Religionsphilosophie

[701] Religionsphilosophie, eine Wissenschaft, über deren Begriff, Aufgabe und Stellung im Ganzen der Wissenschaft u. der Philosophie insbesondere die Gelehrten nichts weniger als einig sind. Die Auffassungsweisen hierüber lassen sich übrigens wesentlich auf 3 zurückführen, nämlich die R. ist 1) dasselbe, was die sog. natürliche Religionslehre oder rationale Theologie, die in der Schulphilosophie bis in die neueste Zeit häufig den Schlußstein der Metaphysik [701] ausmachte und soll die allen Religionen gemeinsamen Wahrheiten (Gott, Beweise für das Dasein und von den Eigenschaften Gottes, Freiheit, Tugend u. Unsterblichkeit der Seele, dann Wissen und Glauben, Vernunftreligion und positive in ihrem Verhältnisse zu einander, religiöses Gefühl, Mysticismus u. dgl.) philosophisch begründen und entwickeln; oder die R. läuft 2) auf eine philosophische Darstellung und Systematisirung der historischen Religionsformen, auf eine philosophische Religionsgeschichte hinaus wie z.B. in unserer Zeit Kraft mit seinen »Religionen aller Völker« eine lieferte oder 3) soll die R. das Wesen sowie die Entwicklung der Religion behandeln, in welchem Falle sie dann mit der Philosophie der Offenbarung verbunden oder von dieser getrennt vorkommt. Je nach der Auffassungsweise läßt sich behaupten die R. sei alt, da z.B. schon lange vor dem mittelalterlichen Scholasticismus mit seiner philosophischen Dogmatik vernunftgemäße Begründungen der Lehren der positiven Religion versucht wurden und ferner sämmtliche Apologeten des Christenthums auch Religionsphilosophen genannt werden könnten, ebenso kann gesagt werden, sie sei erst seit Kant recht in die Höhe gekommen. Unter den christkatholischen Religionsphilosophen der neuesten Zeit nahmen v. Drey (Professor zu Tübingen, gest. 1853) und F. A. Staudenmaier (Professor zu Freiburg i. B., gest. 1856) die ersten Stellen ein. Drey nannte R. die philosophische Auffassung der geschichtlich gegebenen Religion in ihrem Wesen u. in ihrer Entwicklung. Staudenmaier theilte die R. ab in R. im engern Sinne und in Philosophie der Offenbarung; jene behandelte das Wesen der Religion (Idee Gottes, das Grundverhältniß des Menschen zu Gott, Begriff der Religion) und die Geschichte des außerhalb der Offenbarung sich verlaufenden Lebens der Religion (Stand der Unschuld, die Sünde, die Factoren der heidnischen Religionen, der Cultus, die Naturreligion der Wilden als unterste Stufe des religiösen Bewußtseins bis hinauf zum ethnischen Anthropomorphismus der alten Griechen und Römer, die pantheistische, fatalistische und materialistische Weltanschauung, Ideen des Pythagoras und Platon, Auflösung der alten Welt). Im 2. Theile seiner R., in der Theorie der Offenbarung behandelte Staudenmaier zunächst die Offenbarung als solche (in der Natur, im Geiste des Menschen u. in der Geschichte, die höhere und außerordentliche Offenbarung und die Einwendungen des philosophischen Rationalismus dagegen, Möglichkeit der Offenbarung, ihre Merkmale u. Kennzeichen, Einwürfe des theologischen Rationalismus u. Supernaturalismus, Mysterium, Inspiration, Wunder) u. dann die Geschichte der Offenbarung im A. T. u. in Christus, endlich die Schrift u. Tradition, die biblische Kritik u. Exegetik. – Daß Kant, Fichte, Jakobi, Schleiermacher u. Hegel sich mehr oder minder mit R. befaßten ist so bekannt, als die Leiden des alten Schelling wegen seiner Philosophie der Offenbarung bekannt sind Unter einer Masse von religionsphilosophischen Schriftstellern nennen wir nur noch K. Ch. E. Schmid, Heydenreich Carus, Buchner, Salat, Gerlach, Sengler (Die Idee Gottes), die Franzosen Benj. Constant (De la religion etc., Par 1827–28, 4 Bde.) und Nicolas, den Spanier Jayme Luciano Balmes (geb. 1810, gest. 1848).

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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 701-702.
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