Dramatische Musik

[222] Dramatische Musik. Seit einigen Jahren hört man viel von »dramatischer Musik, dramatischem Gesang und dramatischen Sängern« sprechen. Man will auf dem Theater nicht[222] mehr bloß schön singende Automaten sehen. Als die Oper noch weniger ausgebildet war, wurde dem Sänger eine hohe Vollendung in der Action nicht zugemuthet. Aber nachdem die Componisten theils durch Vermehrung der Recitative und affectvollen Scenen, theils durch die gründlichere Behandlung dramatischer Charaktere, wie eines Masaniello, Tell, Othello, Romeo, Julia u. s. w., die Dramatik der Oper zu potenziren gesucht hatten, so entstanden auch höhere Anforderungen an die Sänger. Ihr Gesang sollte leben und das ihm inwohnende Leben in der Darstellung äußern. Da die Oper ein musikalisches Drama ist, so versteht sich von selbst, daß auch ihre Musik auf das Innerste vom Geiste der Handlung durchdrungen sein müsse, und Hoffmann gibt den Operncomponisten Nachstehendes zu beherzigen: »Lies das Gedicht, richte mit aller Kraft deinen Geist darauf, gehe ein mit aller Macht deiner Phantasie in die Momente der Handlung; du lebst in den Personen des Gedichts, du bist selbst der Tyrann, der Held, die Geliebte; du fühlst den Schmerz, das Entzücken der Liebe, die Schmach, die Furcht, das Entsetzen, ja des Todes namenlose Qual, die Wonne seliger Verklärung; du zürnest, du wüthest, du hoffest, du verzweifelst; dein Blut glüht durch die Adern, heftiger schlagen deine Pulse; in dem Feuer der Begeisterung, das deine Brust entflammt, entzünden sich Töne, Melodieen, Accorde, und in der wundervollen Sprache der Musik strömt das Gedicht aus deinem Innern hervor.« – Doch das Streben nach dramatischer Musik kann auch übertrieben werden, eines Theils durch das Jagen nach zu grellen Effecten, wie z. B. in Robert der Teufel, und dann durch Vernachlässigung der lyrischen und romantischen Momente, wo die Musik mehr einen sentimentalen oder malerischen Charakter annehmen soll. Die reine Instrumentalmusik, die sich in das Reich der Unendlichkeit taucht und deren Tonsprache nicht in das handelnde Leben übergeht, soll mehr lyrisch und phantastisch, als dramatisch sein.

E. O.

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Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 3. [o.O.] 1835, S. 222-224.
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