Elektrische Kraft

[628] Elektrische Kraft. Elektrizität kann sich im Gleichgewichtszustand nur auf der Oberfläche der Leiter, niemals in ihrem Innern befinden. Denn da die Teile ein und derselben Elektrizitätsart sich gegenseitig abstoßen, so werden sie auseinander weichen, bis ein Nichtleiter ihrem Entweichen eine Grenze setzt, was eben an der Oberfläche eines isolierten Leiters stattfindet. Hat man z. B. eine auf einem Glasfuß stehende Metallkugel elektrisch gemacht und bedeckt sie nun mit zwei an gläsernen Griffen gehaltenen hohlen Halbkugeln, so erweist sich nach Wegnahme der letztern die Kugel ganz unelektrisch; ihre Elektrizität ist auf die Halbkugeln, die einen Augenblick ihre Oberfläche bildeten, übergegangen. Stellt man auf eine isolierte Metallplatte ein Metallsäulchen mit elektrischem Pendel und führt der Metallplatte Elektrizität zu, so wird das Pendel von dem Metallsäulchen lebhaft abgestoßen; deckt man jetzt eine Glocke aus Drahtgewebe darüber, so hängt das Pendel an dem Säulchen schlaff herab; es ist jetzt in das Innere des ganzen Leiters versetzt, auf dessen Oberfläche sich alle Elektrizität begeben hat. Bringt man eine leitende elektrische Kugel mit einer ihr genau gleichen unelektrischen in Berührung, so sind nach der Trennung beide Kugeln gleichnamig und gleichstark elektrisch, jedoch schwächer, als die erste Kugel vor der Berührung war, was am elektrischen Pendel nachgewiesen werden kann. Die ursprüngliche Ladung der ersten Kugel hat sich also auf beide Kugeln zu gleichen Hälften verteilt. Elektrische Ladung kann sonach in meßbarer Weise geteilt und daher auch vervielfacht werden, und man ist imstande, die Menge oder Masse gegebener elektrischer Ladungen in Zahlen anzugeben. Mittels der Drehwage hat Coulomb dargetan, daß zwei elektrische Teilchen sich gegenseitig anziehen oder abstoßen mit einer Kraft, die im geraden Verhältnis der wirkenden Elektrizitätsmengen und im umgekehrten Verhältnis des Quadrats ihrer Entfernung steht (Coulombs Gesetz). Dieses Gesetz folgt übrigens schon aus der Tatsache, daß die Elektrizität im Falle des Gleichgewichts nur an der Oberfläche eines Leiters ihren Sitz hat. Denn im Innern einer Kugel, auf deren Oberfläche Elektrizität gleichmäßig ausgebreitet ist, kann nur dann elektrisches Gleichgewicht herrschen, wenn das Gesetz des umgekehrten Quadrats der Entfernung gilt. Sind die Elektrizitätsmengen in Coulomb gemessen m und M, der Abstand r Meter, so ist die anziehende oder abstoßende Kraft gleich dem Gewicht von (9.109)/g.(m. M)/r2 kg (g = 9,81 für mittlere geographische Breite). Zuweilen benutzt man statt Coulomb elektrostatische Einheiten zur Messung der Ladung und Dynen statt Kilogramm. Dann ist die Kraft K = (m. M)/r2 Dynen, wenn r in Zentimetern gemessen ist. Befinden sich M Coulomb in einem beliebigen elektrostatischen Felde, so ist die auf sie wirkende Kraft = (9.109)/g. H.M kg, wenn H die Feldintensität, auch elektrische Kraft schlechthin genannt, bedeutet. Sie ist bei Wahl dieser Einheiten die Kraft auf die Elektrizitätsmenge g/9.109 Coulomb. Bei Wahl der genannten andern Einheiten ist sie die Kraft auf eine elektrostatische Einheit ausgedrückt in Dynen. Bei beliebigen Systemen elektrischer Körper kann man am leichtesten eine Übersicht über die auftretenden Kraftwirkungen erhalten, indem man die Kraftlinien konstruiert und diese als gespannte, sich gegenseitig drückende elastische Fäden betrachtet, die sich zusammenzuziehen suchen und deshalb auf die Körper, an die sie angeheftet sind, einen Zug ausüben, gleichzeitig aber das Bestreben haben, sich der Quere nach auszudehnen und so den sogen. elektrischen Druck veranlassen. S. auch die Artikel »Elektrische Influenz, Elektrische Feldintensität und Elektrizitätsmenge«.

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Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 628.
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