Radium [1]

[344] Radium, ein von dem Ehepaar Curie zuerst isoliertes Element, das mit Baryum große Aehnlichkeit zeigt. Durch Bestimmung des Chlorsilbers, das aus dem bei 100° getrockneten Radiumchlorid erhalten werden konnte, und unter der Annahme der Formel RaCl2 wurde das Atomgewicht des Radiums zu 226,2 bestimmt.

Becquerel beobachtete zuerst, daß Uran (ein Bestandteil der Pechblende) Strahlen durch undurchsichtige Stoffe hindurchsendet, welche auf photographische Platten einzuwirken, d.h. Silbersalze zu reduzieren vermögen. Er schrieb diese Strahlung, welche er Radioaktivität nannte, dem Uran zu. Dem Ehepaar Curie gelang es jedoch, aus der Pechblende drei solche[344] aktive Stoffe, nämlich das Polonium, Aktinium und Radium, zu isolieren. Zur Gewinnung von wenigen Zentigramm Radium müssen 2000 kg Uranrückstände verarbeitet werden. Die Pechblende, welche in der Hauptsache in Joachimstal gegraben wird, wird schon seit langem auf Uransalze verarbeitet. Die Rückstände dieser Verarbeitung werden mit Alkali ausgekocht, um den größten Teil der unlöslichen Sulfate zu zersetzen. Hierbei bleibt das Baryum-Radium-Sulfat unangegriffen. Der ungelöste Rückstand wird mit Salzsäure behandelt und das darin Unlösliche mit konzentrierter Sodalösung anhaltend gekocht. Dabei wird das Baryum-Radium-Sulfat in Karbonat umgewandelt. Aus dem sorgfältig gewaschenen Rückstand löst man dieses durch reine Salzsäure und läßt das gelöste Salz kristallisieren. Durch fraktionierte Kristallisation läßt sich das Radium in den schwerer löslichen Anteilen des Gemenges anreichern; besser gelingt die Anreicherung bei den Bromiden. Reines Radiumsalz soll bei der spektroskopischen Prüfung höchstens Spuren von Baryum erkennen lassen. Radiumsalze färben die Flamme des Bunsenbrenners rot. Das Spektrum der Flamme zeigt zwei rote Bänder und eine helle blaue Linie. Nach Runge und Precht ist die Linie 4826 am kennzeichnendsten. (Die genannten Autoren berechneten aus den spektralanalytischen Daten ein Atomgewicht von etwa 258.) – Das Radium gehört zu den alkalischen Erden; seine Salze sind mit denen des Baryums isomorph. Bei der Einwirkung von Natriumamalgam auf eine Baryum und Radium enthaltende wässerige Lösung entsteht ein Baryum-Natrium-Amalgam, in dem Radium erheblich angereichert ist. Auch bei der Elektrolyse scheint sich das Radium zuerst abzuscheiden. Radiumchlorid kristallisiert aus seiner heiß gesättigten Lösung in farblosen Kristallen, die sich allmählich rosa und dann immer dunkler färben. Die Färbung tritt um so schneller ein, je reiner das Salz ist. Radiumchlorid und mehr noch Radiumbromid zeigen in wasserfreiem Zustand eine prächtig blaue Fluoreszenz, die aber schon nach einigen Tagen abnimmt. Radium und seine Salze unterliegen fortwährend einer langsamen Zersetzung, die sich durch Freiwerden sehr erheblicher Energiemengen sowie durch Entwicklung eines faßbaren, gasförmigen Stoffes, der sogenannten Emanation, kennzeichnet. Die Emanationskraft der Radiumsalze ist im allgemeinen bei gewöhnlicher Temperatur nur gering. Die Lebensdauer des Radiums ist also durch seine Umbildungen beschränkt; sie wurde von Ramsay und Soddy zunächst auf etwa 1000 Jahre, später von Cameron und Ramsay auf durchschnittlich 236 Jahre berechnet. Beim Zerfall des Radiums, bezw. seiner Emanation, entwickelt sich eine sehr erhebliche Wärmemenge; ein isoliertes, neben ein Radiumröhrchen gelegtes Thermometer zeigt gleichbleibend eine 3–4° höhere Wärme an als ein gleiches in der weiteren Umgebung. Abgesehen von dieser Wärmeentwicklung entsendet das Radium und seine Verbindungen oder seine Emanation noch verschiedene Strahlen, die an den chemischen, elektrischen und Lichtwirkungen erkannt worden sind. Nach ihren Wirkungen kann man zurzeit mit einiger Sicherheit mindestens drei verschiedene Arten Radiumstrahlen unterscheiden. Nach Ramsay übt die aus Radiumbromid erhaltene Emanation chemische Wirkungen von bisher ganz unbekannter Intensität aus. Es gelang ihm nämlich, damit sowohl Kohlensäure in Kohlenstoff und Sauerstoff als auch Ammoniak in Stickstoff und Wasserstoff zu zerlegen. Auch konnte er mit ihr die Synthese einzelner Stoffe aus ihren Elementen, z.B. des Ammoniaks aus Stickstoff und Wasserstoff, bewerkstelligen.

Das Radium zeigt eine besonders starke Aktivität, und man erkannte auch bald, daß es imstande ist, diese Aktivität auf andre Stoffe zu übertragen. Auffallend war es von Anfang an, daß man im Radium eine Substanz vor sich hatte, welche erhebliche Mengen von Energie abzugeben vermochte, ohne daß man eine Abnahme der Substanz konstatieren konnte. Von gewisser Seite war man schon daran, das durch unzählige Beweise gestützte, von Robert Mayer aufgestellte Gesetz von der Erhaltung der Energie (s. Bd. 3, S. 449) auf Grund dieser Entdeckung für umgestoßen zu erachten. Als dann Ramsay beobachtete, daß sich aus der Emanation des Radiums Helium bildet, begann man in die Beständigkeit der Elemente Zweifel zu setzen. Ramsay gelangte zum Helium dadurch, daß er Radiumemanation allein oder vermischt mit Wasserstoff sich selbst überließ, wobei sich in dem Gefäß nach einiger Zeit Helium befand. Befindet sich die Emanation aber in Berührung mit Wasser, so entsteht an Stelle des Heliums Neon, neben geringen Spuren von Helium, das vermutlich aus dem gasförmigen Anteil bei den betreffenden Versuchen flammte. Ramsay konstatierte weiter, daß sich durch die Einwirkung von Radiumemanation auf eine Lösung von Kupfersulfat Lithium bildete. Durch diese beiden Entdeckungen wurde das Gesetz von der Erhaltung der Elemente seiner »absoluten Gültigkeit« entkleidet. – Von den Wirkungen des Radiums wurde im Laufe der Zeit bekannt, daß es im Dunkeln Strahlen aussendet und eine Veränderung der Leitfähigkeit der Luft herbeiführt. Als eine der merkwürdigsten seiner Eigenschaften wurde festgestellt, daß den vom Radium ausgesendeten Strahlen erhebliche physiologische Wirkungen zukommen. Eine solche Bestrahlung verursacht nämlich bei Infusorien Krankheits- und Lähmungserscheinungen; bei ausgekeimten Sporen und den Keimen der höher organisierten Pflanzen sowie verschiedener Tiere, auch bei Bakterien wurde eine Beeinflussung des Wachstums konstatiert. Die therapeutische Anwendung von Radiumstrahlen hat bei der Behandlung des Hautkrebses gewisse Erfolge zu verzeichnen. Als die Versuche eines Augenarztes in St. Petersburg festgestellt hatten, daß Blinde, deren Netzhaut und Sehnerv noch intakt waren, die Umrisse von radiumbestrahlten Gegenständen wahrnehmen konnten, gingen die Wogen der Hoffnungen, die sich an die Radiumtherapie knüpften, besonders hoch. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß die Lichtwirkung nur auf Reizung gewisser Partien im Innern des Auges beruhte. Von weiteren Wirkungen des Radiums sei noch erwähnt, daß gewisse Strahlen desselben bei Edelsteinen eine Farbenveränderung hervorzurufen vermögen. Weitere Forschungen führten zu der Erkenntnis, daß die Erdrinde als Quelle der radioaktiven Emanation betrachtet werden muß und daß in den Niederschlägen (Regen, Schnee) stets radioaktive Substanzen zu finden sind. Spuren von radioaktiven Substanzen wurden mit der Zeit in fast allen Erd- und Gesteinsarten nachgewiesen. Alle aus verschiedenen[345] Tiefen der Erde zutage tretenden Wasser sowie aus geringer Tiefe entnommene Luftproben zeigen radioaktive Eigenschaften. Insbesondere aber zeigten Messungen der Radioaktivität an Mineral- und Thermalquellen, daß gerade diese besonders reich an radioaktiven Substanzen sind, und es lag nahe, diese Eigenschaften mit der noch unerklärten Heilwirkung der Quellen in Verbindung zu bringen. Im Lauf der Zeit wurden genaue Messungen an fast allen Quellen Süddeutschlands, Oesterreichs, Italiens vorgenommen, und die Tatsache, daß künstlich zusammengesetzte Mineralwasser hinsichtlich der Heilwirkung den natürlich zutage tretenden nicht an die Seite gestellt werden können und daß die Heilwirkung der letzteren sowie des Schlammes der Badequellen beim Versand nachläßt, sprechen jedenfalls für einen engen Zusammenhang zwischen Heilkraft und Emanation.

Mezger.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 344-346.
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