Socinianer

[238] Socinianer, die Antitrinitarier der Reformationszeit, welche in Polen um 1563 eine eigene Gemeinde der Unitarier bildeten und hier durch den jüngern Socinus einen festen Lehrbegriff u. bestimmtes Kirchenwesen erhielten. Schon der ältere Socinus, Lälius, war ein Antitrinitarier (geb. 1525 zu Siena, in der Rechtswissenschaft wie in den humanistischen und theologischen Studien wohlerfahren, von 1547 an ein Wanderleben führend, einige Jahre in Wittenberg Melanchthons Hausgenosse, dann in Polen lebend, zuletzt zu Zürich, wo er 1562 st.), aber er hatte seine Ansichten keineswegs offen verkündet, weder durch Wort noch Schrift, dafür hinterließ er Handschriften, worin er seinen antitrinitarischen Rationalismus unverhüllt bloßlegte und welche sein Neffe Faustus Socinus auszubeuten verstand. Dieser, geb. 1539 zu Siena, gleichfalls Rechtsgelehrter, frühzeitig mit den Ansichten des Oheims vertraut, trieb von 1574 an Theologie zu Basel, suchte dann von Blandrata (s. d.) aufgefordert den Davidis (s. d.) zu bekehren, was ihm nicht gelang, u. zog 1579 zu den Unitariern Polens, die ihren Hauptsitz zu Rackow u. ihre Hauptstütze am mächtigen poln. Adel hatten. Er soll zwar anfangs wegen Meinungsverschiedenheiten nicht in die Gemeinde derselben aufgenommen worden sein, doch war er mit ihnen von vornherein in der Hauptsache einig, wirkte eifrig für sie, wurde nebenbei auch politisch anrüchig (wegen der Schrift de magistratu mußte er Krakau meiden), stand aber mit vielen [238] poln. Magnaten auf vortrefflichem Fuße, heirathete und st. 1604 zu Lulawicze. Von ihm vorzugsweise bekamen die Unitarier den Namen S. und mit Recht, denn der Katechismus von Rackow, der ihren Lehrbegriff am vollständigsten entwickelt, ist großentheils das Werk des Faustus Socinus, der außerdem viele theologische Schriften, wovon manche unter angenommenen Namen, für die S. verfaßte. Gedanken, welche nicht schon in den antitrinitarischen Streitigkeiten der ersten Jahrhunderte des Christenthums vorgebracht worden wären, enthält weder der Katechismus von Rackow noch eine der spätern Bekenntnißschriften der S., aber der Socinianismus bleibt merkwürdig 1) weil er die von den Reformatoren schwer verketzerte Vernunft gegenüber dem Dogma erhob, 2) weil aus seinen Meinungen sich der nüchterne, oberflächliche Rationalismus gleichsam von selber entwickelte, der heutzutage Gemeingut der meisten Protestanten ist: Die Erbsünde ist ein Irrthum, Adams Fall traf nur seine eigene Person, blos daß seine Nachkommen seitdem sterben müssen; was in der Bibel der Vernunft widerspricht, kann auch nicht Lehre der Offenbarung sein; tugendhafte u. ehrliche Männer haben die Bibel verfaßt u. in minder bedeutenden Dingen auch manchmal geirrt; Christus ist bloßer Mensch, aber als Gottmensch zu verehren, weil er übernatürlich durch göttliche Kraft gezeugt wurde, vor dem Antritt seines Lehramtes gegen Himmel fuhr und unmittelbar von Gott seine Lehre holte, endlich weil er seit seiner 2. Himmelfahrt das Weltall regiert u. für uns Sündennachlaß bewirkt; der Mensch kann durch eigene Kraft sittlich werden, vollendete Sittlichkeit erlangt er durch stete Nachahmung des Beispieles Jesu Christi; durch die Taufe werden wir in die Christengemeinde lediglich eingeweiht, durch das Abendmahl lediglich an Christi Tod erinnert u.s.f. Hauptschriftsteller der S. wurden: Lublinitzki, Moskorzowski, Przypkowski, Kaspar Schlichting, Johann Ludwig Wolzogen und Wissowazi. Die S. entwickelten und verbreiteten ihre Lehre namentlich in Polen lange ungestört, wurden aber in Folge des wachsenden Einflusses der Jesuiten 1638 aus Rackow und 1658 aus ganz Polen vertrieben.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 238-239.
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