Goncourt

[122] Goncourt (spr. gongkūr), Edmond de und Jules de, franz. Schriftstellerpaar, der ältere geb. 26. Mai 1822 in Nancy, gest. 16. Juli 1896 in Champrosay bei Paris, der jüngere geb. 17. Dez. 1830 in Paris, gest. daselbst 20. Juni 1870, waren Söhne eines Schwadronschefs der Kaiserzeit und Enkel von Jean Antoine Huon de G., einem Deputierten der Nationalversammlung von 1789. Sie betraten zuerst 1851 die schriftstellerische Laufbahn, die sie immer vereint verfolgten. Von einem ernsten Streben beseelt und durchaus selbständigen Kunstanschauungen huldigend, waren die Brüder G. auf dem Felde des Romans neben Flaubert die Führer der modernen naturalistischen Schule, in der sie mit diesem gewissermaßen den rechten, aristokratischen Flügel bildeten, während Zola den jüngern linken und demokratischen befehligte. Ihr Stil ist überaus sorgfältig gepflegt, ihre Sprache reich, aber nicht selten affektiert. Den Grundton ihrer Romane bildet eine melancholische, pessimistisch resignierte Weltansicht. Wir nennen davon: »Les hommes de lettreh« (1860; neue Aufl. u. d. T.: »Charles Demailly«, 1869); »Sœur Philomène« (1861); »Renée Mauperin« (1864); »Germinie Lacerteux« (1865); »Manette Salomon«, eine Erzählung aus dem Pariser Künstlerleben (1867), und »Madame Gervaisais« (antiklerikal, 1869). Daneben haben die Brüder G. auf dem Gebiete der Kunst- und Kulturforschung in den Werken: »Histoire de la société française pendant la Révolution« (1854), »La société française pendant le Directoire« (1855), »Portraits intimes du XVIII. siècle« (neue Aufl. 1878, 2 Bde.), »Sophie Arnould, d'après sa correspondance« (1857, 2. Ausg. 1876), »Histoire de Marie-Antoinette« (1858; deutsch, 3. Aufl., Wien 1867), »Les maîtresses de Louis XV« (1860), »La femme an XVIII. siècle« (1862), »L'art au XVIII. siècle« (3. Aufl. 1883, 2 Bde.), »Gavarni, l'homme et l'artiste« (1873), »L'amour an XVIII. siècle« (1875) u.a. Vorzügliches geleistet und sich namentlich für die Kunst- und Sittengeschichte des 18. Jahrh. als geradezu klassisch erwiesen. Nach dem Tode Jules' de G. veröffentlichte Edmond allein noch die ultrarealistischen Romane: »La fille Élisa« (1878), die Geschichte einer Straßendirne, die unzählige Auflagen erlebte, »La Faustin« (1882) und »Chérie« (1885); ferner »Les frères Zemganno« (1879), ein rührendes Denkmal der Bruderliebe, »L'Italie d'hier. Notes de voyages 1855–1856«, mit Randzeichnungen von Jules de G. (1894), sowie zwei schätzenswerte räsonierende Kataloge: »L'œuvre de Watteau« (1876) und »L'œuvre de Prud'hon« (1877); »La Saint-Huberty, d'après sa correspondance« (1882); »Mlle. Clairon« (1890); »La Guimard« (1893), diese drei unter dem Kollektivtitel: »Les actrices du XVIII. siècle«; Briefe seines Bruders: »Lettres de Jules de G.« (1885); »Préfaces et manifestes littéraires« (1886); »Journal des Goncourt« (1887–96, 9 Bde.), die wichtigste Fundgrube für die Geschichte des Naturalismus in Frankreich; »La maison d'un artiste«, die Beschreibung der Kunstsammlungen, die das Haus der beiden Brüder in Auteuil umschließt (1881), und damit verwandt: »Outamaro« (1891), eine Übersicht des Wirkens des japanischen Malers und Karikaturenzeichners. Das Mißgeschick, welches die beiden Brüder 1865 mit ihrem realistischen Drama »Henriette Maréchal« hatten, wurde reichlich ausgeglichen durch den Erfolg, den Edmond de G. allein mit der Bearbeitung von »Germinie Lacerteux« und »La fille Élisa« auf Pariser Bühnen erntete. Vgl. Delzant, Les G. (1889).

Académie des Goncourt nennt sich ein von Edmond de G. durch sein Testament gestifteter Schriftstellerverband von zehn Mitgliedern. Nach Goncourts letztem Willen soll jedes Mitglied einen Jahresgehalt von 6000 Fr. beziehen und jedes Jahr das Prosawerk eines Schriftstellers mit einem Preise von 10,000 Fr. gekrönt werden. Das Testament bezeichnete bloß acht Akademiker, nämlich Alphonse Daudet (gest. 1897), Gustave Geffroy, Léon Hennique, K. J. Huysmans, Paul Margueritte, Octave Mirbeau, Joseph-Henri Rosny und Iustin Rosny. Da der Ertrag der Versteigerung der von G. hinterlassenen Kunstschätze das nötige Kapital für seine Stiftung nicht vollständig ergab, kam die Begründung der Akademie, die im Gegensatze zu der alten Académie Française die neuern Richtungen der Literatur und nur die Prosa begünstigen soll, erst im Frühjahr 1904 zustande. An den Platz des verstorbenen Alphonse Daudet trat dessen Sohn Léon; Lucien Descaves und Elémir [122] Bourges erhielten die zwei offenen Sitze. Den ersten Preis des Jahres 1904 trug der bis dahin ganz unbekannte John-Antoine Nau für den krausen Irrenhausroman »Force Ennemie« davon.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 122-123.
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