Stoïker

[55] Stoïker, griech. Philosophenschule, die sich gleichzeitig mit dem Epikureismus entwickelte und ihren Namen von der mit Gemälden des Polygnot geschmückten Säulenhalle (stoa poikile) hat, wo ihr Gründer Zenon aus Kittion auf Kypros, in Athen zu lehren pflegte (336–264 v. Chr.). Zenons Lehrbegriff ward zum Teil im Kampfe mit der mittlern Akademie durch seine nächsten Schüler und Anhänger, Kleanthes aus Assos in Troas, Chrysippos aus Soli in Kilikien (280–210), bestimmter ausgebildet, während andre, wie Ariston aus Chios und Herillos aus Karthago, sich ihm vorzugsweise nur in der Strenge der sittlichen Denkart angeschlossen zu haben scheinen. Ein allgemeines Merkmal der Lehre der S. liegt in dem Bemühen, die Philosophie in einer gemeinverständlichen Form und mit vorherrschender Rücksicht auf das praktische Leben zu entwickeln, daher ihre eigentliche Bedeutung in ihrer Ethik zu suchen ist, der sie zwar die Physik beiordnen, weil diese die allgemeinsten Grundbestimmungen für jene darbiete, die Logik aber unterordnen, so daß diese ihnen mehr für ein Werkzeug als für einen Teil der Philosophie gilt. Als Grundlage aller Erkenntnis wurde die Erfahrung angenommen, insofern alle Vorstellungen in einem Leiden der Seele durch den Eindruck des Vorgestellten bestehen sollen. In Übereinstimmung hiermit geht auch ihre Physik von dem Satz aus, daß alles, was Ursache sei, Körper sei, welcher Begriff bei ihnen wesentlich durch den Gegensatz von Tun und Leiden bestimmt wird. Demgemäß unterscheiden sie die gröbere Materie als das qualitätslose leidende, und eine feinere, die gleich der Gottheit ist, als das tätige und bildende Prinzip, jedoch so, daß überall, wo leidende ist, sich auch tätige findet. So wie daher die Welt vernünftig und göttlich ist, so hat auch jeder einzelne Teil seinen besondern Anteil an der allgemeinen Vernunft. Das Weltprinzip bestimmte schon Zenon, sich an Heraklit anschließend, als lebendiges Feuer, das sich in stetigen Übergängen und nach einem bestimmten unausweichlichen Gesetz in die Elemente und die daraus entstehenden Einzeldinge verwandle, um nach periodischem Kreislauf wieder in die ursprüngliche Einheit zurückzukehren (Weltverbrennung). In genauem Zusammenhang mit dieser Physik steht der oberste Grundsatz der Ethik, der für den höchsten Endzweck die Übereinstimmung mit der Natur erklärt. Die Unabhängigkeit der sittlichen Gesinnung stellten sie der äußerlich erscheinenden Handlung und deren zufälligen Umständen gegenüber. Die Apathie, die aber nicht Unempfindlichkeit ist, sowie der Begriff des Weisen, als der Verkörperung der Vernunft, spielen in ihrer Ethik eine große Rolle. Eine eklektische Umbildung, namentlich durch platonische Elemente, erfuhr die stoische Lehre durch Panätios und Poseidonios, die auch hauptsächlich ihre Verpflanzung nach Rom bewirkten. Durch Wechselwirkung der stoischen Philosophie und des römischen Geistes auseinander entwickelte sich hier aus ersterer eine räsonierende praktische Popularphilosophie von zum Teil fromm-erbaulichem Charakter. Unter dem Despotismus der Cäsaren erhielt der Stoizismus eine politische Bedeutung, denn zu ihm flüchteten sich größtenteils die Oppositionsmänner; er wurde ein Gegenstand der Verfolgung, bis er mit Marcus Aurelius Antoninus auf den Kaiserthron kam und kaiserliche Fürsorge demselben noch einmal Geltung und Anhang erwarb. Nach der Zeit der Antonine verschwindet er aus der Geschichte, in dem allgemeinen philosophischen und religiösen Synkretismus ausgehend, in den die antike Weltanschauung sich auflöste, hat aber auf die Patristik sowie zur Zeit der Renaissance und später nicht unbedeutenden Einfluß ausgeübt. Die noch vorhandenen Fragmente der ältern S. wurden von J. v. Arnim herausgegeben (»Stoicorum veterum fragmenta«, Leipz. 1902–1905, Bd. 1–3). Vgl. Ravaisson, Essai sur le stoïcisme (Par. 1856); Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philosophischen Schriften, Bd. 2 (Leipz. 1882); Weygoldt, Die Philosophie der Stoa (das. 1883); Ogereau, Essai sur le système philosophique des stoïciens (Par. 1885); L. Stein, Die Psychologie der Stoa (Berl. 1886–88, 2 Bde.); Zeller, Philosophie der Griechen, Bd. 3; Schmekel, Die Philosophie der mittlern Stoa (Berl. 1892); Dyroff, Die Ethik der alten Stoa (das. 1897); Barth, Die Stoa (Stuttg. 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 55.
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