[273] Neujahr oder der erste Tag eines beginnenden Jahres, wurde auch in vorchristlichen Zeiten durch Feste, Glückwünsche und Geschenke ausgezeichnet. Die Römer opferten namentlich dem Janus (s.d.), die Begegnenden wünschten einander ein gedeihliches und glückliches neues Jahr, die Clienten und Freigelassenen brachten ihren Patronen, die Sklaven ihren Herren, Bürger den Kaisern und Magistraten, Verwandte und Freunde einander gegenseitig Glückwünsche und Geschenke. Zuletzt machten aber die röm. Kaiser aus dieser Sitte eine für sie einträgliche Abgabe, und von Caligula wird erzählt, daß er einmal selbst in der Vorhalle seines Palastes den ganzen Tag die Neujahrsgeschenke in Empfang genommen habe. Die Juden begingen und begehen ihr Neujahrsfest noch am ersten Tage des Monats Tischri, der in den Sept. oder Oct. fällt und nennen es auch das »Fest des Blasens«, weil im Tempel zu Jerusalem an diesem ganzen Tage von den Priestern auf Hörnern und Posaunen geblasen wurde. Sie halten auch dafür, daß Gott an diesem Tage großes Gericht halte, fasten daher vorher und beten am Neujahrstage mit besonderer Andacht; nachher aber halten sie festliche Mahlzeiten, weil sie glauben, die Sünden des vergangenen Jahres wären ihnen von Gott nun vergeben und nach Tische gingen sonst Alt und Jung an Gewässer oder auf Brücken und schüttelten ihre Kleider aus, um sich damit sinnbildlich ihrer Sünde vollends zu entledigen, was bei den deutschen Juden »taschlich machen« heißt und wobei es für ein gutes Zeichen galt, wenn Fische im Wasser zu sehen waren. Die frühesten Christen kannten unser jetziges Neujahrsfest nicht und richteten sich mit ihrer Zeitrechnung nach der bei den Heiden und Juden üblichen, unter denen sie lebten. Später erst wurde der Neujahrstag, als achter Tag nach Christi Geburt, auch als Erinnerungsfest an die Beschneidung Jesu gefeiert; in den christlichen Ländern traten jedoch die Weihnachtsgeschenke an die Stelle der Neujahrsgeschenke, welche sich nur in Frankreich erhalten haben, wo sie étrennes heißen und keine Weihnachtsgaben üblich sind. Die Neujahrswünsche und Gratulationen erhielten. sich allgemeiner und arteten in Deutschland zu einer wahren Last aus, indem nicht blos auf das entfernteste Verhältniß hin Gratulationen dargebracht und nur zu oft auch erwartet wurden, sondern auch noch eine Menge gewerblich beschäftigter oder auch in untergeordneten Verhältnissen angestellter Personen, wie Nachtwachter, Laternenwärter, Hirten u. dgl. m., aber auch Schullehrer, die mit ihren Zöglingen Neujahrsingen, und Stadtmusiker, die Neujahrblasen gingen, dafür mit Geschenken abgefunden zu werden erwarteten, ja zum Theil gewissermaßen fodern konnten, weil sie mit ihrem Einkommen darauf angewiesen waren. Erst in neuerer Zeit ist dieser lästige Gebrauch an vielen Orten durch die Behörden und durch Übereinkunft beseitigt oder doch beschränkt worden, wie es auch von selbst mit der noch vor 30 Jahren fast allgemein üblichen Zusendung und Überreichung gedruckter Neujahrwünsche geschehen ist, von welchen jetzt nur die durch sinnreiche Eleganz ausgezeichneten bei den höhern [273] Classen noch als Gegenstand des Scherzes und gelegenheitlicher Unterhaltung benutzt werden.