Religionsphilosophie

[266] Religionsphilosophie ist die Wissenschaft vom Wesen, Ursprung, Wert der Religion als solcher sowie in ihrer Beziehung zur übrigen Cultur, die philosophische Besinnung auf den Sinn und die kritische Untersuchung des Geltungsanspruches der religiösen Begriffe (Gott, Schöpfung, Unsterblichkeit, Glaube u.s.w.). Sie stützt sich auf die geschichtliche Tatsache der Religion (Phänomenologie der Religion), analysiert den religiösen Zustand als Bewußtseinsinhalt (Religionspsychologie), prüft die religiösen Begriffe in Hinsicht auf die Forderungen des Denkens (religiöse Erkenntniskritik), wertet die religiösen Tatsachen in Hinsicht auf das Ideal der sittlichen Vernunft (religiöse Ethik) und versucht endlich die religiösen Begriffe in einen letzten Zusammenhang mit den allgemeinen Begriffen des Erkennens zu bringen (religiöse Metaphysik). Die Religionsphilosophie ist angewandte Philosophie.

Die Geschichte der Religionsphilosophie im weiteren Sinne ist die der Geschichte der Philosophie überhaupt (s. Religion, Gott, Glaube, Deismus, Theismus, Pantheismus u.s.w.). Im engeren Sinne sind zu unterscheiden Religionsphilosophen, welche ihr Thema rein speculativ, solche, welche es historisch, genetisch, psychologisch, und solche, welche es in empirisch-speculativer Weise behandeln. Außer den unter »Religion« angeführten Schriften sind zu nennen: J. CHR. G. SCHAUMANN, Philos. d. Relig., 1793. G. CHR. MÜLLER, Entwurf ein. philos. Religionslehre, 1797. J. SALAT, Religionsphilosophie, 1811. G. W. GERLACH, Gr. d. Religionsphilos., 1818. KRUG, Eusebiologie oder philos. Religionslehre, 1819. J. J. STUTZMANN, System. Einl. in d. Religionsphilos., 1804. ESCHENMAYER, Religionsphilos., 1818/24. SUABEDISSEN, Grdz. der philos. Religionslehre, 1831. STEFFENS, Christl. Religionsphilos., 1839. F. V. BAADER, Vorles. üb. relig. Philos., 1827. SEDERHOLM, Mögl. u. Bedingungen ein. Religionsphilos., 1829. GLADISCH, Die Religion u. d. Philos., 1852. MEHRING, Die philos.-krit. Grundsätze d. Selbstvoraussetzung oder d. Religionsphilos., 1846. BILLROTH, Religionsphilos, 1844. RETTBERG, Religionsphilos., 1850. PEIP, Religionsphilos., 1879. B. PÜNJER, Gr. d. Religionsphilos., 1886. FRAUENSTÄDT, Briefe üb. natürl. Relig., 1858. G. F. TAUTE, Religionsphilos., 1840. W. VATKE, Religionsphilos., 1888. RAUWENHOFF, Religionsphilos., 1889. G. BAUMANN, Realwiss. Begrünt. d. Moral, d. Rechts- u. Gotteslehre, 1898.

Nach HEGEL macht die Religionsphilosophie den Inhalt der Religion zum Inhalt besonderer Betrachtung (Vorles. üb. d. Philos. d. Relig. I, 5). Sie hat »die logische Notwendigkeit in dein Fortgang der Bestimmungen des als das Absolute gewußten Wesens zu erkennen« (Encykl. § 562). Die psychologischen Quellen der religiösen Überzeugungen untersucht die Religionsphilosophie nach BENEKE (Syst. d. Met. u. Religionsphilos., 1840). Nach LOTZE hat die Religionsphilosophie die Aufgabe, »zunächst zu ermitteln, wie viel in der Tat die Vernunft allein uns über die übersinnliche Welt sagen kann. dann: wie weit ein geoffenbarter religiöser Inhalt mit diesen Grundlagen vereinigt werden kann« (Grdz. d. Religionsphilos., 1882). – Genetisch und psychologisch-ethnologisch-linguistisch geht die Religionsphilosophie von M. MÜLLER vor (Vorles. üb. d. Urspr. u. d. Entwickl. d. Religion, 1880, S. IX, 2 u. ff.. vgl. Einl. in d. vergl. Religionswissensch., 1874). Auch G. RUNZE. Nach ihm ist Aufgabe der Religionsphilosophie »die philosophische Belehrung und Verständigung über die [266] Religion im allgemeinem« (Katech. d. Religionsphilos. S. 3). »Die allgemeine Religionsphilosophie erörtert nach einer einleitenden Orientierung über die notwendigen Voraussetzungen, welche das inductive Tatsachenmaterial betreffen, nämlich die objectiven Tatsachen der Religionsgeschichte, die Tatsachen der subjectiven Religiosität und die Namen für Religion, zuerst den Ursprung der Religionen (Mythen, Culte, Dogmen) sowie der subjectiven Religion (Frömmigkeit, Glaube). sodann das Wesen der Religion, namentlich in ihrem Verhältnis zur Moral, zur wissenschaftlichen und philosophischen Vernunfterkenntnis, insbesondere zur Metaphysik, endlich zur Kunst« (l. c. S. 12 f.). »Die besondere Religionsphilosophie würde sodann die hervorragendsten Vorstellungen von dem, was Gegenstand des frommen Glaubens ist, auf ihre Wahrheit und auf ihren Wert zu prüfen haben« (l. c. S. 13). – Nach TEICHMÜLLER ist die Religionsphilosophie der »Rückgang auf die apriorische Erkenntnis, durch welche die Tätigkeiten des Geistes, welche alle Religionen hervorbringen und im Leben erhalten, bewußt werden« (Religionsphilos. S. 8 f., 11 ff.). Nach AD. LASSON ist die Religionsphilosophie »die Wissenschaft von der innern Form der kirchlichen Gemeinschaft und von den in ihrem Princip liegenden, ihrer geschichtlichen Entwicklung zugrunde liegenden ideellen Bestimmungen«. Nach LIPSIUS hat sie »das psychologische Verständnis der Gesetze des religiösen Lebens und seiner geschichtlichen Entwicklung« zu suchen (Lehrb. d. evang.-prot. Dogmat.2, S. 5). Nach WINDELBAND ist sie die »Untersuchung über das religiöse Verhalten des Menschen« (Gesch. d. Philos. S. 16). G. THIELE versteht unter Religionsphilosophie »die sachliche Untersuchung dessen, was notwendig Inhalt aller Religion ist« (Philos. d. Selbstbew. S. 1). Nach REISCHLE kann der Religionsbegriff nur aus dem Begriff normaler, idealer Religion »teleologischanalytich« entwickelt werden, nicht vergleichend historisch (Die Frage nach d. Wes. d. Relig. S. 62). Nach R. SEIDEL, will die Religionsphilosophie die religiösen Seelenzustände unter die Beleuchtung rationalen Denkens stellen (Religionsphilos. S. 3). Sie ist eine normative oder Zielwissenschaft (l. c. S. 5). Die ideale, vollendete Religion ist ihr directer Gegenstand (ib.). Die Religionsphilosophie will »Wissenschaft vom Religionsideale als solchem sein« (l. c. S. 184). »Sie fragt, durch welchen Geistes- und Lebensinhalt des Menschen das unter dem Namen Religion ersehnte Gut in vollkommener Weise gedeckt werde, um in der Antwort die Norm zu besitzen für eigenes Religionsleben, wie für die Wertbeurteilung allenthalben sich zeigender Erscheinungen des gleichen Gebietes« (l. c. S. 184). Nach B. PÜNJER betrachtet die Religionsphilosophie »die Religion m Zusammenhang mit allen übrigen Erscheinungen des menschlichen Geisteslebens und allem sonstigen Dasein, weil sie denkende, wissenschaftliche, begriffliche Betrachtung derselben ist« (Gesch. d. christl. Religionsphilos. S. 2). Phänomenologisch (s. d.), genetisch und speculativ geht ED. V. HARTMANN vor (Das rel. Bewußts. d. Menschh.. Die Rel. d. Geistes). Den Weg der »philosophischen Anthropologie« betritt AD. SCHOLKMANN. Er will so die »Idee dessen construieren..., was in den maßgebenden Punkten auf andere Weise den Inhalt der christlichen Lehre ausmacht« (Grundlin. ein. Philos. d. Christent. S. III). A. DORNER erklärt: »Die Religionsphilosophie hat die Beziehung des endlichen Geistes zu dem absoluten Wesen darzustellen und mündet zuletzt selbst wieder in die Metaphysik des Absoluten ein, das sie voraussetzt« (Gr. d. Religionsphilos. S. 53). Die Religionsphilosophie hat zur Aufgabe: »A. Die Darstellung der Religion als Verhältnis Gottes und des Menschen.[267] 1) Phänomenologie der Religion mit ihren Resultaten. 2) Das Ideal der Religion. B. Die Begründung der Religion Gott. Die Metaphysik der Religion. C. Psychologische Betrachtung des religiösen Subjects und seiner Betätigungen. Der Glaube und seine Äußerungen. D. Gesetze des religiösen Lebens« (l. c. S. 57 f.).

Zur Geschichte der Religionsphilosophie vgl. J. BERGER, Gesch. d. Religionsphilos., 1800. B. PÜNJER, Gesch. d. christl. Religionsphilos., 1880/83. O. PFLEIDERER, Gesch. d. Religionsphilos., 1893. A. DREWS, Die deutsche Speculat. seit Kant, 1895.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 266-268.
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