Dogma

[578] Dogma, ein griech. Wort, das eine Lehrmeinung, ein Urtheil, einen philosophischen Lehrsatz, in der Theologie aber einen Glaubensartikel und daher dogmatisch die Glaubenslehre betreffend bedeutet. Die Dogmen sind entweder biblische, d.h. solche, die durch die Schrifterklärung in der Bibel gefunden werden, oder andere, die von einer Religionsgesellschaft zu irgend einer Zeit in Bekenntnißschriften aufgestellt wurden, und heißen dann kirchliche Dogmen. Die wissenschaftliche und nach einem obersten Grundsatze geordnete Darstellung der christlichen Glaubenslehre im Gegensatze der Moral oder Sittenlehre ist die Dogmatik; sie heißt ebenfalls die biblische, wenn sie sich mit Darstellung der deutlich und klar in der heil. Schrift enthaltenen Dogmen beschäftigt, und die kirchliche, wenn sie die Dogmen nach Anleitung der von der Kirche als Richtschnur anerkannten symbolischen Bücher darstellt; für letztere wird jedoch gewöhnlich der Name Symbolik (s. Symbol) gebraucht. Die Exegese (s.d.), wodurch die in der heil. Schrift einzeln und zerstreut vorgetragenen religiösen Ideen gewonnen werden, und die Philosophie, welche dieselben entwickelt, beweist und miteinander verbindet, sind die beiden unentbehrlichsten Hülfswissenschaften der Dogmatik.

Schon vom 3. Jahrh. an versuchten gelehrte Kirchenlehrer die christliche Glaubenslehre gründlich zu entwickeln und ihr die Form eines Systems zu geben. Indem man sie aber auf der einen Seite wie Origenes, gest. 235, der Philosophie anbequemte, machte man sie andererseits, wie Augustinus (s.d.), Isidorus Hispaliensis im 6. und Joh. Damascenus im 8. Jahrh., mit gänzlicher Übergehung der Schriftlehre von der kirchlichen Überlieferung abhängig. Auch die spätern Scholastiker konnten bei dem herrschenden Glaubenszwange und dem gänzlichen Mangel an Sprachkenntniß, so gelehrt und scharfsinnig sie auch die Kirchenlehre untersuchten, dabei aber freilich oft auf unnütze Spitzfindigkeiten und überfeine Unterscheidungen verfielen, weder den biblischen Ursprung der Dogmen nachweisen, noch ihnen eine zureichende Beglaubigung geben, wie dies bei dem freien Gebrauche der heil. Schrift den Reformatoren in hohem Grade gelang. Vor Allen verfaßten Melanchthon, sein Schüler Chemnitz und Gerhard, dann Zwingli und Calvin zum Theil noch jetzt werthvolle Schriften über die christliche Glaubenslehre. Bei dem bindenden Ansehen der symbolischen Bücher verfiel man jedoch im 17. Jahrh. wieder in die scholastischen Spitzfindigkeiten und die Dogmatik dieser Zeit wurde ein bloßes Abbild der Kirchenlehre. Erst im 18. Jahrh. erhielt sie wieder durch gründlichere Schrifterklärung und den freiern Gebrauch der Philosophie eine erneuerte und verbesserte Gestalt. Befürchteten auch Manche, es werde durch das oberrichterliche Ansehen der Vernunft in Glaubenssachen das Wesen des christlichen Glaubens aufgehoben, so zeigen dennoch die geistvollen Bearbeitungen desselben von Schleiermacher, de Wette, Ammon, Hase und Andern, wie derselbe, als in der menschlichen Natur begründet, sich zur vollkommenen Wissenschaft ausbilden lasse und alle Foderungen des Geistes und Herzens befriedige.

Unter Dogmatismus oder Dogmaticismus versteht man diejenige Art zu philosophiren, bei welcher man von angenommenen, allein nicht weiter gerechtfertigten Grundsätzen ausgeht und aus diesen die Folgesätze ableitet, die mithin auf unsicherm Grunde, auf etwas willkürlich Angenommenem ruhen. Dem Dogmatismus entgegengesetzt ist der Skepticismus (s.d.), der auf gleiche Weise philosophirt, nur daß seine obersten Grundsätze die Zulänglichkeit aller [578] menschlichen Erkenntnisse bezweifeln, und die kritische Methode, welche von der Prüfung des Erkenntnißvermögens zur Feststellung der Regeln der Erkenntniß fortschreitet oder mit Kant (s.d.) behauptet, daß der Mensch nur die Erscheinungen, nicht die Dinge an sich zu erkennen vermöge.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 578-579.
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