Liebe

[710] Liebe. (Schöne Künste)

Diese allen Menschen gemeine, und an mannigfaltigen angenehmen und unangenehmen Empfindungen so reiche Leidenschaft, wird in allen Gattungen der Werke des Geschmaks vielfältig zum Hauptgegenstand; aber von keiner wird ein so vielfältiger Mißbrauch gemacht. Damit wir im Stande seyen dem Künstler über den Gebrauch und die Behandlung derselben gründliche Vorschläge zu thun, müssen wir nothwendig einige Betrachtungen über ihre wahre Natur voraus schiken.

Der erste Ursprung der Liebe liegt unstreitig in der blos thierischen Natur des Menschen; aber man müßte die bewundrungswürdigen Veranstaltungen der Natur ganz verkennen, wenn man darin nichts höheres, als thierische Regungen entdekte. Der wahre Beobachter bemerket, daß diese Leidenschaft ihre Wurzeln in dem Fleisch und Blut des thierischen Körpers hat, aber ihre Aeste hoch über der körperlichen Welt in der Sphäre höherer Wesen verbreitet, wo sie unvergängliche Früchte zur Reife bringet.

Ob sie gleich in ihrer ersten Anlag eigennützig ist, zeuget sie doch in rechtschaffenen Gemüthern die edelsten Triebe der Wolgewogenheit, der zärtlichsten Freundschaft und einer alles eigene Intresse vergessenden Großmuth. Sie ziehlt im Grund auf Wollust, und ist doch das kräftigste Mittel von der Wollust ab-und auf seeligere Empfindungen zu führen; ist furchtsam und ofte kleinmüthig, und kann dennoch der Grund des höchsten Muthes seyn; ist ein in ihrem Ursprung niedriges schaamrothmachendes Gefühl, und in ihren Folgen die Ursach einer wahren Erhöhung des Gemüthes. Diejenigen, denen dieses wiedersprechend, oder übertrieben vorkommt, sind zu beklagen, und würden durch weitläuftigere Entwiklung der Sachen doch nicht belehrt werden.

Der Künstler muß die verschiedenen Gestalten, die diese Leidenschaft annihmt und ihre verschiedenen Würkungen genau unterscheiden, wenn er sie ohne Tadel behandeln soll. Wir wollen also die Hauptformen derselben unterscheiden, und über jede einige dem Künstler dienliche Anmerkungen beyfügen.

Liebe in rohen, oder durch Wollust verwilderten Menschen, die blos auf eine wilde Befriedigung des körperlichen Bedürfnisses abziehlt, kann nach Beschaffenheit der Umstände in eine höchst gefährliche Leidenschaft ausbrechen und äußerst verderbliche Folgen nach sich ziehen. Diese durch Hülfe der schönen Künste noch mehr zu reizen, in das schon verzehrende Feuer noch mehr Oel zu gießen, ist der schändlichste Mißbrauch, dessen sich Mahler und Dichter nur allzu ofte schuldig machen. Für Werke, die blos zur niedrigen Wollust reizen, lassen sich schlechterdings keine Entschuldigungen anführen, die bey vernünftigen Menschen den geringsten Eindruk machten. Die fleischlichen Triebe, so weit die Natur ihrer bedärf, sind bey Menschen, die ihr Temperament nicht durch Ausschweifungen zu Grunde gerichtet haben, allezeit stark und lebhaft genug; also ist es Narrheit sie über ihren Endzwek zu reizen: aber für verworfene Wollüstlinge zu arbeiten, erniedriget den Künstler. Wer sollte ohne Schaam sich zum Diener solcher unter das Thier erniedrigten Menschen machen, wenn sie auch von hohem Stande wären?

Deswegen ist die Liebe, in so fern sie blos thierische Wollust ist, kein Gegenstand der Künste, als in so fern diese dienen können, die schädlichen Folgen derselben in ihrer ekelhaften Gestalt lebhaft vor Augen zu legen. Dazu können Mahler, Dichter und Schauspieler die höchste Kraft ihrer Talente sehr nüzlich anwenden. Der berühmte berlinische Zeichner,[710] Herr Daniel Chodowiczki, hat in einer Folge von zwölf Blättern, die zum Theil hierauf abzielen, ein Werk gemacht, das ihm viel Ehre bringt. Wir hoffen, daß er es durch radirte Platten bald öffentlich bekannt machen werde. Sie können mit Ehren ihren Rang neben den bekannten Hogarthschen Blättern von ähnlichem Inhalt stehen.

Zunächst auf diese ganz thierische Liebe folget die zwar unschuldige, aber romanhafte und unglükliche Liebe, die nach den Umständen der Personen und Zeiten auf keine gründliche Vereinigung der Liebenden führen kann. Eine solche Liebe kann den ganzen Plan des Lebens zerrütten und sehr unglüklich machen. Es ist daher höchst wichtig, daß die Jugend davor gewarnet werde, und daß die fatalen Folgen der Unbesonnenheit, womit sie sich bisweilen einer solchen romanhaften Liebe überläßt, auf das lebhafteste vor Augen gelegt werden. Aber es muß auf eine Art geschehen, die würklich abschrekend ist. In Romanen und in dramatischen Stüken, wird gar ofte der Fehler begangen, daß solche Liebesbegebenheiten zwar unglüklich, aber doch so vorgestellt worden, daß die Jugend vielmehr dazu gereizt, als abgeschrekt wird. Denn selbst der unglüklichste Ausgang, wenn er mehr Mitleiden, als Furcht erweket, thut hier der Absicht keine Genüge. Man hat ja Beyspiele, daß so gar die Hinrichtung öffentlicher Verbrecher, mit Umständen begleitet gewesen, wodurch bey schwachen, enthusiastischen Menschen eine Lust erwekt worden ist, auch so zu sterben. Darum muß von einer solchen Leidenschaft mehr die Thorheit, Unbesonnenheit und das Verwerfliche derselben, als das Mitleidenswürdige recht fühlbar gemacht werden. Hiezu sind mehre Dichtungsarten geschikt. Die erzählende, sie sey ernsthaft, oder comisch, die dramatische und die satyrische Poesie schiken sich dazu und selbst die lyrische schließt diesen Inhalt nicht aus. Wenn aber der Dichter auf erwähnten Zwek arbeiten will, so muß er große Vorsichtigkeit anwenden. Zum hohen dramatischen können wir auch die unglüklichste Liebe nicht empfehlen; weil sie doch immer in ihrem eigentlichen Wesen etwas kleines und phantastisches hat, das den Charakter hoher Personen, dergleichen dieses Trauerspiel aufführen soll, erniedriget.

So hat Corneille in seinem Oedipus den Theseus, einen Helden, dem Athen Tempel gebaut hat, dadurch ungemein erniedriget, daß er ihm diese würklich schimpfliche Empfindung zuschreibt:


Perisse l' Univers pourvû que Dircé vive!

Perisse le jour même avant qu'elle s'en prive!

Que m' importe & le salut de tous?

Ai-je rien à sauver, rien à perdre que vous?


Eine solche Liebe ist völlige Raserey, und erwekt Aergernis. Die Alten haben gar wol eingesehen, daß die Liebe höchst selten, als eine wahre tragische Leidenschaft könne behandelt werden. Sollte es jemand einfallen, das Beyspiel des Hippolytus vom Euripides als eine Einwendung gegen diese Anmerkung anzuführen, so geben wir ihm zu überlegen, daß die Art, wie der griechische Dichter diesen Stoff behandelt hat, ihn allerdings tragisch macht. Die Liebe der Phädra war das Werk einer rächenden Gottheit, und sie herrschte in einem zarten, weiblichen Herzen, das doch mit ausnehmender Bestrebung dagegen kämpfte, das selbst da, wo die Macht einer Gottheit es niederdrükte, sich groß zeigte. Aber Männer, besonders hohe Personen und Regenten der Völker, wie verliebte Jünglinge, einer unglüklichen Liebe unterliegen zu lassen, ist in Wahrheit des hohen Cothurns unwürdig, und kann so gar ins Lächerliche fallen, wie man in vielen Stellen der Trauerspiele des Corneille es empfindet. Wer fühlt nicht, um nur ein Beyspiel anzuführen, daß in der Rodogüne die Scene zwischen dem Seleücus und Antiochus etwas abgeschmaktes habe, besonders die läppisch galanten Seufzer des Seleücus:


–– Ah destin trop contraire! ––

–– –– ––

L' amour, l' amour doit vaincre, & la triste amitié

Ne doit être à tous deux qu'un objet de pitié.

Un grand cœur cede un trone, & le cede avec gloire;

Cet effet de vertu couronne sa memoire:

Mais lorsqu'un digne objet a sçu nous enflamer,

Qui le cede est un lache.


Dergleichen Gesinnungen schiken sich für eine scherzhafte Behandlung der Liebe, da man romanhafte Empfindungen lächerlich machen, und den Verliebten, als einen Geken schildern will.

Es ist also höchst selten, daß die Liebe Aeußerungen zeiget, die sie zum Gegenstand des hohen tragischen mache. Wie stark und groß die Wallungen des Blutes bey einem verliebten Jüngling auch seyn mögen, so wissen doch erfahrnere Kenner der Menschen, [711] daß sie vorübergehend sind, und im Grund etwas blos phantastisches zur Unterstüzung haben.

Hingegen nihmt die durch mancherley Hindernisse in ihren Unternehmungen gehemmte Liebe nicht selten eine wahre comische Gestalt an. Sie scheinet von allen Leidenschaften diejenige zu seyn, die den Menschen am meisten hintergeht, und ihn auf die vielfältigste Art täuschet. Es kann seinen guten Nuzen haben, wenn Dichter die comischen Würkungen derselben in einem Lichte vorstellen, wodurch beyde Geschlechter gewarnet werden sich vor einer Leidenschaft zu hüten, bey der man große Gefahr läuft, ins Lächerliche zu fallen. Dieses ist eigentlicher und guter Stoff für die comische Schaubühne.

Eine edle mit wahrer Zärtlichkeit verbundene Liebe, die nach einigen Hindernissen zulezt glüklich wird, ist ein überaus angenehmer Stoff zu dramatischen, epischen und andern erzählenden Arten des Gedichts. Es ist schwerlich irgend ein Stoff auszufinden, der so viel reizende Gemählde, so mancherley entzükende Empfindungen, so liebliche Schwermereyen einer Wollust trunkenen Seele, darbiethet, als dieser. Außerdem aber hat hiebey der Dichter Gelegenheit die mannigfaltigen schäzbaren und angenehmen Würkungen, die die Zärtlichkeit in gut gearteten Seelen hervorbringt, auf eine reizende Weise zu entwikeln. Es ist gewiß, daß bey jungen Gemüthern von guter Anlage, eine recht zärtliche Liebe überaus vortheilhafte Würkungen hervorbringen und der ganzen Gemüthsart eine höchst vortheilhafte Wendung geben kann. Bey einem edlen und rechtschaffenen Jüngling kann durch die Liebe das ganze Gemüth um einige Grade zu jedem Guten und Edlen erhöhet werden, und alle guten Eigenschaften und Gesinnungen können dadurch einen Nachdruk bekommen, die keine andre Leidenschaft ihnen würde gegeben haben.

Aber ausnehmende Sorgfalt hat der Dichter hiebey nöthig, daß er nicht seine jüngern Leser in gefährliche Weichlichkeit und phantastische Schwermerey der Empfindungen verleite. Wehe dem Jüngling und dem Mädchen, die kein höheres Glük kennen, als das Glük zu lieben, und geliebt zu werden! Die schönesten und unschuldigsten Gemählde von der Glükseeligkeit der Liebe können zu einem verderblichen Gift werden. Selbst die unschuldigste Zärtlichkeit kann das Gemüth etwas erniedrigen, wenn nicht durchaus neben der Liebe eine in ihrem Wesen grössere und wichtigere Empfindung darin liegt, die noch über die Liebe herrscht, und das Gemüth, das sich sonst blos der feinern Wollust der lieblichsten Empfindungen überließe, bey würkenden Kräften erhält. So hat Klopstok der höchsten Zärtlichkeit des Lazarus und der Cidli, durch Empfindungen der Religion die gänzliche Beherrschung der Herzen zu benehmen gesucht: nur Schade, daß diese Empfindung, die den Gemüthern ihre Stärke erhalten sollte, selbst etwas schwermerisches hat. Durch eine geseztere Gottesfurcht und Liebe zur Tugend, hat Bodmer die Liebe der Neachiden und der Siphaitinnen vor überwältigender Kraft geschüzet. Schwache Seelen werden durch Zärtlichkeit noch schwächer; aber die, in denen eine wahre männliche Stärke liegt, können dadurch noch mehr Kraft bekommen.

Diese Betrachtungen muß der Dichter nie aus den Augen sezen; sonst läuft er Gefahr durch lebhafte Schilderungen der Liebe sehr schädlich zu werden. Es wäre hierüber noch ungemein viel besonderes zu sagen; aber wir müssen bey der allgemeinen Erinnerung die wir darüber gemacht haben, stehen bleiben, und dem Dichter nur überhaupt noch empfehlen, daß er immer darauf sehe die Zärtlichkeit mehr durch mancherley edle Würkungen, die sie hervorbringt, als durch die überfließende Empfindung der vorhandenen und gehoften Glükseeligkeit, womit sie verbunden ist, vorzustellen.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 710-712.
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