Elektrolyse [1]

[416] Elektrolyse. Hierunter verlieht man die infolge Stromdurchganges durch Elektrolyte in diesen hervorgebrachten Aenderungen. Diese treten dort zutage, wo der Strom mittels eines Leiters erster Klasse (Metall) in den Elektrolyten ein- und aus ihm austritt.

Einen Einblick in den Mechanismus dieser Vorgänge gewährt die physikalische Chemie auf Grund der osmotischen Theorie (s. Osmose) der Lösungen von van't Hoff. Bei der Messung des osmotischen Druckes der verschiedenen Stoffe Hellte sich heraus, daß er genau so groß ist, wie er sich nach dem Avogadroschen Gesetz ergibt, wenn die Stoffe im Gaszustande in dem Raum, den die Lösung erfüllt, eingeschlossen wären (van't Hoff). Nur die seit einem Jahrhundert als Leiter zweiter Klasse oder Elektrolyte bekannten Substanzen zeigten einen Druck, der gegen den berechneten in dem Sinne abwich, als seien erheblich zu viel Molekeln in dem Volumen der Lösung. Diese Unregelmäßigkeit war anfangs mit der van't Hoffschen Theorie nicht in Einklang zu bringen, bis Arrhenius sie dadurch erklärte, daß er den Nachweis der Dissoziation der Moleküle solcher Stoffe bei ihrer Lösung in freie, aber entgegengesetzt elektrische Ionen erbrachte; und zwar sind Wasserstoff und die Metalle als Träger positiver Ladungen, als Kationen, die Säureradikale dagegen als Träger negativer Elektrizität, als Anionen, zu betrachten (s. Dissoziation). Nach dieser experimentell bewiesenen Anschauung enthält also eine wässerige Lösung von Kochsalz freie Natrium- und freie Chlorionen, Natronlauge freie Natrium- und freie Hydroxylionen, Schwefelsäure freie Wasserstoff- und Sulfationen u.s.w. – In einem Elektrolyten ist die Summe aller positiven und negativen Ladungen der verschiedenen Ionen gleich Null. Denkt man sich nun die Anionen und die Kationen gleichmäßig in der Lösung verteilt und sämtliche Ionen mit bestimmten Elektrizitätsmengen beladen, welch letztere an den Ionen mit einer gewissen Kraft, der Haftintensität (s. Elektrochemische Spannungsreihe), haften, so ist es klar, daß ein Elektrizitätstransport, also ein elektrischer Strom, nur dann entstehen kann, wenn die Elektrizitätstransportwagen, die Ionen, in Bewegung geraten, um an bestimmten Stellen, den Elektroden, Ladungen abzugeben oder aufzunehmen. Elektrischer Strom in Leitern zweiter Klasse und Ionenbewegung sind also zwei unzertrennliche Begriffe. Die Leitfähigkeit der Elektrolyte wird demnach bedingt durch den Grad der elektrolytischen Dissoziation (Zahl der Ionen) und anderseits durch die Bewegungsgeschwindigkeit und Ladungskapazität (Valenz) der Ionen. – Zum Zwecke der Abnahme oder der Zufuhr elektrischer Ladungen führt man in die Ionenlösungen zwei Leiter erster Klasse als Pole oder Elektroden ein, die innerhalb der Flüssigkeit an keinem Punkte miteinander in Berührung sein dürfen. Nun ist aber die Existenz eines Stoffes im Ionenzustande an die Bedingung geknüpft, daß seine Ionen eine ganz bestimmte Elektrizitätsladung halten. Sobald sie zur Aufgabe ihrer Ladung gezwungen werden, hören sie auf, Ionen zu sein, sie scheiden sich an der Entladestelle in neutralem oder Molekularzustände ab, wenn sie nicht Gelegenheit finden, hier an weiteren Umsetzungen, sogenannten sekundären Prozessen, teilzunehmen. Die Entladeplätze für die Kationen sind die Kathoden, die Entladeplätze für die Anionen sind die Anoden. An ersteren muß also für Aufrechterhaltung negativer Ladung gesorgt werden, um dauernd die positiven Ladungen der Kationen zu vernichten, während man an letzteren positive Ladungen erzeugen muß, soll die Ionenbewegung, also der elektrische Strom aufrechterhalten[416] werden. Anderseits können dieselben Stoffe, die wir als Bestandteile der Elektrolyte kennen, aus ihrem Molekularzustände nur dann in den Ionenzustand übergehen, wenn sie eine volle elektrische Ladung aufzunehmen Gelegenheit finden. Für die Lösung eines Metalls z.B. genügt es nicht, daß seine Lösungstension (s.d.) groß und der osmotische Druck der Ionen ein geringer ist. Metalle, einschließlich Wasserstoff, die bei ihrer Lösung in den Ionenzustand übergehen, müssen also in den Stand gesetzt werden, elektrische Ladungen, und zwar als Kationen positive Ladungen, aufzunehmen. Unter Berücksichtigung der wichtigeren in der elektrochemischen Technik zur Ausführung gelangenden Prozesse ist es klar, daß die Anode vorwiegend den Lösungs-, Chlorierungs- bezw. Oxydationspol, die Kathode den Metallfällungs- bezw. Reduktionspol bildet.

Den Druck, mit dem, gleich andern lösungsfähigen Stoffen, ein ionenbildungsfähiger Körper seine Ionen in eine Lösung hineinschickt, nennt man die elektrolytische Lösungstension oder den elektrolytischen Lösungsdruck (s. Elektrochemische Spannungsreihe). Ist dieser Druck hinreichend groß, so bedarf es unter Umständen keiner Zufuhr elektrischer Energie von außen, um den betreffenden Stoff in Lösung zu bringen. Derselbe entzieht in Lösung befindlichen Ionen, z.B. Wasserstoff oder Metallen, die für seine eignen Ionen nötigen Ladungen. Wird aber einem Ion seine Ladung entzogen, so scheidet es sich als neutrale Substanz aus. Abgesehen von etwa möglichen sekundären Vorgängen beobachten wir also bei der Lösung von Metallen mit hohem elektrolytischem Lösungsdrucke in Elektrolyten Wasserstoffentwicklung oder Metallabscheidung. Den elektrolytischen Ueberdruck eines sich lösenden Stoffes über den osmotischen Gegendruck der in Lösung befindlichen Ionen können wir messen und verwerten. Er bildet in unsern galvanischen Elementen die Ionen bewegende, also stromerzeugende, elektromotorische Kraft. – In Elementen des Typus Daniell z.B. haben wir Zink als Anode, Kupfersulfat als Elektrolyten und Kupfer als Kathode. Die für das Zink erforderliche positive Ladung wird den in Lösung befindlichen Kupferionen entzogen, d.h. die von den Kupferionen aufgegebene Ladung wird durch eine außerhalb der Flüssigkeit hergestellte metallische Verbindung auf schnellstem, wenn auch nicht immer auf kürzestem Wege auf die Zinkanode übergeführt. Entsprechend dem Ueberschusse des elektrolytischen Zinklösungsdruckes über den osmotischen Kupferionendruck werden die Kupferionen mit einer bestimmten Geschwindigkeit aus der Lösung verdrängt, ihre Ladungen also mit einem bestimmten Drucke in die Leitungen geschickt. Dieser Druck läßt sich durch Einbringen von Widerständen in die Leitung messen. – Das Messungsergebnis, also den Druckunterschied bezeichnet man als das Potential, die Stromspannung oder das Stromgefälle.

Wenn wir bei dem eben herangezogenen Beispiele eines Daniellelements bleiben, so können wir uns den Fall denken, daß die metallische Leitung zwischen Anode und Kathode gelöst sei. Da sich nun in der Umgebung der Zinkanode bei einem richtig konstruierten Elemente keine Kupferionen befinden, so wird durch in Bildung begriffene Zinkionen, die sich elektropositiv laden, die nächste Umgebung, also die Anode selbst, elektronegativ geladen werden, und damit ist eine weitere Zinkionenbildung ausgeschlossen. An der Kathode liegt der Fall umgekehrt. Die Kationen werden durch Ansammlung elektropositiver Ladung an dieser Elektrode verhindert, weitere Ladungen abzugeben. Die Ionenbewegung kommt zum Stillstand.

Elektrolysiert man mit großer Stromdichte, so verringert sich an den Elektroden die Konzentration der zu entladenden Ionen, und damit steigt die Schwierigkeit weiterer Entladung, also des Stromdurchtritts. Den Ueberschuß der elektromotorischen Kraft, der unter solchen Bedingungen zum Stromtransport erforderlich wird, nennt man die galvanische Polarisation.

Besteht die (in Lösung gehende) Anode aus dem gleichen Metall wie die an der Kathode zur Abscheidung gelangenden Kationen des Elektrolyten, so ist zur Elektrolyse keine weitere Potentialdifferenz nötig, als der Widerstand des Bades bei der gewünschten Stromstärke bedingt; denn die E.M.K., die an der Kathode zur Entladung der Ionen aufzuwenden ist, wird an der Anode bei der Aufladung des Metalls zu Ionen wiedergewonnen. Bei der Kupferraffination z.B. löst man an der Anode das im Rohkupfer enthaltene Kupfer, um es an der Kathode niederzuschlagen; als Elektrolyt dient Kupfersulfat. Zu dem Zwecke verbindet man nun beide Pole durch eine Leitung, in die eine Dynamomaschine eingeschaltet ist. Erzeugt man durch letztere an der Anode positive Ladungen von nur schwachem Potential, so werden die in Lösung schießenden Kupferionen sofort eine Kupferabscheidung an der Kathode veranlassen. Die elektropositiven Ladungen der hier ausscheidenden Kupferionen werden durch dieselbe Leitung der Anode wieder zugeführt. Es bedarf also, wie auch die Praxis bestätigt, nur einer geringen elektromotorischen Kraft, um in diesem Falle große Kupfermengen in Bewegung zu versetzen.

Trotz des scheinbaren Gegensatzes zwischen dem anfangs betrachteten stromerzeugenden galvanischen Elemente und dieser stromverbrauchenden elektrochemischen Zersetzungszelle sind doch beide Apparate den inneren Vorgängen nach gleich, denn in beiden findet Elektrizitätstransport unter Vermittlung sich bewegender Ionen statt. Dieser Elektrizitätstransport, wie er unter Vermittlung sich bewegender Ionen, verbunden an den Elektroden mit dem Uebergange neutraler Stoffe in Ionen bezw. der Ionen in neutrale Stoffe oder verbunden mit der Veränderung der Ladungsfähigkeit oder der Valenz von Ionen, vor sich geht, ist gerade das, was man mit dem Namen Elektrolyse bezeichnet. Es wurde bereits der Tatsache Erwähnung getan, daß jedes Ion eine ganz bestimmte Elektrizitätsladung aufzunehmen und zu transportieren imstande sei. Die elektrische Energie ist also, wenn diese Annahme richtig, an eine ganz bestimmte Masse wägbarer Substanz geknüpft. Diese Annahme wurde schon vor etwa 60 Jahren durch Faraday bewiesen: Alle Elektrizitätsbewegung erfolgt in Elektrolyten nur unter gleichzeitiger Bewegung der Ionen, und zwar so, daß mit gleichen Elektrizitätsmengen chemisch äquivalente Mengen der verschiedenen Ionen sich bewegen. Also haben äquivalente Mengen verschiedener Ionen gleichen Fassungsraum für elektrische Energie. Helmholtz nimmt deshalb[417] an, daß die Elektrizität ebenfalls eine atomistische Struktur besitzt, so daß jede Valenzladung eines Ions ein Elektrizitätsatom oder, wie man jetzt sagt, ein Elektron darstellt. Ein Elektron, ist gleich 96600 Coulombs.

Diejenigen Gewichtsmengen der verschiedenen Stoffe, die im Ionenzustande die Einheit der Strommenge, also ein Coulomb transportieren können, hat man die elektrochemischen Aequivalente genannt. Es sind das dieselben Gewichtsmengen, die bei einer Stromstärke von 1 Ampère, also 1 Coulomb in 1 Sekunde, aus Elektrolyten zur Abscheidung gelangen bezw. in den Ionenzustand übergehen. Nachstehende Tabelle enthält die elektrochemischen Aequivalente der häufiger in Frage kommenden Elemente nebst Angabe der Valenz, der Atomgewichte und der Elektrolyte, für die sie Gültigkeit haben. Es wird auffallen, daß mehrere der aufgeführten Metalle zwei Aequivalentzahlen besitzen. Zum Beispiel sind zum Transport von 1 Coulomb einmal 0,657, dann wieder nur 0,329 mg Kupfer erforderlich, wenn wir im ersten Falle eine Cupro-, im zweiten Falle eine Cupriverbindung als Elektrolyten benutzen; aus einer Cuproverbindung lassen sich also während der Elektrolyse bei einer Stromstärke von 1 Ampère 0,657 mg Kupfer abscheiden, während eine Cupriverbindung als Elektrolyt bei der gleichen Stromstärke nur die Hälfte dieser Kupfermenge abzuscheiden imstande ist. Ein und derselbe Stoff besitzt also unter verschiedenen Umständen eine verschieden große Ladungskapazität oder Valenz. Da wir nun aber wissen, daß derartige Stoffe leicht aus einer Verbindungsform in die andre übergeführt werden können – wir können Oxydulsalze oxydieren und Oxydsalze reduzieren –, so ist es klar, daß die Ladungskapazität der Ionen, also die Valenz, veränderlich sein muß.


Elektrolyse [1]

Berechnung des Potentials. In der Technik genügen meist Annäherungswerte für die erforderliche oder zu erwartende elektromotorische Kraft eines elektrolytischen Vorganges. Man ermittelt solche wie folgt: Ein Coulomb (Ampère) scheidet das 0,010359fache eines Milligrammäquivalents oder das 0,000010359fache eines Grammäquivalents der verschiedenen Stoffe aus. Es haften also an einem Grammäquivalente der verschiedenen Ionen 96 600 Coulombs. Werden dieselben durch eine elektromotorische Kraft E (in Volt) in Bewegung gesetzt, so wird dadurch eine Arbeit von 96600- E Joule verrichtet. Wenn nun die Arbeit von 1 Joule 1 Voltcoulomb gleich derjenigen Kraft ist, die einer Masse von 1 kg die Beschleunigung von 1 m in jeder Sekunde zu erteilen imstande ist, also gleich 0,102 mkg, so entspricht diese Arbeit einer Wärmemenge (Wärmeäquivalent: 425 mkg = 1 Cal.) von 0,00024 Cal. – 0,24 (Gramm) cal. Die Zersetzungswärme W eines Grammäquivalents der verschiedenen Stoffe würde also einer Wärmemenge von 0,24 · 96600 · E entsprechen. Aus dieser Gleichung W = 0,24 · 96600 · E ergibt sich E = W/0,24 · 96600 = W/23200. Ist die übliche Bildungswärme einer Verbindung gegeben, so kann man auch diese für W einsetzen, muß dann aber den Bruch noch durch die Valenzzahl W der darin vorhandenen Ionen dividieren, also E = W/n · 23200.[418]

Die Stromdichte, das Verhältnis der Stromstärke zu der Polfläche, übt, wie schon Bunsen nachwies, einen nicht unwesentlichen Einfluß auf den Gang und die Ergebnisse der Elektrolyse aus. Ist an einer Polfläche zum Transporte der dort erzeugten Elektrizitätsmenge nicht die genügende Anzahl derjenigen Ionen vorhanden, die in Bewegung versetzt werden sollen, so muß entweder Polarisation (s. oben) der Elektrode eintreten, oder es werden andre Ionen an der Elektrolyse teilnehmen. Stromdichte und Konzentration der Lösungen sind also bei der Elektrolyse sehr wichtige Faktoren.

Die Geschichte der Entwicklung der wissenschaftlichen Elektrochemie findet sich in vorzüglicher Darstellung in [2].


Literatur: [1] Ostwald, Lehrbuch der allgemeinen Chemie (sehr ausführlich), Leipzig 1893. – [2] Ostwald, Elektrochemie, ihre Geschichte und Lehre (sehr ausführlich), Leipzig 1895. – [3] Nernst, Theoretische Chemie (kurz), Stuttgart 1893. – [4] Wiedemann, Elektrizität, 4. Aufl., Braunschweig 1894 (besonders Bd. 2). – In neuerer Zeit ist auch eine größere Anzahl ganz kurzgefaßter Lehrbücher der Elektrochemie erschienen, z.B. von Arrhenius, Jahn, Lüpke, Le Blanc, Loeb, Ferchland, Vogel u.a. Die Lehr- und Handbücher für technische Elektrochemie, Elektrometallurgie u.s.w. sind unter Elektrometallurgie und andern chemisch-technischen Artikeln aufgeführt. Besonders sei von diesen hervorgehoben Haber, Grundriß der technischen Elektrochemie, München Und Leipzig 1898.

(Borchers) Abegg.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 3 Stuttgart, Leipzig 1906., S. 416-419.
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