Untergrund- und Unterpflasterbahnen für Personen- und Güterverkehr; dem pneumatischen oder dem elektrischen Rohrpostsystem kommen die zum elektrischen Selbstfahren eingerichteten Postuntergrundbahnen betrieblich am nächsten; ihre wirtschaftliche und betriebstechnische Eigenart ist durch die Massenhaftigkeit in den Beförderungsleistungen, die vielseitige Verwendbarkeit der Transportgefäße (für Sendungen ziemlich beliebiger Größen) und die Billigkeit des Betriebes gekennzeichnet.

Ausführungsbeispiele: München, Berlin, London u.s.w.

Literatur: Schwaighofer, Hans, Rohrpostfernanlagen, München 1916, S. 7 und S. 353; »Helios«, Leipzig 1918, S. 276.

Schwaighofer.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 169-171.
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