[105] Melanchthon (Philipp) oder Melanthon, Luther's berühmter Mitarbeiter an der Reformation, geb. am 16. Febr. 1497 zu Bretten in der Unterpfalz, war der Sohn des pfalzgräfl. Rüstmeisters Georg Schwarzerd, welcher mit Barbara, einer Tochter des Amtmanns zu Bretten, verheirathet war. Seiner frühesten Jugend kam der Einfluß frommer und rechtschaffener Ältern zu Gute, und besonders lenkte die Mutter sein Herz zur Frömmigkeit, Sanftmuth und Milde; nach des Vaters frühem Tode aber begann 1507 auf der Schule zu Pforzheim die höhere Bildung seines Geistes. Bei seinen außerordentlichen Anlagen und seltenem Fleiße übertraf er schon im 12. Jahre alle seine Mitschüler in der lat. und griech. Sprache und erwarb sich dadurch des großen Reuchlin (s.d.), seines mütterlichen Anverwandten, besondere Aufmerksamkeit und Zuneigung, der ihn nur seinen Sohn nannte, bei seinen Studien unterstützte und auch nach damaliger Sitte seinen deutschen Namen Schwarzerd in den gleichbedeutenden griech. M. verwandelte. Mit dem 13. Jahre bezog M. die Universität Heidelberg, wo er alte Sprachen und Philosophie trieb und bereits im nächsten Jahre Baccalaureus der Philosophie und Hofmeister zweier Grafen wurde. Nur seine allzuzarte Jugend hielt ihn ab, jetzt schon den akademischen Lehrstuhl zu besteigen, und erst nachdem er seine Studien, die nun auch die Theologie umfaßten, zu Tübingen zwei Jahre fortgesetzt und daselbst die Magisterwürde erlangt hatte, begann er über lat. und griech. Schriftsteller Vorlesungen zu halten. Der allgemeine Beifall, den er dadurch, sowie durch eine von ihm herausgegebene griech. Grammatik erwarb, bewirkte 1518 seinen Ruf nach Wittenberg als Professor der griech. Sprache und Literatur, wo der aufgeklärte Mann der bereits durch Luther begonnenen Reformation sich bald anschloß. Das Verdienst, was er sich um dieselbe erwarb, ist das der Wissenschaft, in deren Gebiete allem er wirkte und durch die er dem Unternehmen Luther's Festigkeit und Nachdruck gab. Durch seine gründliche Erklärung der heiligen Schrift, wozu er zuerst die Bahn brach und die von ihm zuerst unternommene Darstellung des neugefundenen Glaubens nach dem tiefen Zusammenhange seiner Lehren, konnte der Grundsatz Luther's, daß die heilige Schrift die alleinige Richtschnur des Glaubens sei, erst allgemein angewendet und geltend gemacht werden. Ausgerüstet mit Allem, was eine gründliche, gelehrte Bildung erheischt und dieselbe durch liebenswürdige Eigenschaften des Herzens noch mehr hervorhebt, war es ihm leichter als Luther, den Widerstand auch da vermittelnd zu besiegen, wo er bei hartnäckigen und widerspenstigen Gelehrten am größten war, und es gibt wenig große Ereignisse in der Geschichte der Reformation, an denen er nicht einen mitwirkenden Antheil hätte. Er stand Luther 1519 bei der leipziger Disputation gegen Eck zur Seite, und während jener auf der Wartburg weilte, bekämpfte M. muthig die Schwärmerei Karlstadt's (s.d.). Mit seinen 1527 auf Befehl des sächs. Kurfürsten geschriebenen Visitationsartikeln, worin er den unwissenden Prediger unterwies, was und wie er dem Volke predigen müsse, und die im ersten Jahre sechs Mal aufgelegt wurden, erwarb er sich um die Verbesserung des sächs. Kirchen- und Schulwesens das größte Verdienst. Entschlossen drang der sonst so milde M. 1529 auf die Protestation gegen die Beschlüsse des Reichstags zu Speier (s. Protestanten) und arbeitete sodann die augsburgische Confession (s.d.), welcher er bald darauf zur Vertheidigung und nähern Erläuterung die Apologie nachfolgen ließ, mit einer bewundernswerthen Sicherheit religiöser Überzeugung und jeder Rücksicht Gnüge leistenden Umsicht aus. Dennoch war M. wegen ihres Werthes, da sich durch sie die schlimme Lage der Evangelischen nicht verbesserte, in solcher bangen Ungewißheit, daß Luther Mühe hatte, ihn zu beruhigen. Einladungen auswärtiger Fürsten, wie solche 1535 Franz I. von Frankreich und bald darauf Heinrich VIII. von England an M. ergehen ließen, lehnte er ab, weil er ihnen entweder nicht traute oder es vorzog, sich dem deutschen Vaterlande nützlich zu machen. Sein Streben war, durch Ausgleichung der erbitterten Parteien dem drohenden Ausbruche eines Religionskrieges zuvorzukommen, aber sein Bemühen scheiterte an dem jedesmaligen Widerstreben der Andersdenkenden und erregte sogar den Unwillen seiner Anhänger, dessen lauten Ausbruch nur M.'s innige Freundschaft mit Luther hinderte. Nach Luther's Tode, den man dadurch zu ehren glaubte, daß man überall an dem todten Buchstaben seiner Worte hing, ward selbst die Rechtgläubigkeit M.'s angefochten, den eine fortgesetzte Forschung in manchen Punkten der Religion auf eine andere Meinung gebracht hatte. Vielfältig beunruhigt durch die Sorge für den äußern Frieden mit den Katholiken, sah er sich jetzt noch genöthigt, in einer Reihe von Streitigkeiten die Zweifel gegen seine eigne Person in der evangelischen Kirche zu bekämpfen. Zwar wurden dieselben in der zu Naumburg 1554 veranstalteten Untersuchung zur vollkommensten Rechtfertigung M.'s beseitigt, aber schon jetzt bildete sich die Spaltung zwischen Luther's und M.'s Anhängern, um nach dessen Tode als unheilbringende Fehde der Theologen die Kirche zu beunruhigen. Ohne die schönsten Wünsche seines Lebens: das getheilte Interesse der Religion zu vereinigen und den Parteien den Frieden zu geben, erfüllt zu sehen, starb M. am 19. Apr. 1560 zu Wittenberg, wo er in der Schloßkirche neben Luther beigesetzt wurde.
War M. als einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit und wegen seines Benehmens in öffentlichen und Religionsangelegenheiten [105] verehrungswürdig, so erscheint er ebenso liebenswürdig in seinem häuslichen Leben. Das ängstliche und schwache Gemüth seiner oft kränklichen Gattin Katharina, einer Tochter des Bürgermeisters Krapp in Wittenberg, die er schon 1520 geheirathet hatte und überlebte, trübte wol mitunter sein häusliches Glück, doch weilte er nirgend lieber als bei den Seinen; er liebte seine Kinder auf das zärtlichste und vergnügte sich an ihren Spielen, während er seine gelehrten Arbeiten fortsetzte. Von ihnen überlebte ihn ein am Herzen, aber nicht am Geiste ihm ähnlicher Sohn, der im hohen Alter in Wittenberg als Notarius an der Universität starb, und eine gleichfalls daselbst verheirathete Tochter. M. war klein, hatte eine erhabene Stirn, blaue Augen und breite Brust, blieb aber, wahrscheinlich wegen beständiger Arbeit und Sorgen, hager. Er liebte Mäßigkeit und Arbeitsamkeit und kehrte bald nach Mitternacht zu seinen Arbeiten zurück. In freien Stunden suchte er Gesellschaft, vergnügte sich an heitern Scherzen und seinem äußerst empfindsamen Herzen waren die Regeln des Guten und Schönen gleichsam angeboren. Sein Gedächtniß war äußerst glücklich und seine Sanftmuth ebensowol ein Vorzug der Natur als des Charakters; seine Mildthätigkeit gegen Arme ging so weit, daß er dadurch oft selbst in die dringendste Verlegenheit kam, und nicht der geringste Widerspruch mit seinem Leben findet sich in seinen Schriften, die von Koethe: »M.'s Werke in einer auf den allgemeinen Gebrauch berechneten Auswahl« (6 Bde., Lpz. 1829), neuerdings herausgegeben worden sind.