[852] Sensualismus (v. lat.), 1) die psychologische Behauptung, daß alle unsere Vorstellungen aus der sinnlichen Wahrnehmung stammen; sie betrachtet die Seele nach einem von Aristoteles herrührenden Bilde als eine leere Tafel (Tabula rasa), auf welche durch die sinnlichen Empfindungen der gesammte Inhalt des Bewußtseins von außen übertragen wird; ihren allgemeinen Ausdruck enthält der Satz: Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu (nichts ist im Verstande, was nicht in der sinnlichen Wahrnehmung gewesen wäre). Diese Ansicht über den Ursprung der Vorstellungen, welche an sich über die Beschaffenheit dessen, was unabhängig vom Vorstellen den Erscheinungen zu Grunde liegt, gar nichts entscheidet, hat sich nicht selten 2) mit der Behauptung verbunden, daß überhaupt nichts existirt, als das körperlich Empfindbare u. sinnlich Wahrnehmbare, u. dies ist der S. in metaphysischer Bedeutung. Endlich bezeichnet man dadurch 3) in ethischer Beziehung die Behauptung, daß alle sittlichen Werthbestimmungen sich lediglich auf die Art gründen, wie wir von den Gegenständen der sinnlichen Empfindung afficirt werden, also die sittliche Denkart, welche den Werth u. Zweck des menschlichen Wollens u. Handelns lediglich in sinnlichen Genießungen sucht, worin eine Aufhebung jeder selbständigen Bedeutung der sittlichen Ideen liegt. Die philosophischen Systeme sind nur selten in allen diesen Richtungen sensualistisch gewesen; namentlich gilt die Bezeichnung des S. von den Lehren des Aristoteles u. Locke's, den man gewöhnlich für den Urheber des modernen S. erklärt, nur in sehr beschränktem Sinne; einen durchgeführten S. stellt die Lehre des Epikur u. die französische Philosophie des 18. Jahrh., wie sie Condillac u. die Encyklopädisten (s.d.) vertreten, dar. Im gewöhnlichen Leben nennt man S. 4) eine in ihrem Fürwahrhalten auf die handgreifliche Erfahrung sich beschränkende, in ihrem Streben durch die Rücksichten des sinnlichen Vergnügens u. des äußeren Nutzens bestimmte Denk- u. Handlungsweise.