Exorzismus

[219] Exorzismus (griech.), »Beschwörung«, besonders Beschwörung und Austreibung böser Geister, Teufelsbannung. Aus Tertullian und Origenes erhellt, daß in der christlichen Kirche jahrhundertelang die Gabe, Teufel austreiben zu können, zu den Privilegien jedes Christen gerechnet wurde. Ja, es gab hierfür seit Mitte des 3. Jahrh. auch ein eignes Kirchenamt, das zu den vier ordines minores gerechnet ward und in der Fiktion der katholischen Kirche noch heute steht (s. Exorzist). Am bekanntesten wurde der E. bei der Taufe, wo er seinen Ursprung der Voraussetzung verdankt, daß der bisher von den Täuflingen geübte Götzendienst Teufelswerk sei. Zunächst entstand hieraus nur die Renuntiatio oder Abrenuntiatio diaboli, d. h. die Teufelsentsagung oder die feierliche Verzichtleistung des Täuflings auf alles Heidnische; bald aber kam als Ergänzung derselben die Beschwörung des Teufels durch den Tausenden hinzu, welch letztere man mit den Dämonenaustreibungen im Neuen Testament rechtfertigte. Mit dem 4. Jahrh. kam der E. auch bei der Kindertaufe in Gebrauch, indem der Priester oder der ihm assistierende Exorzist den unsaubern Geist erst aus dem Täufling aushauchte (exsufflatio) und ihm alsdann den Heiligen Geist symbolisch einhauchte (insufflatio), wie dies noch jetzt die Praxis der katholischen Kirche ist. Die dabei gebräuchlichen Formeln waren und sind teilweise noch jetzt: »Fahre aus, du unreiner Geist, und gib Raum dem Heiligen Geist!« oder: »Ich beschwöre dich bei dem Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, daß du ausfahrest und weichest von diesem Diener Jesu Christi!« Die schweizerischen Reformatoren verwarfen den E.; die Lutheraner dagegen verteidigten ihn mit großer Hartnäckigkeit, obwohl Luther ihn nicht gerade für unerläßlich erklärt hatte, und selbst streng orthodoxe Theologen in ihm lediglich eine nützliche Mahnung an die geistige Herrschaft des Satans und an die heilbringende Wirksamkeit der Taufe sahen. Nachdem der E. im 18. Jahrh. fast ganz außer Gebrauch gekommen war, wurde die Erinnerung an ihn durch die Berliner Hof- und Domagende (1822) wieder geweckt, und neuerdings gehört er wieder besonders im Norden und Osten Deutschlands zur offiziellen Religion und kirchlichen Korrektheit, während Privatexorzismen zum öffentlichen Unfug gerechnet werden. Vgl. Krafft, Ausführliche Historie vom E. (Hamb. 1750); Koldewey, Der E. im Herzogtum Braunschweig (Wolfenb. 1893).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 219.
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