Thee

[88] Thee. »Darma, ein sehr frommer Fürst und Sohn eines indischen Königs, kam um das Jahr 519 v. Chr. nach China in der Absicht, seine Religion auszubreiten. Um durch sein Beispiel Andere zur Tugend zu leiten, führte er ein höchst bußfertiges Leben, aß bloß Pflanzen und brachte den größten Theil seiner Zeit, von keinem Hause geschützt, in Gebet und frommen Uebungen zu. Nachdem er so einige Jahre gelebt hatte, war er von Müdigkeit ganz erschöpft, schloß seine Augen und schlief wider seinen Willen ein. Als er erwachte, fühlte er so viel Reue darüber, daß er sein Gelübde gebrochen, daß er, um etwas Aehnliches zu verhüten, seine Augenlider abschnitt als die Werkzeuge seiner Schuld, und sie auf die Erde[88] warf. Am folgenden Tage kam er wieder an denselben Ort und fand sie in zwei Sträucher verwandelt, die jetzt unter dem Namen T. bekannt sind. Darma aß einige Blätter davon und fühlte dadurch seinen Geist so gestärkt, daß seine Gedanken einen höheren Flug nahmen, und die Schlafsucht, die ihn früher fast überwältigte, gänzlich von ihm wich. Er machte seine Schüler mit den wunderbaren Eigenschaften dieser Blätter bekannt, und nach und nach ward der Gebrauch derselben allgemein.« Dieß ist wörtlich die alte chinesische Sage von der Entstehung des T's, jenes Lieblingsgetränkes der großen Welt, jenes aromatischen Nectars der Damen! Die Nacht bedeckt mit ihren Schleiern das Treiben der Städte. Der arbeitsame, thätige Mann hat sein Tagewerk vollbracht und ruht von seinen Mühen aus; der Unglückliche vergißt auf einen Augenblick die Qualen seiner Brust und überläßt sich dem Schlummer. Aber in der großen Welt regt sich's noch. Die Bevorzugten des Glücks überlassen sich den Freuden der Gesellschaft. Staatsmänner, Gelehrte und Künstler vereinigen sich in glänzenden Cirkeln und schlürfen den prächtigen T., der ihre aufgeregte Stimmung sanft beschwichtigt. Welch' ein Zauber, in einer so glänzenden Theegesellschaft zu weilen, sich in Wohlgerüchen zu baden, liebliche oder ernste Worte zu tauschen. Doch nicht bloß des Abends, auch am Morgen mundet die Tasse, gefüllt mit dem chinesischen Trank. Nicht nur in einem prächtigen Saal, bei dem zauberischen Glanze der Kerzen und Diamanten, sondern auch bei guter Tageszeit, in der Laube des Gartens unter eben aufgeblühten Blumen oder zur Seite des wärmenden Ofens, ist es so süß und behaglich, diesen Nectar zu schlürfen. Glückliches China und Japan, ihr leuchtenden Zwillingslande, unter eurem Himmel erblüht der segensreiche Theebaum (thea), der, obwohl er nur eine Höhe von 5–6 F. erreicht, doch in die tiefsten Tiefen des Gemüthes seine Wurzeln schlug, und mit seinen Zweigen und weißen Blüthen die ganze civilisirte Welt überschattet. Und würdig reih'st du, goldenes Indien, dich unter Britanniens Löwenbanner[89] jetzt dem Zwillingspaare als dritter Genoß an und pflegst sorglich das fremde chinesische Kino an deinem mildglühenden Busen. – Zwei Schwestern theilen sich bekanntlich in die Herrschaft der Salons: der grüne und der schwarze T. Höherer Adel ziert den grünen, der, wenn er angebrüht wird, oft das ganze Zimmer mit dem lieblichsten Rosenduft erfüllt. In seiner höchsten Glorie glänzt er als Kaiser-Blumenthee, der aber in Europa ebenso selten als theuer ist. Dafür benennt man im Handel ausgesuchten Perlthee mit diesem Namen. Andere geschätzte Sorten grünen T's sind der Haysan und der besonders aromatische Schulang. Die ' gemeinste Sorte schwarzen T's ist der Thee Bou; grünlich-braun, in's Gelbliche fallend, sind seine Blätter nicht ganz und mit Staub vermischt; denn er besteht aus den Ueberbleibseln, die alljährlich nach geschehener Verladung von den Chinesen aufbewahrt werden. Der Camsu und der Campoui sind die ausgesuchten Blätter desselben, die im Handel den gemeinschaftlichen Namen Congothee führen. Eine bessere Sorte ist der Soutschang, der aber ebenfalls nur selten in seiner Reinheit Europa begrüßt. Die Auswahl der Soutschangblätter heißt Paotschang, und dieser ist der Liebling der Chinesen. Sehr vorzüglich ist auch der Pekao, der bei uns in Karawanenthee umgetauft wird, weil er über Rußland kommt. In Petersburg selbst kostet er oft 50 Rubel das Pfund. Und so mannichfaltig an Werth und Gehalt die Blätter des T's sind, so verschieden sind auch die künstlerischen Methoden, ihnen die köstlichen Thränen der sonnigen Heimath zu entlocken, ihre gefeiten Düfte zu entzaubern, ihren Balsam zu läutern und den geläuterten den wahlverwandten Erzeugnissen der europäischen Welt sinnig zu gesellen. Die Chinesen gießen das heiße Wasser in die Tasse selbst auf die Blätter und trinken diesen Aufguß ohne Zucker und Rahm. Die Japanesen verwandeln die Blätter in Staub und schütten einen kleinen Löffel dieses Pulvers in eine Tasse mit kochendem Wasser. Bei beiden Völkern macht die Art, den T. zu serviren, einen Theil der Erziehung[90] junger Leute aus, und man unterrichtet sie in dieser Kunst, wie man unsere jungen Leute das Tanzen und Fechten lehrt. In England, wo man den T. mit wahrer Virtuosität bereitet, wird heißes Wasser auf die Blätter geschüttet; drei kleine Löffel dieser Blätter spenden dann ohne stiefmütterliche Liebe sechs volle Tassen. Unkünstlerisch und verwerflich ist es, den T. ziehen zu lassen, oder ihn gar zum Feuer zu stellen; nicht ungestraft mißhandeln läßt sich der freigeborene Sohn der indischen Sonne. Dann entfliehen zürnend die ätherischen Geister seines Aroms. Nur ein schneller Aufguß entlockt dem T. jenen seinen und lieblichen Duft. Einzige thun sehr wenig Blätter in die Kanne; dann wandelt sich der T., seines Lebensathems beraubt, müd' bis zum Tode, in eine matte Tisane, in einen faden, wäßrig medicinartigen Aufguß. Andere verschwenden den T. mit vollen Händen und erhalten so einen dicken, erhitzenden Trank von röthlich-gelber Farbe, von zusammenziehendem Geschmacke. Nimm Haysanthee von grünlicher, in's Silbergraue schillernder Farbe, oder Perlthee, bläulich schillernd, vier Loth; Soutschang, braun, in's Violette spielend, große biegsame Blätter, zwei Loth; Pekao, kleine zusammengerollte Blätter, oft mit weißen Spitzen, zwei Loth; hebe diese verschiedenen Sorten in einem blechernen oder noch lieber porzellanenen Gefäße hermetisch verschlossen auf, und nimm endlich zwei kleine Löffel zu vier gewöhnlichen Tassen. Du aber, du duftiger, leicht perlender Trank, bist du nicht der geliebteste Liebling der Frauen? Glücklicher! wie glänzt die Tafel, auf welcher du thronst Deine goldenen Fluthen hauchen in durchsichtigem Porzellan den süßesten Duft und zarte Hände credenzen den lieblichen Weihetrank. Solche Vorzüge, solchen Genuß, kann nur Uhland würdig besingen. Mild zittert das goldene Saitenspiel, und sanft erklingt sein äolisches Lied:

Ihr Saiten, tönet sanft und leise,

Vom leichten Finger kaum geregt!

Ihr tönet zu des Zärtsten Preise,

Des Zärtsten, was die Erde hegt.

[91] In Indiens mythischem Gebiete,

Wo Frühling ewig sich erneut,

O Tee, du selber eine Mythe,

Verlebst du deine Blüthezeit.

Nur zarte Bienenlippen schlürfen

Aus deinen Kelchen Honig ein,

Nur bunte Wundervögel dürfen

Die Sänger deines Ruhmes sein.

Wann Liebende zum stillen Feste

In deine duft'gen Schatten fliehn,

Dann rührest leise du die Aeste

Und streuest Blüthen auf sie hin.

Die Frauen sind's ja, die dich halten

In ihrer mütterlichen Hut;

Man sieht sie mit der Schale walten

Wie Nymphen an der heil'gen Fluth.

Den Männern will es schwer gelingen,

Zu fühlen deine tiefe Kraft;

Nur zarte Frauenlippen dringen

In deines Zaubers Eigenschaft.

D'rum möget ihr sanft und leis verklingen,

Ihr, meine Saiten, kaum geregt!

Nur Frauen können würdig singen

Das Zärtste, was die Erde hegt.

B.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 88-92.
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