[361] Lied (Musik) (Musik). Zwei Genien bestimmten zur Priesterin ihres Tempels ihr Erstgebornes, eine liebliche Jungfrau, das Kind ihrer Jugend und Liebe. Ihre Sprache ist Melodie, ihre Blicke sind die Sprache der Seele, ihr Antlitz ist der Spiegel ihres Herzens. Sie bietet uns den Weihekuß mit glühenden Lippen und[361] führt uns in die Hallen des elterlichen Tempels. Die beiden Genien heißen Tonkunst und Poesie ihr Liebling ist das Lied. Das Lied ist die Scheidemünze der Dichtkunst und der Musik; es ist der reinste Ausfluß unserer Gefühle in der einfachsten Form gegeben; es redet die Sprache der Wahrheit in einem reizenden Gewande und findet sein Echo in unserem Herzen; es ist unsere innigste Vertraute, die Trösterin unserer Schmerzen, die Schwester unserer Freuden; ein Genius der Liebe, der nur dem die Hand reicht, dem ihr Stern geleuchtet in Luft oder Leid. Der Componist muß im Liede die üppigsten Blüthen seiner Phantasie niederlegen, als hätte er sie zu Tausenden wegzuwerfen, und seine Melodien müssen mit der Sprache der Selbstempfindung in unserer Seele erklingen und zünden; der Sänger muß seine innersten Gefühle, die Geheimnisse seines Herzens in den Tönen ausströmen lassen. Das Lied ist der Hausfreund deutscher Häuslichkeit; der Triumph der Musik im Kreise befreundeter Geister, im Dämmerlicht, wenn die Herzen sich öffnen und unsere Seele in seligen Träumen wandelt. In andern Ländern mehr ein Eigenthum des Volkes, hat es sich in Deutschland am meisten mit der Kunst vermählt. Deutsche Componisten haben es zur höchsten Vollkommenheit ausgebildet; sie nur vermochten die Sprache der Nat ur und der menschlichen Empfindungen zu belauschen. Die kritischen Anforderungen an das musikalische Lied sind Schönheit und Sangbarkeit der Melodie, natürliche, aber interessante Harmoniefolge, charakteristische und den Gesang hebende Begleitung. Hinsichtlich der Form der Lieder hat man die Freiheit der Poesie endlich auch in der Musik aufgenommen; dennoch wird die einfachste Urform, wie wir sie in Volksliedern finden, zu allen Zeiten ihre Herrschaft behaupten. Himmel, Reichardt, Schultz und Zumsteeg gehören zu den Gründern des Liedes. Reichardt's Melodien klingen noch jetzt wie liebe Ammenmährchen aus der Zeit der Unschuld, und Himmel's »an Alexis« hat gewiß manches Mädchenherz, das in [362] Liebe glühte, einst gesungen. C. M. von Weber, ein geborner Liedercomponist, legte die schönsten Früchte seines Talentes in ihnen nieder; Wiedebein sang im ächten süßen Troubadourton, L. Berger und B. Klein mit tiefem poetischen Geiste; Franz Schubart erhob sich wie ein reicher Wunderbaum, aus dessen Zweigen die romantischen Zauberklänge einer neuen Zeit ertönen, und auch Beethoven ruhte im Liede, wie an der Brust der Liebe. Von den lebenden Liedercomponisten nennen wir als vorzüglich folgende: C. Banck, C. Cunschmann, Dessauer, C. Löwe, Marschner, C. G. Reissiger. k.
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