[178] Gemse (die) ist ein zur Gattung der Antilope gehöriges, auf den hohen Gebirgen in der Schweiz, Savoyen, Salzburg, Tirol, Kärnten, Krain, Steiermark u.s.w. in kleinen Heerden lebendes Thier, das sich, wie alle Antilopen, durch zierliche Gestalt, Gewandtheit und Behendigkeit auszeichnet und etwas größer als die gemeine Ziege ist.
Die Gemse hat 6–10 Zoll lange gerade und dann schnell nach hinten hakenförmig umgebogene Hörner. Hinter jedem Ohre hat sie einen Sack unter der Haut, welcher nach außen nur eine kleine Öffnung hat und eine trockene Höhle bildet. Die großen Augen der Gemse sind lebhaft und etwas röthlich gefärbt; der Schwanz ist nur drei Zoll lang. Der Bau der Beine ist ganz zum Klettern auf den Felsen eingerichtet, die Hinterbeine sind, wie bei allen Thieren, welche große Sprünge machen, länger als die Vorderbeine und die Hufe sind ziemlich lang ausgehöhlt und scharf zugespitzt. Das Fell der Gemse ist braun, auf dem Bauch und an der Kehle weißlich, auf dem Schwanze schwarz, und von den Ohren bis zur Nase geht ein weißer Streif. Im Winter werden die Haare mit grauen untermischt. Das scheue, stets mit gespitzten Ohren aufhorchende Thier zeichnet sich durch scharfes Gehör, Gesicht und Geruch aus und gibt im Augenblicke der Gefahr einen pfeifenden Ton von sich. Morgens und Abends gehen die Gemsen heerdenweise auf die Weide, indem sie im Sommer die gewürzreichen Alpenkräuter, Zweige und Knospen, im Winter Waldgras, Flechten und Moos zur Nahrung suchen. Im Mai bringt die Gemse ein, auch zwei Junge zur Welt. Im Magen der Gemse findet man eine runde feste Masse, von der Größe einer Wallnuß, welche aus den Fasern der Gemswurz und der Bärenwurz besteht und Gemsenkugel oder europäischer Bezoar genannt wird. Man schrieb ihr ehemals große Heilkräfte zu und verordnete sie als Arzneimittel. Die jungen Gemsen haben ein sehr wohlschmeckendes Fleisch. Das Fell wird zu einem Leder verarbeitet, welches sich durch Stärke, Dauerhaftigkeit und Sammetweiche auszeichnet. Talg und Gedärme werden wie die von Schafen und Ziegen benutzt. Die Hörner nimmt man zu Griffen an Stöcken; die Milch ähnelt der Ziegenmilch und das Blut der Gemse soll heilsame Wirkungen gegen Schwindel und andere Krankheiten haben, daher es die Gemsenjäger frisch aus den Wunden trinken. Man macht auf die Gemsen mit der Pürschbüchse Jagd und schießt sie gewöhnlich vom [178] Anstande aus. Auch hält man Treibjagden auf Gemsen. Die sogenannten Gem senjäger machen die Jagd gegen die flüchtigen Thiere der Alpen zum Gewerbe. Es ist die gefährlichste, aber auch die interessanteste Jagd. Gewöhnlich des Nachts geht der Gemsenjäger aus, um des Morgens auf den Weideplätzen einzutreffen, gerüstet mit einem Stachelstock, Schießgewehr und Schießbedarf, einer Axt, Schuheisen mit Stacheln, langen Seilen, um steile Felsen erklimmen oder sich von ihnen herablassen zu können. Er schwebt in steter Lebensgefahr; in kühnen Sprüngen, gewagtem Klettern geht es von Fels zu Fels, an jähen Abgründen vorbei, über sie hinweg, und nicht selten sieht der verwegene Jäger den Rückweg abgeschnitten, er kann nichthinauf, wo er herunterkam und vor ihm liegt ein Abgrund. Dazu kommt, daß die furchtsame Gemse in der Todesangst Muth bekommt und wenn sie keinen Ausweg findet, wol auf den Jäger zuspringt und ihn so in den Abgrund hinabstürzt.
Auf dem Cap der guten Hoffnung und auf den Gebirgen des innern Afrika findet man eine Antilope, die auch Gemsbock genannt wird, die sich oft durch drei Fuß lange, dünne und gerade Hörner auszeichnet. Sie erreicht die Größe eines Hirsches und hat einen langen schwärzlichen Schwanz. Ihre Farbe ist aschgrau, der Kopf ist weiß und schwarz gegittert. Auf dem Rücken und an jeder Seite ist ein dunkelbrauner Streif und ebenso gefärbte Flecken sind auf den Schultern und Schenkeln. Die Haare des Rückgraths sind nach dem Nacken gerichtet.