Wahl

[637] Wahl und Wählen. Diese Ausdrücke bedeuten, unter mehren Gegenständen, Personen, Dingen u.s.w., aus bewußten Gründen für den einen oder andern entscheiden, daher von mehren Personen einzelne zu öffentlichen Ämtern aussuchen, und da dies gewöhnlich nach der Mehrheit unter den Abstimmenden zu geschehen pflegt, so wird unter Wahlart und Wahl (-Handlung) die Vollziehung einer solchen Abstimmung und der damit verbundenen Geschäfte verstanden. Das deutsche Reich war sonst Wahlreich, d.h. seine Beherrscher wurden jedesmal durch ausdrückliche Wahl der Reichsfürsten und Stände auf den Thron berufen, die sich zur Königs- und Kaiserwahl versammelten (s. Deutsche Kaiser und Könige), und mit dem Ableben eines jeden erlosch auch das Recht seines Hauses auf die Krone. Bevor man aber diese Jemand übertrug, mußte der Gewählte [637] gewisse Bedingungen, eine sogenannte Wahlcapitulation eingehen. (S. Capitulation.) In neuester Zeit sind in den Staaten mit Stellvertreterverfassung die Wahlen der Abgeordneten zu den Versammlungen des Parlaments, der Kammern, Stände, Landtage u.s.w. ein wichtiger, die öffentliche Aufmerksamkeit sehr verdienender Gegenstand. (S. Abgeordneter und Constitution.) Wer die Befugniß besitzt, unter mehren Personen, namentlich in Bezug auf Ämter, Würden und Volksvertretung zu wählen, heißt Wahlmann, Wähler, wer gewählt werden kann, ist wählbar, wahlfähig aber kann man beide nennen unterscheidet jedoch die active (entscheidende) Wahlfähigkeit der Wähler und die passive (leidende) der Wählbaren. Insofern die eine oder beide von dem Besitze eines gewissen Vermögens oder von der Bezahlung eines bestimmten jährlichen Steuerbetrags abhängig gemacht ist, wird dies der Wahlcensus genannt. Die gesetzlichen Vorschriften, nach welchen dergleichen Wahlen vorgenommen werden müssen, d.h. die genauen Bestimmungen über die Art der Wahlhandlung, die dabei zu beobachtenden Grundsätze, das Wahlrecht und was irgend dabei in Betracht kommen kann, machen das Wahlgesetz aus. Das Wahlrecht oder die Befugniß, an einer Wahl Theil zu nehmen, ist gleich der Wahlfähigkeit ein actives, wenn man von mehren Gegenständen einen, unter mehren Personen eine zu gewissen Zwecken wählen kann, oder ein passives, wenn man unter mehren zu oder für etwas erwählt werden kann. Im Allgemeinen muß Derjenige, welcher das eine oder andere in Anspruch nimmt, dispositionsfähig (s. Disponiren) sein und bei den Wahlen für bürgerliche Ehren- und Staatsämter, die erfoderliche allgemeine Fähigkeit dazu besitzen. In Staaten mit repräsentativer Verfassung kommt das Wahlrecht in Bezug auf die Volksvertreter eigentlich jedem activen Staatsbürger zu, wird aber durch gesetzlich festgestellte, meist auf Alter und Vermögen sich beziehende Erfodernisse mehr und minder beschränkt. Man setzt nämlich voraus, daß ein Unvermögender leichter der Bestechung zugänglich sei als der Wohlhabende, und seine Überzeugung daher eher aufopfern werde. In der Regel sind die Bedingungen des passiven Wahlrechts strenger als die des activen, d.h. die Zahl der Wählbaren wird meist noch mehr beschränkt, als die der Wähler. So war in Frankreich vor 1831 nur Wähler, wer 300 Francs, nur wählbar, wer 1000 Francs directe Steuern bezahlte, was in Folge der Juliusrevolution dahin verändert wurde, daß zum Wähler schon 200 Francs, um wählbar zu sein aber 500 Francs jährliche Steuern berechtigen. In den deutschen Staaten mit repräsentativer und ständischer Verfassung ist das Wahlrecht meist an den Grundbesitz und das materielle Interesse geknüpft. Allein erbliche Stellen in den Landtagsversammlungen, sowie unmittelbare (einfache) Wahlen stehen nur dem großen Güterbesitze zu, für das kleine Grundeigenthum und die städtischen Gewerbe sind in der Art mittelbare (doppelte) Wahlen eingeführt worden, daß zuerst Wahlmänner, von diesen die Wähler, von letzten die Abgeordneten ernannt werden. Dazu kommen noch Beschränkungen anderer Art, z.B. daß die Abgeordneten auch dem Stande ihrer Wähler angehören, ja selbst in ihrer Provinz oder dem von ihnen vertretenen Wahlbezirke ansässig sein müssen, was unter Anderm die bair., sächs, kurhess., großherzogl. hess., sachsenweimar. Verfassungen fodern. In Würtemberg allein besteht diese letztere Beschränkung nicht für die Städte und Gemeinden, und die Wählbarkeit ist auch an keinen Wahlcensus geknüpft, sondern wer Staatsbürger, 30 Jahre alt, nicht criminell bestraft worden, in keiner Untersuchung und nicht im Concurs befangen, sowie dispositionsfähig ist, kann zum Abgeordneten gewählt werden. In Kurhessen ist die Erwählung der Hälfte (16) der städtischen und bäuerlichen Abgeordneten ohne Census und außerhalb ihres Standes zugegeben; in Braunschweig ernennt die Ständeversammlung noch 16 Männer von höherer Bildung zu ihren Mitgliedern, für welche nur das zurückgelegte 30. Jahr, unbescholtener Ruf und daß sie fünf Jahre im Lande gewohnt haben, zur Bedingung gemacht ist. – Wahlkammer ist gleichbedeutend mit Kammer der Abgeordneten (s.d.) oder Deputirtenkammer. – Wahlspruch, lat. symbolum, wird ein als Lebensregel durchgängig anwendbarer und über Pflicht und Recht ebenso kurz und bündig wie allgemein gültig sich aussprechender Satz genannt (z.B. thue Recht, scheue Niemand). Indem er in seiner unzweifelhaften Wahrheit Dem beständig vorschwebt, welcher sich ihn zur Richtschnur seiner Handlungen gewählt hat, übt er auf Beharrlichkeit und Übereinstimmung derselben häufig den wichtigsten Einfluß aus. Beweise dafür gibt das Verhalten vieler der ausgezeichnetsten Männer der Vor- und Mitwelt und die besten Sittenlehrer aller Zeiten haben daher die Wahl solcher Wahlsprüche anempfohlen. (Vgl. Devise.)

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 637-638.
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