Kirchenstaat

[967] Kirchenstaat, bis 1870 das weltliche Besitztum des Papstes, umfaßte bis 1859: das Stadtgebiet Rom, die vier Legationen der Romagna, der Marken, von Umbrien und der Campagna und Maritima, zusammen ca. 41.400 qkm, (1857) 3,1 Mill. E.; seit 1860 auf die jetzige Prov. Rom (ca. 12.100 qkm, 1869: 0,7 Mill. E.) beschränkt. Der Papst war unbeschränkter Wahlmonarch; ihm zur Seite stand ein aus Kardinälen bestehender Ministerrat (Chef der vom Papst erwählte Staatssekretär), neben diesem (seit 1849) ein Staatsrat von 15 zum Teil weltlichen Mitgliedern; jeden Landesteil (Legation) verwaltete ein Kardinallegat. Die Armee bestand meist aus fremden (bes. schweiz.) Söldnern.

Aus der Schenkung Pippins des Kleinen, der 755 Stephan III. Teile des Exarchats übertrug, hervorgegangen, ward das sog. Patrimonium Petri 774 von Karl d. Gr. erweitert; 1053 durch das Hzgt. Benevent und 1115 die [967] Besitzungen der Markgräfin Mathilde vergrößert, erlangte der K. Anerkennung seiner Souveränität durch Otto IV. (1201). Innozenz III. erhob sich zum Souverän von Rom, doch die Aufstände der Römer nötigten die Päpste, ihre Residenz nach Avignon zu verlegen (1305-77). 1509 wurde Ravenna, 1513 Bologna, 1532 Ancona, 1598 Ferrara, 1626 Urbino gewonnen; infolge der Reformation ging aber den Päpsten ein großer Teil ihres weltlichen und geistlichen Einflusses verloren. 1783 hob Neapel seine Lehnsverbindlichkeiten gegen den päpstl. Stuhl auf; im Frieden von Tolentino 19. Febr. 1797 mußte der Papst Avignon und Venaissin an Frankreich, die Romagna, Bologna und Ferrara an die Zisalpinische Republik abtreten; 10. Febr. 1798 wurde Rom von den Franzosen eingenommen und 18. Febr. der K. zur Röm. Republik erklärt. 14. März 1800 nahm Pius VII. unter dem Schutz der österr. Waffen den K. wieder in Besitz. 1807 wurden Ancona, Urbino, Macerata und Camerino dem Königr. Italien, 17. Mai 1809 der K. dem franz. Reich einverleibt, Rom wurde eine freie kaiserl. Stadt. Der Papst wurde nach Frankreich abgeführt und konnte erst 24. Mai 1814 wieder von dem K. in seiner frühern Ausdehnung Besitz ergreifen. Pius VII. und seine Nachfolger, bes. Gregor XVI. (1830-46), suchten die päpstl. Macht durch absolutistische Mittel wieder zu begründen, wodurch fortwährende Verschwörungen und Aufstände im K., ganz so wie im übrigen Italien (s.d.) damals, hervorgerufen wurden. Pius IX. (seit 1846) begann mit Reformen, mußte aber 1848 vor den Radikalen nach Gaëta fliehen, worauf in Rom die Republik proklamiert wurde; dieselbe ward nach der Einnahme Roms 3. Juli 1848 durch die Franzosen unterdrückt, die auch nach der Rückkehr des Papstes (1850) daselbst blieben. Die nationale Bewegung seit 1859 hatte 1860 den Anschluß der Emilia, nach der Niederlage des päpstl. Heers bei Castelfidardo (18. Sept. 1860) auch den der Marken und Umbriens an Sardinien zur Folge; Rom wurde dem Papst durch die Franzosen erhalten, die es 1866 räumten, 30. Okt. 1867 aber infolge des Angriffs Garibaldis wieder besetzten. Als sie 1870 Rom verließen, zogen 20. Sept. 1870 ital. Truppen in Rom ein, und ein Dekret Viktor Emanuels II. vom 9. Okt. 1870 machte dem K. durch Einverleibung in das Königr. Italien ein Ende. Dem Papste blieben die Vorrechte eines Souveräns, wie der Besitz des Vatikans und des Laterans. – Vgl. Sugenheim (1854), Brosch (2 Bde., 1878-82), Schnürer (1894), Nürnberger (1898 fg.).

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 967-968.
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