Kraszewski

[599] Kraszewski (spr. krasch-), Józef Ignacy, der fruchtbarste poln. Schriftsteller der Neuzeit, geb. 28. Juli 1812 in Warschau, gest. 19. März 1887 in Genf, erwarb sich seine Schulbildung in Biala, Lublin und Swislotsch, studierte in Wilna Geschichte, Literatur und Sprachen, kam beim polnischen Aufstand in Gefangenschaft und lag 1831 im Spital. 1833 ging er auf das väterliche Gut Dołhe (Gouv. Grodno), pachtete 1837 das Gut Omelno in Wolhynien, erwarb 1840 Gródek und 1849 Hubin. Von hier zog er 1853 nach Shitomir, wo er verschiedene Ehrenämter bekleidete, und siedelte 1860 nach Warschau über, um die Redaktion der »Gazeta codzienna« (später »Gazeta Polska«) zu übernehmen (1841–52 hatte er das »Athenaeum« [Wilna] herausgegeben). 1863 ausgewiesen, begab er sich nach Dresden, wo er seitdem wohnte und 1876 sächsischer Staatsangehöriger wurde. Am 6. Okt. 1879 wurde sein 50jähriges Schriftstellerjubiläum zu Krakau in großartiger Weise gefeiert. 1884 wegen Landesverrats in einen Prozeß verwickelt, wurde K. vom Reichsgericht in Leipzig zu 31/2 Jahren Festungshaft verurteilt, die er in Magdeburg antrat; 1885 erhielt er gegen eine Kaution zur Herstellung seiner Gesundheit einen sechsmonatigen Urlaub nach der Schweiz und Oberitalien, von dem er nicht zurückkehrte. Er wurde in Krakau beigesetzt. K. hat sich auf allen Gebieten der poetischen und prosaischen Literatur versucht; seine wesentlichsten Erfolge liegen jedoch auf dem des Romans, wo er durch seine anziehenden Schöpfungen die Alleinherrschaft brach, die lange Zeit der französische Roman in der höhern Gesellschaft von Polen ausgeübt hatte. Seine Erzählungen, die allein die Zahl von 400 Bänden erreicht haben, zerfallen ihrer Tendenz nach in zwei verschiedene Kategorien. Bis 1863 behandeln sie ausschließliche soziale Stoffe im weitern Begriff des Wortes. Sein Erstlingswerk : »Pan Walery« (Wilna 1831), wie auch einige spätere wurden gleichgültig aufgenommen. Erst durch den Roman »Poeta i świat« (»Der Dichter und die Welt«, Posen 1839; deutsch, Stuttg. 1886) wurde K. der Liebling des polnischen Publikums. Zu den besten Romanen der ersten Periode gehören: »Ulana« (Wilna 1843), »Kordecki« (das. 1852), »Chata za wsią« (»Die Hütte hinter dem Dorfe«, Petersb. 1854–55). Nach seiner Übersiedelung nach Dresden betrat K. das Gebiet des politischen Tendenzromans und sprach nun unter dem Pseudonym Bolesławita alles aus, was er bis dahin in seinem Innersten verbergen mußte. Die vorzüglichsten Schriften dieser Art sind: »Dziecię starego miasta«, worin die Vorbereitungen zum Aufstand von 1863 in fesselnder Weise geschildert werden, dann »Der Spion« (deutsch, Dresd. 1864), »Das rote Paar«, »Der Moskowit«, »Wir und sie«, »Der Jude«, »Im Osten« etc. Unter seinen historischen Romanen sind zu nennen: »Graf Brühl« (1865), »Gräfin Cosel« (1874), »Die letzten Augenblicke des Fürsten Wojewoden« (1875), »Aus dem Siebenjährigen Kriege« (1876), »Der Starost von Warschau« (1877) etc.; unter seinen Kulturromanen der zweiten Periode : »Morituri« (1874–75), »Resurrecturi« (1876; beide deutsch in Reclams Universal-Bibliothek) etc. Außerdem veröffentlichte er eine lange Serie historischer Romane aus der polnischen Urzeit bis zum 17. Jahrh. (25 Bde.). Von seinen poetischen Werken sind zu erwähnen: »Anafielas« (Wilna 1840, 1843 u. 1845, 3 Bde.), eine epische Schilderung der drei Hauptepochen der ältern Geschichte Litauens, und die »Hymny bolesći« (Par. 1857). Von seinen dramatischen Schriften sind hervorzuheben das Lustspiel »Miód kasztelański« (Kiew 1860) und das historische Drama »Trzeci maja« (Krak. 1876). Seine literarhistorischen Abhandlungen erschienen zum Teil gesammelt als »Studja literackie« (Wilna 1842) und »Nowe studja literackie« (Warsch. 1843, 2 Bde.). Von seinen historischen Werken sind die namhaftesten: »Wilno od początków jego do 1750« (»Geschichte der Stadt Wilna«, 1840–42, 4 Bde.); »Litwa«, litauische Altertümer (Warsch. 1847 bis 1850, 2 Bde.); »Polska w czasie trzech rozbiorów« (Kulturgeschichte Polens im Zeitalter der Teilungen, Posen 1873–75, 3 Bde.). Endlich schrieb K. eine große Zahl kunsthistorischer, ästhetischer, archäologischer, philosophischer Abhandlungen und Artikel. Eine Auswahl seiner Romane erschien in 102 Bänden (Lemb. 1871–75), eine Auswahl in deutscher Übersetzung (Wien 1880–81, 12 Bde.). Vgl. Bohdanowicz, J. J. v. K. in seinem Wirken und seinen Werken (Leipz. 1879).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 599.
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