Aspasia

[328] Aspasia lebte in der schönsten Zeit des alten Griechenlands, wo die Namen und das erhabene Wirken eines Perikles, Sokrates und Alcibiades die Blätter der Geschichte mit ihrem Ruhme erfüllen; unter so vielen ausgezeichneten Geistern glänzte Aspasia durch eine seltene Beredsamkeit, wie nur das durch Kunst und Wissenschaft so herrlich blühende Athen, welches alle übrigen griechischen Städte weit überstrahlte, sie erzeugen konnte. Aspasia wurde zu Miletus in Ionien geboren Ihr Vater war Axiochus. Die gleich ihr unter ionischem Himmel erzogene Thargelia scheint ihr als Muster vorgeschwebt zu haben; in ihr fand sich politisches und literarisches Talent mit Grazie und der Anmuth zarter Weiblichkeit innig vereint, so daß sie unter den berühmten Frauen der Vorzeit eine der Wenigen ist, welche mit der Bewunderung der Mit- und Nachwelt sich auch die Achtung derselben erwarb. Aspasia beschäftigte sich vorzugsweise mit dem Studium der höhern Staatswissenschaft und Regierungsform, und widmete sich noch insbesondere der Redekunst; Plato sagt von Aspasia, daß sie es war, welche Perikles, der durch seine Beredsamkeit den Beinamen des Donnernden sich errungen hat, in jener Kunst unterrichtet habe. Der elegische Dichter Hermesianax schildert uns die Liebe des Sokrates zur schönen Aspasia, indem er sagt: Venus habe sich an seiner strengen Weisheit rächen wollen, und ihm glühende Liebe für Aspasia eingeflößt, damit er, der die Wahrheit aus den verwickeltsten Sophismen zu enthüllen vermöge, sich in den Irrgängen seines eignen Herzens verliere. Aspasia selbst richtete Gedichte an den Weisen, die ihn über seine unglückliche Leidenschaft zu ihr trösten sollten; doch mag man es[328] der weiblichen Eitelkeit verzeihen, wenn sie sich der Macht freute. die sie über ihn ausübte. Allein der größte Ruhm, den die gefeierte Schöne erlangt hat, ist in der aufrichtigen, unerschütterlichen Neigung begründet, welche sie Perikles einzuflößen wußte. Dieser gab das, in der Geschichte so seltene Beispiel, wie der Mann, von Tugend und Vaterlandsliebe durchdrungen, zugleich Bürger und König einer Republik zu sein vermag. Um sich mit Aspasia zu verbinden, trennte Perikles das Band einer ersten Ehe. Von Plutarch wissen wir, daß in dieser neuen Verbindung die zärtlichste Gattenliebe beide vereinigt habe, und hieraus scheint unwidersprechlich hervorzugehen, daß Aspasia die Zweifel nicht verdient, welche man gegen ihre Tugend und Sittlichkeit zu erheben wagte. Aspasia ist von ihren Zeitgenossen als die Urheberin zweier Kriege genannt worden: erstens, des Krieges zwischen den Athenern und Samiern, wegen Miletus, ihres Vaterlandes; zweitens, desjenigen, welchen Athen um die Stadt Megara mit Lacedämon führte. Diese Anklagen werden aus dem Umstande leicht erklärlich, daß die Menge, sobald eine Frau Gewalt über das Oberhaupt eines Staates ausübt, alle Unfälle, die den Einzelnen oder das allgemeine Wohl bedrohen, ihrem Einflusse zuschreibt. In einer Stadt wie Athen und unter den von so widerstreitenden Interessen bewegten Griechen, konnte selbst ein Perikles nie ohne Feinde sein; da letztere den großen Mann noch nicht persönlich anzugreifen wagten, richteten sie die Pfeile des Argwohns und der Verleumdung gegen diejenigen, welche seinem Herzen theuer waren; unter diesen befanden sich Aspasia, Anaxagoras und Phidias, die öffentlich vor Gericht wegen Verachtung der Götter angeklagt wurden. Die beiden Letzteren konnte er nicht aus der Verbannung erretten, allein seine Thränen erweichten die Richter für Aspasia, und diese entging jenem widrigen Schicksale. Im dritten Jahre des peloponnesischen Krieges verlor Aspasia den Gemahl, und Athen den edelsten Bürger. Nach seinem Tode behauptet man, daß die Freundin des Sokrates, [329] des Perikles Gemahlin, der die Huldigungen eines Alcibiades zu Theil wurden, ihr Loos an das eines Mannes, Namens Lisikles, geknüpft habe, der bis dahin in der Dunkelheit eines gewöhnlichen Privatstandes unbemerkt geblieben war. Plutarch, der ihn für einen Schafhändler ausgibt, belehrt uns, daß Aspasiens hoher Geist, das Feuer ihrer Seele, mit dem sie Alles um sich her zu beleben wußte, auch den Gemahl begeisterte, und der Zauber ihres Umganges ihn in kurzer Zeit zur Ausübung großer Gewalt in dem mächtigen Athen erhob. Aber nicht allein auf den engen Kreis ihrer Umgebung erstreckte sich Aspasiens Einfluß; durch die Macht und Kraft ihrer Rede wußte sie sich der ganzen Nation mitzutheilen. In Griechenland lebten die schönen Künste unter allen Formen; nicht nur die Beredsamkeit, sondern auch die Staatswissenschaft trug das Gepräge der Kunst, die in den Sitten und der Religion der Athener ihren Ursprung zu nehmen scheint. Dieses freie, ungebundene Walten der Phantasie, das vorherrschende poetische Element im Geiste der Griechen, verschaffte Aspasien, die in alle Geheimnisse eingedrungen war, eine unumschränkte Macht. Den Namen Aspasia hat sie durch ihre Schönheit, ihre Liebenswürdigkeit und ihren Geist so berühmt gemacht, daß Cyrus die Begünstigte seiner Frauen, welche Milto hieß, nach ihr nannte, um dadurch die Bewunderung, die er für die Reize der wahren Aspasia hegte, kund zu thun. Aspasia hieß bei den Griechen in der Folge so viel, als die Liebenswürdigste der Frauen, wie Alexander der Größte der Helden.

E. v. E.

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Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 328-330.
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