[391] Ausdehnung. Vergrößerung des Volumens oder bestimmter Dimensionen eines Körpers, z.B. der Länge eines Stabs, in allgemeinerer Auffassung auch Aenderung des Volumens oder bestimmter Dimensionen, wobei Verringerung als negative Ausdehnung gilt. Je nachdem es sich um Ausdehnung eines Volumens, einer Fläche oder einer Länge handelt, spricht man von kubischer, quadratischer oder linearer Ausdehnung. Alle bekannten Körper lassen solche Aenderungen zu.
Die Ausdehnung gasförmiger Körper geht so lange vor sich, bis sie durch äußere Widerstände (Wände) verhindert oder durch äußere Kräfte rückgängig gemacht wird. Infolge solcher Volumenänderungen wird z.B. die Arbeit von Wärmemotoren (s.d.) geleistet. Volumenänderungen[391] fester und flüssiger Körper können durch äußere Kräfte (s.d.) und Wärme bewirkt werden, doch sind die Volumenänderungen der Flüssigkeiten durch äußere Kräfte außerordentlich gering. Daß Wasser überhaupt etwas zusammendrückbar ist, wurde erst 1620 durch Bacon nachgewiesen, und noch jetzt findet man mitunter flüssige und gasförmige Körper als inkompressible und kompressible Flüssigkeiten bezeichnet (anstatt als tropfbare und gasförmige). Die Ausdehnung folgt gewissen erfahrungsmäßig feststellbaren Gesetzen, so daß man z.B. aus den Längenänderungen einer Quecksilbersäule auf die Höhe der Temperatur schließen kann (s. Thermometer). Bei Druckmessungen mittels der Quecksilbersäule (s. Quecksilberbarometer, Manometer) wirkt die Längenänderung durch die Wärme störend, da die Vergleiche sich auf 0° C. zu beziehen pflegen; es muß dann oft an der Hand jener Gesetze eine Reduktion auf 0° erfolgen. Beim Uebergang eines Körpers aus einer Aggregatform in die andre pflegt eine Aenderung des Ausdehnungsgesetzes einzutreten. Am deutlichsten ist dies erkennbar beim Uebergang aus dem flüssigen in den gasförmigen Zustand und umgekehrt (Verdampfung, Verflüssigung); Eis von 0° hat aber auch ein größeres Volumen als Wasser von 0°, woraus sich manche Folgen des Frostes erklären (Springen von Wasserleitungsröhren u.s.w.). Die Ausdehnung gasförmiger und flüssiger Körper unter verschiedenen Bedingungen wird ausführlich in der mechanischen Wärmetheorie (Thermodynamik) behandelt, während die Ausdehnung fester Körper unter verschiedenen Einwirkungen in die Gebiete der Elastizitätstheorie, Festigkeitslehre und Ingenieurmechanik fällt. Die Verhinderung der Ausdehnung fester und flüssiger Körper durch die Wärme erfordert oft bedeutende Kräfte. Bei eisernen Brückenbogen ohne Scheitelgelenk entsteht durch Temperaturerhöhung infolge Unnachgiebigkeit der Widerlager, trotz möglicher Ausbiegung nach oben, ein Horizontalschub (s. Bogen, einfache), der bei der Dimensionierung berücksichtigt werden muß; bei Brückenbalken werden entsprechende Beanspruchungen dadurch vermieden, daß man die Ausdehnung frei vor sich gehen läßt (s. Balken). Auch bei Eisenbahngleisen muß genügend Raum zwischen den einzelnen Schienen bleiben, da sonst unerwünschte Spannungen und seitliche Ausbiegungen zu befürchten wären. Zur Verhinderung der Ausdehnung eines geraden Schweißeisenstabs ohne Ausbiegung sind für jeden Grad Temperaturerhöhung etwa 24 kg Druck pro Quadratzentimeter Querschnitt nötig. Um die Ausdehnung des Wassers in einem vollkommen ausgefüllten Gefäße bei Temperaturerhöhungen von 0 auf 50°, von 50 auf 100° und von 0 auf 100° zu verhindern, müßten die Gefäßwände Drucke von 272 bezw. 714 und 986 Atmosphären aushalten (280 bezw. 740 und 1020 kg pro Quadratzentimeter, s. Spannungskoeffizient). In Wirklichkeit würden diese Drucke allerdings schon deshalb nicht erreicht, weil das Gefäß infolge seiner Elastizität etwas nachgäbe.
Wenn im allgemeinen mit Temperaturerhöhung eine Ausdehnung der Körper verbunden ist, so kommen doch auch Ausnahmen vor. Reines Wasser von 1 Atmosphäre Druck besitzt ein Minimum seines Volumens bei 4° C.; von diesem Punkte an ist sowohl mit Temperaturerhöhung als mit Temperaturerniedrigung Volumenzunahme verbunden. Gezogene Kautschukstäbe verlängern oder verkürzen sich mit wachsender Temperatur, je nachdem der Zug unterhalb oder oberhalb einer gewissen Grenze liegt. Im Falle bei wachsender Temperatur eine Zunahme des Volumens oder bestimmter Dimensionen eines Körpers eintritt, entspricht abnehmender Temperatur eine Verringerung derselben. So pflegt man Nieten, Radreisen u.s.w. in heißem Zustande anzubringen, um mit dem Erkalten möglichstes Festsitzen zu erreichen. Mehrfach hat man Mauern, die infolge von Sprüngen auszuweichen drohten, durch heiß eingezogene Anker in bleibende Verbindung bringen können. S.a. Ausdehnungskoeffizient, Aeußere Arbeit, Boyle-Gay-Lussacsches Gesetz, Dampf, Elastizität, Gase, Kompressionskoeffizient, Wärmetheorie, mechanische u.s.w.
Weyrauch.