Aegypten (Geschichte)

[72] Aegypten (Geschichte). In wunderbar mythische Schleier[72] gehüllt, liegt die erste Geschichte A's in der Wiege, dem fruchtbaren Nilthale, ein ernstes, seltsames Kind; sein Vater ist der Nilgott, seine Mutter die Astronomie; Pathen sind ihm Babylon und Aethiopien. Strenge Priester haben es groß gezogen, bis es ihrer Gewalt entwuchs; dann lernten Griechenland und Rom von seiner Weisheit. Die alte Geschichte 'As ist die des Nils und der ägypt. Priester. Das Volk war von früh in Kasten (s. d.) getheilt, die wahrscheinlich aus der Zusammensetzung verschiedner Volksstämme entstanden, und später zur Erleichterung ihrer Herrschaft von den Priestern noch mehr ausgebildet wurden. Früher waren ihrer weniger, zu Zeiten Herodot's aber sieben. Ueber allen standen die Priester, selbst der König war ihnen in jeder Hinsicht unterworfen; sie waren die Pfleger des Cultus, Astronomen, Astrologen, Aerzte, Gesetzgeber, Beamte. – Die noch vorhandenen Denkmäler in Aegypten zeugen von der hohen Cultur des Volks und der frühen Zeit derselben. Schon vor vierthalbtausend Jahren stand Aegypten in der Blüthe einer hohen Bildung und Wissenschaft. Die Priester besaßen die Hieroglyphenschrift (s. d.), und die ganze frühere Geschichte knüpft sich allein an die öffentlichen, meist mit Inschriften versehenen Denkmale. Aus jener nebelhaften Mythenzeit tauchen die Namen mehrerer Könige hervor, deren größter Theil wahrscheinlich allegorische Wesen sind. An der Spitze steht Manes. Ebenso mit Priestersagen ausgeschmückt ist Sesostris, vorzugsweise der große König der Aegypter genannt. Nebelfreier wird die Geschichte gegen 700 vor Ch., wo Aegypten von den Aethiopern 40 Jahre unterjocht wurde, dann eine 30jährige Anarchie erfuhr, auf welche die Herrschaft der Zwölffürsten (Dodekarchen) folgte, aus denen endlich Psammetich als Alleinherrscher hervorging, 650 v. Ch. Aber da standen auch schon die großen Städte Theben und Memphis, von denen man so Wunderbares erzählt, die ungeheuern Tempel, Pyramiden, Obelisken und Grabmäler. Diese Erzeugnisse einer fast unbegreiflichen[73] Kraftanstrengung sind alle Kinder der Sagenzeit, und verdanken dem düstern Cultus des Osiris, der Isis und des Pytha ihr Entstehen. Unter Psammetich und seinen Nachfolgern Neko, Aprias (in der Bibel Hophra genannt), Amasis und Psammenit schritt die allgemeine Bildung Aegyptens rasch und sicher vorwärts. Griechen wanderten ein (früher. verwehrten die Priester jedem Fremden Zutritt im Lande), verminderte Macht der Priesterkaste, Buchstabenschrift und Eroberungssucht der Könige nach Asien hin, bezeichnen diese Periode. Der Perserkönig Kambyses eroberte Aegypten 525 v. Ch., worauf es eine persische Satrapie wurde, sich mehrmals empörte, und sammt Persien endlich (332 v. Ch.) von Alexander dem Großen, König von Makedonien, unterjocht wurde. Nach des großen Alexander's Tode begann eine neue Glanzperiode der ägyptischen Geschichte. In der Theilung der von Alexander zusammeneroberten Ländermasse, erhielt der Feldherr Ptolemäus, des Lagus Sohn, Aegypten, und mit ihm beginnt die Reihe der Ptolemäer, deren Zeitgrenze 323 bis 30 v. Ch. ist. Obgleich mehrere dieser Könige tapfre Krieger waren, so huldigten doch die drei ersten vorzüglich den Künsten des Friedens, deren Liebe ihr Ahn Ptolemäus I. Soter oder Lagi auf sie vererbt hatte. Unter Ptolemäus II. Philadelphus wurde Aegypten das blühendste Land der Welt, und der Dichter Theokrit singt von ihm, daß es 33,000 Städte gehabt habe. Rom tritt unter ihm zuerst mit Aegypten in Verbindung. Ptolemäus III. Evergetes war auch Eroberer. Ein großer Theil von Asien kam unter seinen Scepter, und Alexandrien, die Residenz der Ptolemäer, wurde nun der Hauptsitz des Welthandels und die Niederlage der Schätze der reichsten Länder. Auf diese drei großen Könige folgten Ptolemäus IV. Philopator, Ptolemäus V. Epiphaner, Schwelger und Tyrannen, Ptolemäus VI. Philometor, wieder ein besserer Fürst, Ptolemäus VII. Physkon (oder Evergetes II.) ein moralisches und physisches Ungeheuer, gegen den[74] sich das hart gedrückte Volk empörte. Unter den spätern Ptolemäern wird Aegypten immer mehr von Rom abhängig, bis es zuletzt nur dem Scheine nach noch selbstständig, in der That aber eine Provinz von Rom ist. Die Königin Cleopatra (s. d.), Tochter von Ptolemäus Auletes, erhielt sich das Reich durch ihre schlaue Politik und ihre großen Reize, durch die es ihr gelang, Cäsar und Antonius in Fesseln der Liebe zu schmieden, und den Schutz dieser Mächtigen zu erlangen. Die tiefe Leidenschaft, welche Antonius für sie gefaßt, band sie an sein Schicksal, dem sie auch mit ihm erlag (31 v. Ch.). Durch Octavian's Sieg bei Actium über Antonius wurde Aegypten nun wirklich eine römische Provinz. Es war zu dieser Zeit noch der Sitz eines unermeßlichen Reichthums und eines grenzenlosen Luxus. Alexandriens Handel hob sich sogar unter der römischen Oberherrschaft noch außerordentlich. – Das Christenthum wanderte bald in Aegypten ein, aber es war stets ein fruchtbarer Boden der Mystik gewesen, und so entstanden auch hier die ersten Mönche, Anachoreten, Schwärmer u. s. w., der Wohlstand wich immer mehr, und Barbarei und Schwäche nahmen seine Stelle ein. In der Theilung des römischen Reichs durch Kaiser Theodosius den Großen (395 n. Ch.) Provinz des ostländischen Reichs geworden, sank Aegypten immer tiefer, und vegetirte zwei Jahrhunderte im Elend, bis es 610 unter die Herrschaft der Araber kam, nachdem Amru, Feldherr des Khalifen Omar, die Hauptstadt Alexandrien mit Sturm genommen hatte. Unter der arabischen Oberherrschaft, vorzüglich unter dem weisen Khalifen Harun al Raschid, später unter dem trefflichen Sultan Saladin erholte sich Aegypten wieder etwas; aber als es 1250 von den wilden und grausamen Mameluken erobert wurde, verschwand bald jede Spur früherer Größe und Bildung. Die Mameluken wurden 1517 von den Türken aus Aegypten verjagt, und seitdem wird das Land als türkische Provinz von einem Pascha verwaltet. Es war später stets der Schauplatz der Kämpfe zwischen den Mameluken-Bei's[75] mit den Türken, die 1766 unter Ali Bei fast vertrieben wurden. Bon 1798 bis 1801 war Aegypten von den Franzosen besetzt. Nach ihrem Abzuge wurde es wieder von Pascha's verwaltet. Der jetzige Pascha oder Vicekönig von Aegypten ist Mehmed Ali, der 1810 alle Mameluken-Bei's ermorden ließ, um ungehindert zu herrschen. Hart und grausam, liebt er die Künste und Wissenschaften, führt europäische Cultur und Einrichtungen ein, belebt Handel und Industrie, und scheint Aegypten wieder mit ptolemäischem Glanze umgeben zu wollen. Der allzumächtige Vasall der immer schwächer werdenden Pforte fiel 1831 förmlich ab, als der Sultan Besatzungen in einige ägyptische Städte legen wollte, und eroberte 1832 Syrien. Sein tapfrer Sohn Ibrahim wurde der Pforte immer gefährlicher, deren Heer wahre Niederlagen erlitt. Zwar hat sich Ali Pascha wieder unterworfen, aber er ist nur dem Schein nach ein Vasall der Pforte, der Sache nach unumschränkter Beherrscher Aegyptens, dessen Cultur er mit despotischer Strenge betreibt. Er hat eine Militärschule, eine Bildungsanstalt für die Beamten, eine Telegraphenlinie, ja sogar eine Buchdruckerei errichtet, in welcher seit 1829 eine Zeitung arabisch und türkisch gedruckt wird. Auch hat er den großen Mahmudiakanal graben lassen, anderer vortheilhafter Einrichtungen nicht zu gedenken, wobei er immer Europäer, vorzüglich Franzosen braucht. Aegypten unter den Franzosen, 1798–1801. Die Expedition der Franzosen nach Aegypten ist der trojanische Krieg der neuen Zeit; wie dort Agamemnon (s. d.) an der Spitze der Griechenfürsten über Meer auf Abenteuer zog, so hier der Held Napoleon; umgeben von seinen Kampfgenossen und geschmückt noch mit der grünen Siegespalme von den Schlachtfeldern Italiens, verläßt er am 19. Mai 1798 die Küsten Frankreichs, begleitet von mehreren tausend Gelehrten, Künstlern und Handwerkern aus allen Fächern, entschlüpft glücklich dem, im mittelländischen Meere ihm auflauernden Feinde und landet am 2. Juli bei Alexandrien, nimmt die Stadt mit Sturm, [76] dringt landeinwärts, schlägt die Mameluken in der Schlacht bei den Pyramiden, und rückt schon am 22. Juli in Kairo als Sieger ein. Indessen vernichtete der engl. Admiral Nelson die französische Flotte bei Abukir, und die Lage Napoleon's wurde noch dazu durch Empörungen bedenklich. Um sich Luft zu machen, bricht er nach Syrien auf, im Siegeszuge kehrt er zurück, und schlägt die Türken, welche bei Abukir gelandet waren, gänzlich. Trotz dem, daß Noth, Beschwerlichkeiten und Pest die Blüthe des franz. Heeres hinweggerafft, wurden Wunder der Tapferkeit verrichtet. Napoleon kehrte hierauf nah Frankreich zurück, wohin ihn politische Bewegungen riefen. Kleber blieb mit den Trümmern des Heeres als Oberfeldherr zurück, schlug die Türken abermals, nahm Kairo wieder ein, wurde aber von einem Türken meuchlings umgebracht. Bald darauf landeten 17000 Engländer, die Franzosen unter General Menou wurden geschlagen, der Großvezier schloß Kairo ein, wo sie gegen die Bedingung der freien Ueberfahrt in's Vaterland mit aller Habe und den Waffen capitulirten. Menou mußte gleichzeitig Alexandrien übergeben. – Die Helden wurden in Rosette eingeschifft, und landeten im August und September 1801 in Toulon. Im October wurde der Frieden zu London geschlossen. – Wenn auch Aegypten für die Franzosen verloren ging, so war es doch für die Wissenschaften gewonnen, und ihm selbst begann eine neue Aera, von wo aus sich dort europäische Cultur und Bildung die Bahn gebrochen. Unsterblich sind die Verdienste französischer Gelehrter, die mit unermüdlichem Eifer zum großen Theil den Schleier lüfteten, welcher Jahrtausende über diesem wunderbaren Lande und seiner Geschichte gelegen. Das Riesenwerk, worin all die aufgefundnen Schätze aufgespeichert sind, heißt Description de l'Égypte etc. 25 Bände mit mehr als 900 Kupfern und über 3000 Abbildungen. Die Bourbonen Ludwig XVIII. und Karl X. vollendeten es. Die Dichter Barthélemy und Mery haben in dem Gedichte: Napoleon in Aegypten, (deutsch von Gustav Schwab), [77] den Helden Bonaparte und seine Mithelden, so wie die ganze Expedition bei weitem nicht so würdig und großartig gefeiert, als es die Personen und der Gegenstand verdient hätten.

St.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 72-78.
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