[65] A posteriori ist das Gegenteil des a priori. Es bezeichnet das, was aus der Erfahrung stammt, was durch diese bedingt ist, kurz allen Erfahrungsinhalt im Unterschiede vom Formalen (s. d.) der Erkenntnis und der Erkenntnisobjecte. –
Die älteste Bedeutung von a priori ist die der Erkenntnis der Dinge aus ihren Ursachen oder Gründen im Unterschiede von der aposteriorischen, aus den Wirkungen, Folgen schöpfenden Erkenntnisart. Dies führt auf ARISTOTELES zurück. Nach ihm ist das Allgemeine (s. d.) das von Natur Frühere (proteron physei, ousia, gnôrimon haplôs), aber in[65] Beziehung auf uns das Spätere (proteron pros hêmas oder hêmin Anal. post. I 2, 71 b 33). Es ist das Allgemeine, das begrifflich Vorangehende, Primäre (kata men gar ton logon ta katholou protera), das Einzelne aber in der Wahrnehmung früher (kata de tên aisthêsin ta kath' hekasta) (Met. V 11, 1018 b.32). Das Allgemeine enthält aber den Grund des Einzelnen, aus dem dieses erkannt wird. BOËTHIUS bestimmt (in seinem Comment. zu Aristoteles): »Priora autem et notiora dupliciter sunt, non enim idem est natura prius et ad nos prius«, er gebraucht die Ausdrücke »per priora, per posteriora«. Die arabischen Philosophen ALFÂRÂBI (»demonstratio quia et propter quid«, Prantl, Gr. d. L. II, 317), AVICENNA (»posterius, ex priori«), AVERROËS (»res priores in esse, res posteriores in esse«, l.c. 359, 372, 394) acceptieren diese Begriffsbestimmung.
Bei ALBERT VON SACHSEN findet sich wohl zum erstenmal das a priori als »Beweis aus der Ursache«. »Demonstratio quaedam est procedens ex causis ad effectum et vocatur demonstratio a priori et demonstratio propter quid et potissima;... alia est demonstratio procedens ab effectibus ad causas et talis vocatur demonstratio a posteriori et demonstratio quia et demonstratio non potissima« (l.c. IV, 78). JOH. GERSON bemerkt (De concept. p. 806): »Concipiens res naturales.. potest duabus viis quasi contrariis incedere et ordinem scientiis dare; una via est ex parte rerum cognoscibilium a priori, altera ex parte cognoscentium a posteriori« (PRANTL IV, 144) JOH. PARREUT sagt (Quaest. in Categ.): »Notitia essentialis et a priori est, qua cognoscitur terminus esse in praedicamento ex eo, sine quo non potest esse in praedicamento... sed notitia accidentalis et a posteriori est, qua cognoscitur terminus esse in praedicamento ex eo, sine quo potest esse in praedicamento« (l.c. IV, 240). THOMAS unterscheidet »prior cognitione« (»quoad nos«) und »prior in ordine naturae« (Sum. th. I, 11, 2 ad 4, I, 77, 4c). »Priora et notiora secundum naturam – posteriora et minus nota secundum nos,« »magis universalia et communia sunt priora in nostra intellectuali et sensitiva cognitione« (Sum. th. I, 85, 2-3). SUAREZ stellt »a priori« = »ex causis« und »a posteriori« = »ex effectibus« einander gegenüber (Disp. met. XXX, 7, 3). GOCLEN: »Prins natura est universale: quo ad nos particularia sunt priora« (Lex. phil. p. 868). LUTHER übersetzt a priori durch »von vornen her«, a posteriori durch »von dem, was hernach folget« (Tischred. ed. Förstemann IV, 399; EUCKEN, Termin.). Die scholastische Bedeutung der Wörter a priori und a posteriori auch bei SPINOZA (Ren. Cart. pr. princ. I, prop. VI), GEULINCX (Eth. annot. p. 208), GASSENDI (Exerc. II, 5), in der Logik von PORT-ROYAL: »Soit en prouvant les effets par les causes, ce qui s'appelle démontrer a priori, soit en démontrant au contraire les causes par les effets, ce qui s'appelle prouver a posteriori« (vgl. EUCKEN, Gesch. d. Grundbegr. S. 98). Ähnlich BERKELEY (Princ. XXI).
Das a priori bezieht sich ferner auf die begriffliche im Unterschiede von der empirischen Erkenntnis(dem a posteriori). So bei HOBBES und HUME (»our reasonings a priori«, Inqu. IV, 1), besonders aber bei LEIBNIZ (neben der scholastischen Auffassung, Opp. Erdm. p. 79): »Philosophie expérimentale qui procède a posteriori – la pure raison ou a priori« (l.c. p. 778 b). »Connaître a priori – par l'expérience« (Nouv. Ess. III, ch. 3, § 15; Monad. 76: »a posteriori« = »tiré des expériences«). Die Möglichkeit eines Dinges erkennen wir a priori, »cum notionem resolvimus in sua requisita, seu in alias notiones cognitae possibilitatis, nihilque in illis incompatibile esse scimus« (Med. de cogn. Erdm. p. 80 b). So auch CHR. WOLF: »Quod experiundo[66] addiscimus, a posteriori cognoscere dicimur: quod vero ratiocinando nobis innotescit, a priori cognoscere dicimur« (Psych. emp. §§ 5, 434 ff., 460 f.). »Si veritas a priori eruitur, ex notionibus... per ratiocinia colligitur« (ib.). »A posteriori« auch »ex phaenomenis« (l.c. § 125). So auch BAUMGARTEN. Nach CRUSIUS erkennt man a posteriori nur, daß etwas so ist, a priori aber, warum es so ist (Vernunftwahrh. C. 3, § 35). PLATNER unterscheidet: a posteriori = aus der Erfahrung, a priori = aus der Vernunft (Phil. Aphor. I, § 700). Ein begriffliches a priori nehmen auch neuere Denker wie BOLZANO, ROSMINI u. a. an, die nicht Kriticisten sind.
Die dritte Bedeutung von »a priori« ist die des von der Erfahrung Unabhängigen, nicht aus ihr Stammenden, ihr Vorhergehenden, sie notwendig im vorhinein Bestimmenden und Bedingenden, für alle Erfahrung im voraus Gültigen, in sich selbst objectiv Gewissen, Allgemeingültigen im Gegensatze zum »a posteriori«, dem auf Erfahrung sich Stützenden, durch diese Gegebenen, aus ihr Entnommenen. Der eigentliche Begründer dieser Theorie des Apriorischen ist KANT. Ansätze dazu finden sich aber schon vor ihm. So schon in PLATOs Begriff der Anamnese (s. d.). Die allgemeinen Denkbestimmungen der Dinge sind hiernach uns angeboren (s. d.), lassen sich aus unserer Vernunft, in der sie schlummern, gewinnen, bei Gelegenheit der Wahrnehmung, nicht aus dieser (Phaedo 75 E, 76 E, 92 D). Plato spricht geradezu von einem »Vorauswissen« (proeidenai) des rein Begrifflichen, Formallogischen der Erkenntnis (l.c. 74 E). Vgl. NATORP, Platos Ideenlehre S. 138 ff.; GUGGENHEIM, Die Lehre vom apriorischen Wissen... 1885; D. PEIPERs, Unters. üb. d. d. Syst. Platos I, 1874. Doch wird das a priori metaphysisch auf Erfahrungen im Jenseits (s. Präexistenz) zurückbezogen. Der Begriff des Apriorischen als des Denknotwendigen, ohne Erfahrung Gewissen liegt eingeschlossen in der Lehre von den angeborenen (s. d.) Begriffen, besonders bei DESCARTES, auch in dessen »lumen naturale«, (s. d.). GALILEI betont die unbedingte Gewißheit und Notwendigkeit der Mathematik, deren Einsichten »da per se« sind. LEIBNIZ nimmt mit seinem Begriffe der »Vernunftwahrheiten« (s. d.) apriorische Erkenntnisse an. »Il y a des idées, qui ne nous viennent point des sens et que nous trouvons en nous sans les former, quoique les sens nous donnent occasion de nous en appercevoir« (Nouv. Ess. I, ch. 1, § 1). »L'apperception immédiate de notre existence et de nos pensées nous fournit les premières vérités a posteriori ou de fait, c'est-à-dire les premières expériences; comme les perceptions identiques contiennent les premières vérités a priori, c'est á dire les premières lumières« (l.c. IV, ch. 9, § 2). TETENS leitet die Kategorien (s. d.) aus einer apriorisch-subjectiven Denktätigkeit ab (Phil. Vers. I, 303). LAMBERT bemerkt: »Wir wollen es demnach gelten lassen, daß man absolute und im strengsten Verstande nur das a priori heißen könne, wobei wir der Erfahrung vollends nichts zu danken haben« (Organ. Dianoiol. 9, § 639). REID betont, daß notwendige Wahrheiten nicht aus dem Sinnlichen geschlossen werden können, denn die Sinne bezeugen uns nur, was ist, nicht was notwendig sein muß (Ess. on the powers of the mind I, 281, II, 53, 204 239 f., 281). Der »common sense« (s. d.) ist die Quelle von »selfevident truths« (intuitiv gewisser Wahrheiten). Ähnlich andere Denker aus der schottischen Schule, wie z.B. DUGALD STEWART (Philos. essays V, 123 f.).
KANT versteht unter dem a priori nicht etwas, was zeitlich der Erfahrung vorangeht – denn alle Erkenntnis beginnt mit der Erfahrung, er faßt es nicht[67] psychologisch, sondern logisch, transcendental (s. d.) auf. Apriorisch ist alles Formale (s. d.) der Erkenntnis, das, was einen Erkenntnisstoff erst zur Erkenntnis, zur Erfahrung gestaltet, was also schon aller Erfahrung bedingend, constituierend zugrundeliegt. »Apriorisch« nennt E. 1) absolut gewisse, allgemeingültige, nicht inductiv gewonnene Erkenntnisse (Urteile), 2) die formalen Elemente solcher Erkenntnisse, d.h. die Anschauungs- und Denkformen als solche, 3) die subjectiven Bedingungen derselben im erkennenden Ich, in dem sie »angelegt« sind, um aber erst in und mit der Erfahrung zum Bewußtsein zu kommen. A priori ist, »was durch und durch apodiktische Gewißheit, d. i. absolute Notwendigkeit, bei sich führt, also auf keinen Erfahrungsgründen beruht, mithin ein reines Product der Vernunft, überdem aber durch und durch synthetisch ist« (Proleg. § 6). »Solche allgemeine Erkenntnisse nun, die zugleich den Charakter der inneren Notwendigkeit haben, müssen, von der Erfahrung unabhängig, vor sich selbst klar und gewiß sein; man nennt sie daher Erkenntnisse a priori, da im Gegenteil das, was lediglich von der Erfahrung erborgt ist, nur a posteriori oder empirisch erkannt wird« (Kr. d. r. V. S. 35). »Gänzlich a priori, unabhängig von der Erfahrung entstanden,... weil sie machen, daß man von den Gegenständen, die den Sinnen erscheinen, mehr sagen kann,... als bloße Erfahrung lehren würde, und daß Behauptungen wahre Allgemeinheit und strenge Notwendigkeit enthalten, dergleichen die bloß empirische Erkenntnis nicht liefern kann« (l.c. S. 35 f.). Erkenntnisse a priori, »die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden. Ihnen sind empirische Erkenntnisse, oder solche, die nur a posteriori, d. i. durch Erfahrung, möglich sind, entgegengesetzt« (l.c. S. 647, 648). Das a priori wird a priori erkannt, denn »was... die Beschaffenheit derselben [der Erkenntnisse], Urteile a priori zu sein, betrifft, so kündigt sich die von selbst durch das Bewußtsein ihrer Notwendigkeit an« (Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 113). Das Apriorische liegt allein in der Form (s. d.) der Erkenntnis, gilt nur für (mögliche) Erfahrungen (entgegen dem ontologistischen Rationalismus). Es ist uns »keine Erkenntnis a priori möglich, als lediglich von Gegenständen möglicher Erfahrung« (Kr. d. r. V. S. 64S). »Eine Anschauung, die a priori möglich sein soll, kann nur die Form betreffen, unter welcher der Gegenstand angeschaut wird; denn das heißt, etwas sieh a priori vorstellen, sieh vor der Wahrnehmung, d. i. dem empirischen Bewußtsein, und unabhängig von denselben eine Vorstellung davon machen.« »Es ist aber nicht die Form des Objects, wie es an sich beschaffen ist, sondern die des Subjects, nämlich des Sinnes, welcher Art Vorstellung er fähig ist, welche die Anschauung a priori möglich macht. Denn sollte diese Form von den Objecten selbst hergenommen werden, so müßten wir dieses vorher wahrnehmen und könnten uns nur in dieser Wahrnehmung der Beschaffenheit derselben bewußt werden« (l.c. S. 105). A priori ist alles, was in unserer Anschauung oder in unserem Denken »niemals weggelassen« werden kann (Proleg. § 9), und das fällt zusammen mit dem, was aus der formenden Tätigkeit des Bewußtseins constant entspringt (l.c. §13). Apriorische Elemente enthalten die Mathematik, die Physik, die Ethik, die Ästhetik, die (kritisch gehandhabte) Metaphysik (Kr. d. r. V. S. 651 ff.). So sind z.B. die Anschauungsformen (s. d.) a priori, sie müssen »im Gemüte a priori bereit liegen, und dahero abgesondert von aller Empfindung können betrachtet werden« (l.c. S. 49). Angeboren sind die apriorischen Formen nicht, wohl aber »ursprünglich erworben«, das Erkenntnisvermögen »bringt sie aus sieh selbst a priori zustande«. Nur der Grund, »der es möglich macht, daß die gedachten Vorstellungen so und[68] nicht anders entstehen und noch dazu auf Objecte, die noch nicht gegeben sind, bezogen werden können«, ist angeboren (Üb. e. Entdeck. S. 43). Das a priori der Erkenntnis erklärt die Apodikticität, die absolute Notwendigkeit von Urteilen (s. d.), die Sicherheit und Exactheit der Mathematik und Physik. Apriorität und Subiectivität (s. d.) der Erkenntnisformen sind für Kant Wechselbegriffe, eins ergibt sich aus dem andern. Es ist unter reinem, absolutema priori das völlig Empiriefreie zu verstehen. »Von den Erkenntnissen a priori heißen aber diejenigen rein, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist« (Kr. d. r. V. S. 648; vgl. VAIHINGER, Comm. I, 168). Die Urquelle des Apriorischen ist die Einheit der »transcendentalen Apperception« (s. d.). Auf den Unterschied des Kantschen a priori vom »Angeboren« machen aufmerksam H. COHEN (K.s Theor. d. Erf. S. 83), O. LIEBMANN, EUCKEN (Gesch. d. Grundbegr. S. 101), VAIHINGER (Comm. I, 54) u. a.; auch schon KIESEWETTER (Gr. d. Log. S. 269).
Die Lehre vom a priori erfährt nach Kant eine teils qualitative, teils quantitative Ausgestaltung. Qualitativ, insofern der Begriff des Apriorischen bald im rein logischen, bald im psychologischen oder psychophysischen, bald im vermittelnden Sinne bestimmt wird. Quantitativ, indem das Apriorische entweder in einer Reihe von Formen oder aber in der allgemeinen Gesetzmäßigkeit des erkennenden Bewußtseins allein erblickt wird. Die Gegner jedes a priori im Kantschen Sinne suchen die Notwendigkeit (s. d.) der Axiome auf Induction (s. d.) zurückzuführen.
Das a priori bei Kantianern, besonders in der logischen Auffassung: Nach BECK besteht das a priori im »ursprünglichen Vorstellen«, in verknüpfender Bewußtseinstätigkeit (Erl. Ausg. III, 144, 371). REINHOLD nennt die Formen der Vorstellung »a priori«, »sofern sie notwendige Bestandteile jeder Vorstellung sind, die, als Vermögen, vor aller Vorstellung im erkennenden Subjecte anzutreffen sind« (Vers. e. neu. Theor. S. 291 f.). Die Bedingungen der Raum- und Zeitanschauung sind der in uns liegende »Stoff a priori« (l.c. S. 305 f.). Nach CHR. E. SCHMID ist a priori »alles, sowohl insofern es stets in denknotwendigen Beziehungen gedacht erscheint, als auch insofern die Zukunft nur aus der Vergangenheit zu schöpfen möglich ist; alles dagegen a posteriori, insofern nur die Zukunft und auch die nicht mit voller Sicherheit bestimmen kann, daß die Zukunft eine richtige war«. »A priori«: a. »vergleichungsweise a priori«, b. »schlechterdings a priori, unabhängig von aller Erfahrung« (»comparativ« – »rein« a priori) (Emp. Psych. S. 17 f., 21). KRUG nennt a priori das »Ursprüngliche im Ich, welches Bedingung aller Erfahrung ist« (Org. S. 96, 101). Die apriorischen Formen sind keine »Fachwerke«, sondern gesetzmäßige Handlungsweisen des Subjectes (Fundam. S. 151, 168). A priori ist nach MAIMON die »allgemeine Erkenntnis,... die die Form oder Bedingung aller besonderen ist, folglich derselben vorausgehen muß, deren Bedingung aber keine besondere Erkenntnis ist« (Vers. üb. d. Tr. S. 55). Nach KIESEWETTER ist die Allgemeinheit und Notwendigkeit des a priori in der »unveränderlichen Natur des Erkenntnisvermögens selbst gegründet« (Gr. d. Log. S. 269). FRIES meint, das a priori werde durch innere Erfahrung gefunden (Neue Kr. I2, S. 31 ff.). A priori ist die ursprüngliche Selbsttätigkeit des Bewußtseins, die sich in den Anschauungs- und Denkformen bekundet und zwingende Notwendigkeit in daß Erkennen bringt (l.c. S. 73 ff.). Die reinen Anschauungen a priori sind »ursprüngliche Arten der Verknüpfung der Mannigfaltigkeit, welche nicht aus der Empfindung entspringen« (l.c. S. 177). Von neueren Kantianern betont den rein logischen Charakter des a priori besonders[69] H. COHEN (Kants Theor. d. Erf.2, S. 135). Das a priori ist nicht angeboren, psychologisch entwickeln sich die Anschauungsformen, logisch aber sind sie und die Denkformen ursprünglich, d.h. »constituierende«, notwendig-allgemeine Factoren aller Erfahrung, active Verknüpfungsweisen des Gegebenen zu Erfahrungen, die sie erst möglich machen; in der Einheit des Selbstbewußtseins haben sie ihre Quelle (l.c. S. 83, 214 ff., 246). O. LIEBMANN betont, Apriorität sei nicht psychologische Subjectivität (Anal. d. Wirkl.2, S. 97). »A priori ist nichts anderes, als das für uns und für jede homogene Intelligenz streng Allgemeine und Notwendige, das Nicht-anders-zu-denkende« (l.c. S. 98). »Aus bloßer Vernunftanlage ohne Vernunftmaterial, aus blindem und taubem a priori ohne Empfindung wird freilich nie eine Intelligenz; aber aus bloßen Sensationen ohne a priori ebensowenig« (l.c. S. 209). Es gibt herrschende Grundformen und Normen des erkennenden Bewußtseins (l.c. S. 222), sie sind das Prius von Körper und »Seele« (l.c. S. 223). Nicht psychologisch, sondern ein »Modus der Evidenz« ist das a priori, es ist »metakosmisch« (l.c. S. 239 f.). Ererbte Vorstellungen kann es dabei auch geben. Das a priori besteht in den höchsten Gesetzen, welche jede Intelligenz beherrschen, bedingen. Ähnlich NATORP, A. KRAUSE, K. VORLÄNDER, LASSWITZ, WINDELBAND: »Keine Norm kommt... anders als durch empirische Vermittelungen zum Bewußtsein: ihre Apriorität hat mit psychologischer Priorität nichts zu tun, ihre Unbegründbarkeit ist nicht empirische Ursprünglichkeit. Aber die Geschichte ihres Entstehens ist immer nur diejenige ihrer Veranlassungen« (Prälud. S. 284). VOLKELT unterscheidet ein erkenntnistheoretisches und ein psychologisches a priori: »Unter jenem ist die unbezweifelbare Tatsache zu verstehen, daß die eigentümlichen Functionen des Denkens nicht durch die Erfahrung gegeben sind; also daß das Denken Leistungen vollzieht, zu denen es die Erfahrung als solche nicht berechtigt, deren es unter bloßer Zugrundelegung der Erfahrung niemals fähig wäre.« »Dagegen will die psychologische Apriorität mehr besagen: sie hat den Sinn, daß die Functionen des Denkens aus der Erfahrung überhaupt nicht entsprungen sein können, daß es neben der Erfahrung besondere und ursprüngliche Functionen gibt, deren Inbegriff man eben als Denken bezeichnet« (Erf. u. Denk. S. 494). Beide Arten der Apriorität bestehen wirklich (l.c. S. 496). Die Gesetzmäßigkeit des Denkens und seiner Functionen ist apriorisch (l.c. S. 499, 501). G. THIELE versteht unter a priori so viel wie »durch die Gesetzmäßigkeit des Denkens, durch das Wesen des Erkenntnisvermögens... bedingt« (Phil. d. Selbstbew. S. 16 68, 357 f.). RIEHL betont, bei Kant bezeichne »a priori« »ein begriffliches (nicht zeitliches) Verhältnis zwischen zwei Vorstellungen« (Ph. Kr. II, 1, S. 9). Das a priori liegt zuletzt in der Identität (s. d.) des Selbstbewußtseins, die sich in den Anschauungs- und Denkformen am unmittelbarsten betätigt (l.c. II 1, S. 103, 78, I, S. 384). »Jede Vorstellung ist ein Product der besondern Erfahrungen in die Gesetze der allgemeinen, welche letztere allein, erkenntnistheoretisch genommen, apriorisch ist« (l.c. S. 8).
Psychologisch wird das a priori zunächst von einigen (partiellen) Anhängern Kants bestimmt. SCHOPENHAUER bemerkt: »Lockes Philosophie war die Kritik der Sinnesfunctionen. Kant aber hat die Kritik der Gehirnfunctionen geliefert« (W. a. W. u. V. Bd. II, C. 1). A priori = die Art und Weise, »wie der Proceß objectiver Apperception im Gehirn vollzogen wird« (l.c. C. 4). »Wenn man vom Subject ausgeht, d.h. a priori«, »wenn man vom Object ausgeht, d.h. a posteriori« (l.c. Bd. I, §17, vgl. §15). JOH. MÜLLER macht die apriorischen Anschauungsformen[70] zu »eingeborenen Energien« (Zur vergl. Phy(s. d.) Gesichtssinn. S. 45 ff., 826). HELMZHOLTZ neigt zu einer psychologischen Auffassung des a priori (Tat(s. d.) Wahrn.) besonders aber F. A. LANGE, der behauptet, das a priori werde durch Erfahrung gefunden (Gesch. d. Mat. II3, 29; ähnlich J. B. MEYER). Es entspringt aus der Natur des Bewußtseins, ist bedingt durch die »psychophysische Organisation« (l.c. S. 28). »Die psychophysische Einrichtung, vermöge welcher wir genötigt sind, die Dinge nach Raum und Zeit anzuschauen, ist jedenfalls vor aller Erfahrung gegeben« (l.c. S. 36).
Von Nicht-Kantianern bestimmen das a priori psychologisch: J. H. FICHTE, nach dem das Apriorische in »Urgefühlen«, »Urstrebungen«, »unbewußten Anlagen« des Geistes besteht (Anthr. S. 563). FORTLAGE nennt a priori das, was in der Tätigkeit des Auffassens allem beliebigen Inhalt vorhergeht und sich auf jeden beliebigen Inhalt beziehen läßt (Psych. I, § 10, S. 91). »Apriorische Schemata« sind die »Begriffsformen, welche nicht aus dem Vorstellungsinhalt als solchem, sondern aus seinem Verhältnisse zur Tätigkeit des Beobachters stammen« (l.c. S. 91). WAITZ: »Als a priori gegeben kann... ein Begriff nur betrachtet werden, wenn er ein allgemeines Gesetz des Vorstellungszusammenhangs überhaupt darstellt, so daß geordnetes Denken überhaupt erst durch die Befolgung und in dem Maße der Befolgung dieses Gesetzes möglich wird« (Lehrb. d. Psych. S. 575, 507). Nach VOLKMANN besteht die Apriorität nur »in constanten Beziehungen der Vorstellungen, nicht in präformierten Eigentümlichkeiten der Sinnlichkeit, sondern in dem formierenden Mechanismus der Wechselwirkung der Vorstellungen« (Lehrb. d. Psych. II4, 7). A. SPIR versteht unter Begriffen a priori »Gesetze des Vorstellens, welche dem Subjecte selbst von Anfang an eigen sind« (Denk. u. Wirkl. II, 221). LIPPS betont: »Im menschlichen Geiste findet sich... a priori nichts als er selbst, d.h. seine Natur und eigenartige Gesetzmäßigkeit«. »Rein a priori kann also nur das Urteil heißen, das zwar – wie jedes Urteil – Objecte der Erfahrung zu Inhalten hat, bei dem aber das, was das Urteil macht, d.h. das Bewußtsein der objectiven Notwendigkeit des Vorstellens oder der Vorstellungsverbindung, nur durch die Gesetzmäßigkeit des Geistes begründet ist« (Gr. d. Log. S. 141). Es gibt Stufen der Apriorität (l.c. S. 142). Rein a priori sind die Urteile über die Zeit, nicht aber die über den Raum (l.c. S. 144). »Alles zeitliche Vorstellen setzt, ebenso wie alles räumliche, eine solche ursprüngliche Beschaffenheit der Seele voraus, die ihr erlaubt oder sie nötigt, unter gewissen sonstigen Bedingungen die Zeit- bezw. Raumform aus sich hervorgehen zu lassen... So ist auch das Farbenempfinden der Seele a priori eigen« (Gr. d. Seele S. 591 f.) M. BENEDICT: »Als aprioristisch erscheinen gewisse Vorstellungen, wie z.B. jene von Zeit und Raum, gewisse Empfindungen und Handlungsweisen nur insofern, als die Eindrücke an die Mechanik der Nerventätigkeit gebunden sind« (Seelenk. d. Mensch. S. 11 f.) MÜNSTERBERG erklärt, die psychophysischen Dispositionen seien gegenüber dem wirklichen Bewußtseinsinhalt relativ apriorisch, indem sie die Formen seines Zusammenhanges notwendig bestimmen. Im Gehirn besteht eine gattungsmäßige Organisation. Aber die Synthesis des Mannigfaltigen ist nicht Function des psychologischen Subjects (Grdz. d. Psych. I, S. 209). H SPENCER erklärt die Erkenntnisformen »als apriorisch für das Individuen, aber als aposteriorisch für die ganze Reihe von Individuen, in der jenes nur das letzte Glied bildet« (Psych. Il, § 332, S. 193 f.). Das Apriorische des individuellen Erkennens ist gattungsmässig erworben, erfahren, eingeübt, als Disposition ererbt, fest[71] eingewurzelt (l.c. § 208, S. 487 ff.). Ähnlich auch LEWES, NIETZSCHE, SIMMEL und L. STEIN: »Raum und Zeit als Anschauungsformen, die zwölf Kategorien als Denk- bezw. Verknüpfungsformen a priori nehmen sieh bei Kant so aus, als seien sie ursprüngliche und nicht vielmehr erworbene Gehirntätigkeiten des sich entwickelnden Menschengeschlechtes. Hier können wir unmöglich stehen bleiben. Die gesamte Entwicklungsgeschichte in der neueren Biologie ist ein einziger lebendiger Protest gegen diese, auf Platon hinschielende Fassung des a priori. Soll Kant uns fruchtbar sein, so müssen seine Wahrheiten an denen Darwins gemessen werden.« »Der Evolutionismus muß ganz und ohne Rest in den Kriticismus hineingebildet werden« (An d. Wende des Jahrh. S. 264).
Teils in rein logischem, teils in überwiegend logischem Sinne fassen das a priori verschiedene Denker, die sich mehr oder weniger von Kant entfernen. J. G. FICHTE bestimmt das a priori als »ursprüngliche Bestimmung des Ich«, des »Ich als Intelligenz«, und damit auch der vom Ich producierten Erkenntnisformen (Gr. d. g. W. S. 113). Ähnlich SCHELLING (Syst. d. tr. Id. S. 59 f.). Das ganze Wissen ist a priori, »insofern nämlich das Ich alles aus sich produciert«. Aber »insofern wir uns dieses Producierens nicht bewußt sind, insofern ist in uns nichts a priori, sondern alles a posteriori« (l.c. S. 316). Ähnlich E. V. HARTMANN, dem es als erwiesen gilt, daß die Erkenntnis des a priori nicht selbst apriorischer Art ist (Kr. Grundl. Vorr. S. XVI). A priori bedeutet »vor Fertigstellung der Erfahrung«, »durch Abstraction aus der vollendeten Erfahrung isoliert bewußt« (l.c. S. 125). Das a priori ist »ein vom Unbewußten Gesetztes, das nur als Resultat ins Bewußtsein fällt« (Phil. d. Unb.3, S. 275), es ist »die unbewußte synthetische Function« (Kr. Gr. S. 157 ff.), »das Prius alles Bewußtseinsinhalts« (Kateg. Vorr. S. VIII). Die fertigen Anschauungs- und Denkformen sind nicht apriorisch (Kr. Gr. S. 146 ff.). – Nach HEGEL kommt durch die apriorische Gesetzmäßigkeit des Denkens, die zugleich die des Seins ist, »immanenter Zusammenhang in den Inhalt der Wissenschaften« (Encykl. § 81). In aller Erkenntnis ist das »freie, in sich selbst reflectierte Denken« des a priori (l.c. § 12). SCHLEIERMACHER setzt das a priori in die formende und das Wissen vereinheitlichende Denktätigkeit (Dial. S. 63, 108, 387). TRENDELENBURG betrachtet als das a priori die ursprüngliche »Bewegung« des Denkens, die schon Bedingung der Erfahrung ist, ihr logisch vorangeht (Log. Unt. I2, S. 144 ff.). Es entwickelt sieh aus der »ursprünglichen Tat des Denkens« (l.c. S. 166 ff.). Aber die apriorischen Formen des Denkens sind nicht bloß subjectiv, sondern zugleich objectiv; in den Kantschen Beweisen für die Subjectivität des Apriorischen ist eine »Lücke« (l.c. S. 162 ff.). LOTZE erblickt in der Form der Bewußtseinstätigkeit den apriorischen Factor der Erkenntnis, dessen Kennzeichen Notwendigkeit und Allgemeinheit sind (Log. S. 526). Die apriorischen Wahrheiten drängen sieh uns mit einer Überzeugungskraft auf, welche jeden Beweis eigentlich überflüssig macht (l.c. S. 580). Erkenntnisse sind a priori, »weil sie nicht durch Induction oder Summation aus ihren einzelnen Beispielen entstehen, sondern zuerst allgemeingültig gedacht werden und so als bestimmende Regeln diesen Beispielen vorangehen« (l.c. S. 582f.). Dieses logische a priori ist nicht angeboren, sondern besteht darin, daß wir uns seiner Weise überall unmittelbar bewußt werden (l.c. S. 580). Das »metaphysische« a priori besteht in der Bedingtheit der Erkenntnis durch die psychische Organisation (l.c. S. 521). Nach FROHSCHAMMER[72] ist auch die apriorische Erkenntnis »erst im Naturproceß und durch Entwicklung der menschlichen Natur allmählich gewonnen, insofern aus Gesetz und Formprincip der menschliche Geist mit seiner Erkenntniskraft in Wechselwirkung mit den Naturverhältnissen sich gebildet hat. Hinwiederum ist auch die sog. aposteriorische oder empirische Erkenntnis ohne die rationale Begabung des Geistes als Grundlage nicht möglich« (Mon. u. Weltph. S. 66). Nach C. GÖRING gibt es weder ein a posteriori noch ein a priori, denn »das eine ist nicht früher als das andere, sondern der subjective und der objective Factor sind gleichzeitig in der Erkenntnis verbunden« (Syst. d. krit. Philos. II, 248). Nach B. ERDMANN ist jeder Teil der Vorstellungen (Materie wie Form) »a priori, sofern die psychischen Tätigkeiten, die sie erzeugen, in Betracht kommen; jeder dieser Teile aber ist zugleich empirisch oder a posteriori, sofern auf die Bedingungen gesehen wird, welche seine Auslösung veranlassen« (Axiome d. Geom. S. 96). Es handelt sich nur um einen »Gegensatz der Betrachtungsweise« (ib.). Nach STEINTHAL ist »jede Erkenntnis zugleich apriorisch und aposteriorisch, synthetisch und analytisch« (Einl. in d. Psych. S. 10). Nach SIGWART ist »Apriorität« der »Ausdruck innerer Notwendigkeit«, z.B. daß alles, was ist, ein Ding mit Eigenschaften und Tätigkeiten ist (Log. II2, 166). WUNDT verlegt das a priori in die allgemeine Gesetzmäßigkeit des Denkens und seiner Functionen, nicht in fertige Begriffe. »In uns liegen lediglich die allgemeinen Functionen des logischen Denkens,« die aber ohne Wahrnehmungsinhalt sich nicht betätigen können. Alle Erkenntnisgebilde sind »gemeinsame Erzeugnisse des Denkens und der Erfahrung«. Die Ursprünglichkeit der Anschauungsformen und die Apodikticität der mathematischen Axiome beruhen auf der Constanz, Unaufhebbarkeit dieser Formen; a priori sind sie nur, sofern Zeit und Raum begrifflich unabhängig von jeder speciellen Erfahrung bestimmt werden können; zugleich haben die Axiome die Bedeutung allgemeinster Erfahrungsgesetze (Syst. d. Phil.2, S. 140, 208 ff.; Phil. Stud. XIII; Log. I2, S. 387, 490 ff.). Die apriorischen Bedingungen jeder Erfahrung sind selbst einfachste und allgemeinste Erfahrungen (Log. I2, S. 435). Die Eigenschaften von Raum und Zeit sind in ihrer Eigenart nicht deducierbar, wiewohl die Anschauungsformen psychologische Entwicklungsproducte sind. Aber das a priori dieser Formen liegt doch erst in den Denkfunctionen, die zu ihrer Sonderung vom Empfindungsinhalte nötigen (Syst. d. Phil.2, S. 106, 111 ff.; Phil. Stud. VII, 14 ff., 18 ff., 21, XII, 355; Einf. in d. Philos. S. 345). Gegen Kants Lehre von der Unabhängigkeit der Anschauungsformen vom Wahrnehmungsinhalt erhebt W. begründete Einwände (Log. I2, S. 482, 486 f., 490 ff.; vgl. Axiome). Auch die Kategorien (s. d.) sind nicht apriorisch, wiewohl sie einen apriorischen Factor, die vergleichend-beziehende, analytisch-synthetische Denkfunction, voraussetzen, aber auch einen Erfahrungsinhalt, der denkend verarbeitet wird. SCHUPPE bezeichnet den Erfahrungsinhalt als aposteriorisch, »weil niemand im voraus aus einem Grunde erraten kann oder könnte, was es da alles gibt« (Log. S. 35). Ausgeschlossen ist die Apriorität der Anschauungsformen dadurch, daß sie »Elemente des Gegebenen« sind (l.c. S. 84 f.). »Insofern aber auf Grund der einmal gewonnenen Raumanschauung Erkenntnisse gemacht werden ohne sich auf weitere Wahrnehmungen zu stützen, sind sie nicht a posteriori, sondern stehen – mag man auch den Ausdruck a priori verabscheuen – doch jedenfalls im Gegensatz zu denjenigen Erkenntnissen, welche immer nur auf Grund specieller Beobachtung mit Sinnen gemacht werden können« (l.c. S. 89). »Alles,[73] was sich aus der Raum- und Zeitanschauung ergibt, gehört zur elementaren Notwendigkeit« (ib.). H. CORNELIUS erklärt, unser Denken trage Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit in den Ablauf der Erscheinungen hinein. Die allgemeinsten Formen, welche das Begreifen der Erscheinungen nach Gesetzen ermöglichen, müssen sich jederzeit auf unsere Erfahrungen anwenden lassen (Einl. in d. Phil. S. 329 f.). E. DÜHRING versteht unter dem a priori nichts als den »Inbegriff rein formaler Satzungen, denen kein besonderer Erfahrungsinhalt je widersprechen kann« (Neue Dial. S. 193). O. CASPARI nimmt eine Durchdringung von Sinnlichkeit und (relativem) a priori (Idee, Logischem) in der concret-ästhetischen Anschauung an (Grund- u. Lebensfr. S. 92). Nach HARMS entstehen die ursprünglichen Erkenntnisformen mit der Erfahrung (Log. S. 67 ff., 98 ff.). – Auch französische Philosophen, wie M. DE BIRAN (Oeuv. II, 4), RENOUVIER, englische, wie J. F. FERRIER, GREEN, BRADLEY u. a., nehmen irgend einen apriorischen Factor der Erkenntnis (Ich, allgemeines Bewußtsein u. dgl.) an.
Die Apriorität von Erkenntnisformen leugnen verschiedene Philosophen, besondere natürlich die ausgesprochenen Empiristen und Sensualisten, für die alle Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit auf bloßer Induction (s. d.) beruht und nur relativer Art ist. Nach G. E. SCHULZE läßt sich das Notwendigkeitsbewußtsein auch »durch die besondere Art und Weise, wie die Außendinge unser Gemüt afficieren und Erkenntnis in demselben veranlassen«, erklären (Aenes. S. 143 f., 151 f.). Die Ableitung der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit aus der Natur des Bewußtseins macht »das Dasein derselben im geringsten nicht begreiflicher als eine Ableitung ebenderselben von Gegenständen außer uns« (l.c. S. 145). BARDILI meint, die Merkmale des a priori, Allgemeinheit und Notwendigkeit, könnten nicht erst in uns entstehen, sondern müßten schon objectiv begründet sein (Gr. d. erst. Log. Vorr. S. XV). Die Vernunftkritik nennt er eine Verbindung von Locke und Leibniz (l.c. S. 345). Gegen die Apriorität der Erkenntnisformen polemisiert HERBART (Allg. Met. I, S. 88). BENEKE sieht im a priori keinen Gegensatz zum Empirischen, beides ist bedingt durch die Gesetzmäßigkeit des Geistes (Syst. d. Log. I, S. 1, 73, 271). ÜBERWEG bekämpft die Lehre von der Apriorität und Subjectivität der Erkenntnisformen (Syst. d. Log.4, S. 87). Ein »apriorisches« Element enthält jeder Begriff nur, weil »die Erkenntnis des Wesentlichen in den Dingen nur mittelst der Erkenntnis des Wesentlichen in uns gewonnen werden kann« (l.c. S. 129). CZOLBE meint, die Ableitung der Notwendigkeit der Axiome aus angeborenen Denkformen, also die Bestimmung derselben als a priori, sei keine Erklärung, »da nicht einzusehen ist, wie und weshalb der Geist die Qualität der Notwendigkeit besitzen und den Axiomen mitteilen soll« (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 99). Das Notwendige ist vielmehr »Bestandteil des sinnlich wahrnehmbaren mechanischen Causalverhältnisses« (l.c. S. 104). E. LAAS bekämpft die für die Apriorität vorgebrachten Beweisgründe (Id. u. pos. Erk. S. 443 ff.). »A priori« ist nur das Bewußtsein als solches überhaupt (l.c. S. 28). J. ST. MILL leugnet mit anderen Empiristen (s. d.), die sich wieder dem Humeschen Standpunkt nähern, die Existenz jeglicher apriorischer Erkenntnisformen. Die strenge Apriorität der Anschauungs- und Denkformen bestreitet G. SPICKER (K., H. u. B., S. 61).
Ein »praktisches a priori«, das in einem unmittelbar-intuitiv, aus der praktischen Vernunft entspringenden Antrieb zum Handeln besteht, nimmt im Anschluß an die Kantsche Ethik (s. d.) KREYENBÜHL an (Phil. Monatsh. Bd. XVIII, H. 3). H. SCHWARZ lehrt einen »voluntaristischen Apriorismus«.[74] »Nicht die apriorischen Regeln der Vernunft, sondern eigne apriorische Normen walten im Willensgebiet. Es sind die Normen des analytischen und synthetischen Vorziehens« (Psychol. d. Will. S. 333 ff.; Gr. d. Eth.). Vgl. Anschauungsformen, Axiom, Form, Lumen naturale, Kategorien, Rationalismus, Raum, Zeit, Urteil.
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