Nemĕsis

[781] Nemĕsis, 1) Tochter des Okeanos u. der Nacht, eine ernste, streng richtende Göttin, welche das göttliche Gleichmaß der Dinge bewahrt. Bei Homer u. Hesiod erscheint sie noch nicht als Göttin, sondern bei diesen drückt das Wort nur den ethischen Begriff des Schicklichen aus; erst in Localculten tritt sie als mächtige Göttin auf, u. einer ihrer berühmtesten Cultusorte war Rhamnus in Attica (von dem sie auch die Rhamnusische heißt), wo sie einen Tempel mit einem Bilde hatte, welches Agorakritos, ein Schüler des Phidias, aus dem parischen Marmormorblock fertigte, welchen die Perser zur Aufrichtung eines Siegeszeichens nach der Schlacht bei Marathon schon mitgebracht hatten. Dieses berühmte Bild trug eine mit Hirschen u. kleinen Nikebildern gezierte Krone auf dem Haupte, in der Linken den Zweig eines Apfelbaumes u. in der Rechten eine Schale, auf welcher Äthiopen abgebildet waren, am Fußgestell waren Scenen aus der Geschichte der Helena dargestellt, für deren Mutter vom Zeus N. galt. Ihr Fest (Nemeseia) betraf Geburt u. Tod. In Athen u. Smyrna wurde sie eine Göttin der Liebe genannt; an letzterem Orte verehrte man die N. in der Mehrzahl als geflügelte Dämonen, Töchter der Nacht, welche mit Liebeswerken u. dem natürlichen Entstehen u. Vergehen in Verbindung gebracht wurden. Einige Dichter identificiren die N. mit der Adrastea. Abgebildet: stehend in Tunica u. Peplum, mit der Rechten ergreift sie einen Theil ihres Gewandes über der Brust; in der Linken ist ein Eschenzweig od. ein Zügel. Manchmal sieht man ein Rad zu ihren Füßen, manchmal zugleich einen Greif, welcher die rechte Pfote auf das Rad setzt. In Rom hatte N. einen Tempel auf dem Capitol. Im Vatican steht noch eine antike Bildsäule derselben. 2) Krustenthier, Art der Kiemenwürmer.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 781.
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