[409] Kabylen (arab. Qabail, »Stämme«, Mehrzahl von Kabil), ein zur hamitischen Familie gehöriges Volk berberischer Abstammung in Algerien und Tunis,[409] dessen Zahl für ersteres auf 760,000 berechnet wird. Ursprünglich reine Berber, haben sie seit alters fremde, besonders arabische Beimischung erhalten. Sie sind mittelgroß, starkknochig, von dunkelbrauner, ins Schmutziggelbe spielender Hautfarbe. Sie sind sämtlich Mohammedaner, seßhaft, gastfrei, halten fest an der Blutrache, wohnen in Dörfern, treiben Ackerbau (Spatenwirtschaft), mehr aber Viehzucht, sind geschickte Weber und Schwertfeger und bearbeiten die Eisen- und Bleibergwerke des Atlas. Man findet Wassermühlen, Teppichwirkereien und Töpfereien bei ihnen; besonders heimisch aber ist die Ölbereitung. Auch wandern jährlich Tausende als Lastträger und Arbeiter in die Städte, um nach Erwerb einer kleinen Summe in die Heimat zurückzukehren. Grammatiken ihrer zu dem hamitischen Sprachstamm gehörigen Sprache lieferten Hanoteau (Algier 1858), Basset (Par. 1887), Belkassem (das. 1887), ein »Dictionnaire français-kabyle« Huyghe (Mecheln 1903). Proben ihrer Volkspoesie veröffentlichten Hanoteau (Algier 1867), Rivière (Par. 1883), Basset (in den »Bulletins de correspondance africaine«, Algier 1885), Rinn (in der »Revue Africaine«, Par. 1887) u. a. Unter den verschiedenen Stämmen der K. besteht eine Art von traditionellem Bündnis (Soff), das in Fällen gemeinsamer Gefahr ins Leben tritt. Ihre Verfassung ist rein demokratisch. Jeder Stamm (Artsch) teilt sich in so viel Bezirke (Charuba), wie er Täler oder Berge besetzt hält; der Amine ist der Anführer im Kriege, der Richter im Frieden. Die wahre Macht ruht in der Sawia, der von Marabuts gebildeten kirchlichen Gemeinde. Die Gesetzgebung geht von der Dschemma, der Gemeindeversammlung, aus. Die von der Sawia erhobenen Steuern dienen zur Speisung der Armen, den Zwecken der Gastfreundschaft und für den Unterhalt der den Marabuts übergebenen Kinder. In jeder Sawia befinden sich eine Moschee oder Kubba (Kapelle), die sich über dem Grab eines heiligen Marabut erhebt, eine Schule und Wohnungen für Schüler und Gelehrte, Bettler und Reisende. Das von den K. Algeriens bewohnte Kabylien, der meist sehr gebirgige östliche Küstenstrich zwischen Wadi Isser und Wadi Kebir, zerfällt in Großkabylien, ein reichbewässertes, fruchtbares Bergland, das in Dreiecksgestalt zwischen den Küstenplätzen Dellis und Dschidschelli und dem Setif im S. sich ausdehnt und durch den Dschurdschura genannten Teil des Kleinen Atlas in zwei Hälften geteilt wird, und in Kleinkabylien, das östlich an das vorige grenzt und von Dschidschelli bis Philippeville reicht. Vgl. Hanoteau und Letourneux, La Kabylie et les coutumes kabyles (Algier 1873, 3 Bde.); Farine, Kabyles et Kroumirs (Par. 1881); Liorel, Races berbères. Kabylie du Jurjura (das. 1893); Ficheur, Description géologique de la Kabylie du Djurjura (Algier 1890); Charveriat, A travers la Kabylie et les questions kabyles (das. 1900); Wilkin, Among the Berbers of Algeria (Lond. 1900).