Baß

[124] Baß. (Musik)

Durch dieses Wort bezeichnet man überhaupt den Umfang der tiefsten Stimme eines Tonstüks; denn das Wort kommt von dem italiänischen basso, tief, her: insbesondre aber wird diese Benennung demjenigen Theil eines Tonstüks gegeben, welcher die Reyhe der tiefsten Töne enthält, gegen welche die höhern, als dazu gehörige Intervalle abgemessen werden. Dieses recht zu verstehen ist zu merken, daß jedes Tonstük aus einer oder aus mehr zugleich singenden oder spielenden Stimmen oder Parthien bestehe. Die Parthie, welche nur die tiefsten Töne der menschlichen Stimme hervorbringt, wird der Baß genennt; es sey daß sie allein den Gesang führt, oder daß noch mehrere Stimmen zugleich singen. Ein solcher aus den tiefsten Tönen bestehender Gesang wird ein singender Baß genennt. Der Name Baß aber wird auch, und gemeiniglich, der Parthie gegeben, die, ohne einen würklichen Gesang zu führen, diejenigen tiefen Töne angiebt, mit denen der, aus höhern Tönen bestehende Gesang, eine Harmonie macht. Ein solcher Baß also, ist der Grund der Harmonie: die Töne, die er angiebt, füllen, als die tiefsten Töne, das Ohr also, daß es die höhern Töne, die den eigentlichen Gesang ausmachen, damit, als mit dem Grund, worauf sie gebaut sind, oder, als mit der Quelle, woraus sie entspringen, vergleicht, woraus eigentlich das Gefühl der Harmonie entsteht.

Es ist an einem andern Ort angemerkt worden,1 daß, wenn eine Sayte oder Pfeiffe in derjenigen Tiefe, welche die Baßtöne haben, erklingt, selbige zugleich viel andre Töne von verschiedener Höhe vernehmen lasse, davon der tiefste um eine Octave höher ist, als der Haupt- oder Grundton der Sayte. Wenn man den Grundton durch 1 vorstellt, oder die Länge der Sayte, die ihn hervorbringt 1 nennt, so sind die andern höhern Töne, die man zugleich hört, 1/2, 1/3, 1/4, 1/5, u. s. f. Nun ist bekannt, daß der Klang der tiefsten Töne am längsten anhält, die höhern aber bald verschwinden. Indem also der Ton 1 fortklinget, kann man verschiedene höhere Töne nach einander anschlagen, wodurch ein Gesang gebildet [124] wird, der ohne Absicht auf den Charakter seiner Melodie, mit dem Grundtone, der das Ohr erfüllt hat, harmoniret. Dadurch bekommt also der Gesang seine harmonischen Annehmlichkeiten. Hieraus läßt sich so wol der Ursprung des Basses, als seine Würkung in dem Tonstüke begreifen. Indem nämlich die hohen Stimmen einen melodischen Gesang führen, schlägt der Baß die tiefen Töne an, aus deren Harmonie die obern singenden Töne genommen sind, und dadurch bekommt der Gesang eine neue Kraft, so wol zur Annehmlichkeit, als zum guten Ausdruk.

Ein solcher Baß, der eigentlich keinen Gesang, sondern blos die Harmonie führet, wird itzt als eine, jedem Tonstüke wesentliche, Parthie angesehen; und dadurch scheinet die Musik der neuern Zeiten sich hauptsächlich von der Musik der Alten, die diesen Baß allem Ansehen nach nicht gekannt haben, zu unterscheiden. Wer sich also von der Beschaffenheit der neuern Musik einen rechten Begriff machen will, muß sich vorstellen, daß eine Reyhe tiefer Töne in einer Folge hintereinander mit Nachdruk angeschlagen werden, und daß während der Zeit, da jeder dieser Töne das Ohr beschäftiget, von einer oder mehrern obern Stimmen verschiedene andre Töne, die mit den tiefen eine harmonische Verbindung haben, einen Theil des Gesanges fortführen. Das Gehör ist demnach beständig mit zwey Gegenständen beschäftiget, nämlich mit der Folge der tiefen Baßtöne; und mit der Folge der höhern den Gesang bildenden Töne, die mit den tiefern verschiedentlich harmoniren, und zugleich durch ihren besondern Gang den Gesang ausmachen.

Die beschriebene Reyhe der tiefsten Töne des Tonstüks wird der begleitende Baß genennt, weil er die obern Stimmen immer begleitet, und gleichsam zum Maaße der Harmonie dienet: der singende Baß hingegen ist ein Gesang, dessen Töne in dem Umfange der tiefsten Menschenstimme liegen. Er hat eine ordentliche Melodie, die der begleitende Baß nicht hat: doch kann er auch bey seiner Melodie zugleich die Stelle des begleitenden Basses vertreten.

Es erhellet hieraus, daß in der heutigen Musik der Baß die wichtigste Parthie sey, welcher alle Stimmen untergeordnet sind: eigentlich entstehen sie aus dem Basse; weil der Gesang keinen Hauptton angeben kann, der nicht in der Harmonie des Basses gegründet ist. Wenn der Tonsetzer die Folge der Baßtöne gut gewählt, und die Töne der obern Stimmen regelmäßig daraus hergeleitet hat, so ist sein Satz rein. Ohne Baß kann zwar ein Gesang auch viel Schönheit haben; aber durch ihn wird er erst vollkommen, weil alsdenn die Harmonie noch zum guten Ausdruk des Gesanges hinzukommt.

Der Abstand des Basses von den obern Stimmen verdienet genau überlegt zu werden. Die Erfahrung, daß mit dem Ton 1 zugleich die Töne, 1/2, 1/3 u. s. f. klingen, zeiget offenbar, daß die singenden Stimmen dem begleitenden Baß niemal näher, als eine Octave kommen sollen, weil sonst nothwendig die Harmonie gestöhrt wird. Wenn man z. E. im Basse die große Terz und die Quinte des Grundtones noch hinzusetzen wollte; so würde jeder von diesen, so wie der Grundton selbst, noch seine Terz und seine Quinte vernehmlich hören lassen; daher würden, wie jeder berechnen kann, mit der Terz und Quinte des Grundtones sehr dissonirende Töne herauskommen, und alle Harmonie zerstöhrt werden. Je tiefer demnach die singenden oder concertirenden Stimmen herunter gehen, je tiefer müssen auch alle Töne des begleitenden Basses genommen werden. Es ist daher ein ungereimter Fehler, wenn in Orgeln schon den tiefsten Stimmen auch ihre Quinten und Terzen zugefügt werden.

Hingegen muß der begleitende Baß auch nicht allzusehr von den obern Stimmen entfernt seyn, weil das Ohr ihre Verhältnisse nicht mehr genau genug faßt. Indem eine tiefe Sayte klinget, vernimmt man nur ihre Octave, deren Quinte und die große Terz der zweyten Octave vernehmlich, das ist, zu dem Tone 1 die Töne 1/2, 1/3, 1/4, 1/5. alle übrigen 1/6, 1/7, 1/8 u. s. f. werden nicht mehr deutlich vernommen, ob sie gleich unfehlbar mit klingen. Wollte man also den Baß um 3 oder mehr Octaven von den obern Stimmen entfernen, so würde man der Klarheit der Harmonie dadurch großen Schaden thun. Will man den Gesang bis auf die höchsten Töne gehen lassen, und dennoch einen tiefen Baß dazu nehmen, so müssen auch die dazwischen liegenden Octaven ihre Stimmen haben, mit denen man die Harmonie des Höchsten vergleichen könne. [125] Aus der angeführten Erfahrung folget auch noch diese wichtige Regel für den Tonsetzer, daß die nächsten Stimmen am Basse in Ansehung der Harmonie weit sorgfältiger müssen behandelt werden, als die sehr entfernten. Denn die stärksten Dissonanzen sind in einer großen Entfernung vom Basse von geringer Würkung, weil ihre Vergleichung mit dem Basse schweer wird; da hingegen die leichteste Dissonanz, die nur eine Octave über dem Basse liegt, sehr empfindlich ist.

Es läßt sich aus dem angemerkten leicht abnehmen, daß die einfachesten Bässe die besten sind; daß ein begleitender Baß nur alsdenn einer Auszierung fähig ist, wenn etwa die obern Stimmen inne halten; daß die gehakten Bäße, wo jeder Grundton, anstatt anzuhalten, damit die obern Stimmen ihre Würkung gegen ihn thun können, oft angeschlagen wird, meistens von sehr schlechter Würkung seyn müssen; daß endlich der Baß allemal eine herrschende Stärke haben und nach Beschaffenheit der obern Stimmen gut besezt seyn müsse; denn nichts schwächt die Musik mehr, als wenn der Baß durch die obern Stimmen verdunkelt wird.

Singende Bäße sind in vielstimmigen Sachen eine überaus schweere Sache. Denn weil der Baß, um die Fehler gegen die Harmonie zu vermeiden, meistentheils steigen muß, wenn die obern Stimmen fallen, und so umgekehrt;2 so kann man sehr leichte gegen den Ausdruk anstoßen. Von zwey Menschen, die einerley Empfindung ausdrüken, muß der eine die Stimme erheben, wenn der andre sie sinken läßt. Also ist ein guter singender Baß allemal für ein Meisterstük zu halten.

Von dem, was der Spieler, der den begleitenden Baß führet, in Acht zu nehmen hat, wird im Artikel Begleitung gehandelt. Hieher gehört noch verschiedenes, was in den Artikeln Generalbaß, Besetzung, Grundbaß, gebundener Baß, Conterbaß, angemerkt worden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 124-126.
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