Theater [1]

[530] Theater (Schauspielhaus, Opernhaus). Die heutigen Theater zerfallen in zwei Hauptteile: I. den Zuschauerraum mit seinen Zugängen, Treppen und Nebenräumen, und II. die Schaubühne mit den nötigen Nebenräumen, bestehend in Ankleidezimmern verschiedener Art, Verwaltungszimmern, Probesälen, Magazinen für Dekorationen, Malersaal, Werkstätten für Schreiner, Schneider u.s.w.

Der Zuschauersaal ist so anzuordnen, daß jedermann gut sehen und hören kann; daß er möglichst viel Zuschauer faßt und gut erleuchtet werden kann. Um diesen Zwecken zu entsprechen, kann man drei Grundformen zur Anwendung bringen: a) die länglich viereckige, auch trapezförmige; b) die elliptische oder Hufeisenform; c) den Dreiviertelskreis. Formen,[530] welche je nach der Größe des Raumes ihre Vorteile haben, s. [1]–[3], [7]. Dabei gilt die Regel, daß als äußerstes Maß für die Breite des Saals = 4/3 der Bühnenöffnung (max. = 16 m) zu nehmen, während die größte Länge nach der Weite des guten Hörens mit 25 m zu bemessen sei. Es kann daher nur ein Teil der Zuschauer im Parterre oder sogenannten Parkett, dem unteren Raum, Platz finden; der andre Teil ist auf die Ränge oder Galerien zu verteilen, welche in mehreren Stockwerken übereinander an den Wänden des Saales sich aufbauen. Dies geschieht entweder senkrecht übereinander stehend (mit oder ohne Unterstützung), wie in Italien üblich [5], [2a], oder nach Art der Amphitheater (s.d.), indem die Ränge balkonartig vortreten und die Sitze reihenweise ansteigen, wie dies in Frankreich und Deutschland geschieht [2a]. Die Anzahl der Ränge sollte nicht vier überschreiten, wodurch sich eine Beschränkung der Zuschauerzahl auf 1800–2500 ergibt. Als Raum für den einzelnen Zuschauer ist 0,44–0,54 qm zu berechnen.

Im Zuschauersaal befindet sich vor dem im Bogen vortretenden Proszenium (Vorbühne) der Raum für die Musiker, das Orchester, mit 0,80 qm für den Mann berechnet. Dasselbe ist tiefer gelegt als das Parterre, damit die Aussicht auf die Bühne nicht gehemmt, zugleich aber auch die Klangwirkung einheitlicher wird. (Im Wagnertheater zu Baireuth – mystischer Abgrund [2a].) Um den Schall zu verstärken, wird ein doppelter Fußboden (Resonanzboden) über einem umgekehrten Tonnengewölbe besonders sorgfältig eingelegt. Die innere Gestaltung des Saales wird durch die an der Bühnenöffnung anzubringende Architektur des Proszeniums durch die Logenbrüstungen der Ränge und die Deckenbildung zum Ausdruck gebracht. Hierbei werden reiche Vergoldung und Malerei in matten weißlichen Tönen, welche sich von dem meist roten Grunde der Wände scharf abheben, eine heitere und festliche Wirkung erzielen, die durch die künstliche Beleuchtung mittels eines Kronleuchters noch gehoben werden kann. Die Vorräume seien breit[531] und feuersicher erstellt; die Treppen bequem begehbar mit vielen Ruheplätzen und für jeden Rang getrennt. Eine große Vorhalle mit Billettverkauf, zu den Seiten mit gedeckten Unterfahrten bilde den Hauptzugang. Im Obergeschoß diene ein Foyer als Erfrischungssaal, zum Aufenthalt in den Zwischenakten sowie zu kleinen Konzertaufführungen. Kleiderablagen und Aborte seien in geeigneter Lage angeordnet, erstere so, daß sie den Abfluß der Menschen nach beendigter Vorstellung nicht hindern. Zu diesem Zwecke ist auch die Zahl der Ausgänge zu vermehren, was besonders bei Brandfällen von Wert ist.

In der Anordnung des Grundplans kommen verschiedene Systeme zur Ausführung. In dem einen sind die Vorräume und Treppen nach vorn gerückt, und ein aus dem Viereck gebildeter Bau, mit Säulen- oder Bogenhallen und Giebel ist dem Hauptbau vorgelegt. Als Beispiel eines kleinen Theaters sei hier das Stadttheater zu Genf (Architekt Goß) gegeben (Fig. 1). Bei dem zweiten sind die Treppen, Erholungsräume u.s.w. nicht an der Vorderteile gelegen, sie umgeben vielmehr im Bogen die Ränge und Logen, wodurch auch äußerlich der Rundbau des Zuschauerraums zum Ausdruck gelangt, ein Vorzug an Charakteristik des Theaterbaus, der tunlichst zu erstreben wäre [2a], [7], [13 e], [17] (Fig. 2 und 3). Eine abweichende Anordnung des Zuschauerhauses zeigt das Bühnenfestspielhaus zu Baireuth, welches Richard Wagner nach seinen und G. Semperschen Gedanken im Jahre 1876 errichten ließ. Bei demselben ist der für 1500 Zuschauer bemessene Raum in Form eines Kreisausschnitts (s. Fig. 4) des antiken Theaters gestaltet, mit nach hinten ansteigenden 31 Sitzreihen versehen, die von den Seiten aus zugänglich sind. Außer den an den vier Ecken des Zuschauerhauses durch Gänge verbundenen Treppenhäusern führen zwischen der sich kulissenartig erweiternden Proszeniumsarchitektur in verschiedenen Höhen die Eingänge zu den Sitzreihen und vermitteln aufs bequemste den Zu- und Abgang der Zuschauer. Hinter der Vorbühne erhebt sich die Bühnenöffnung von 9–15 m Weite in annähernd quadratischer Form. Sie wird auf die Breite des Baus durch starke Mauern seitlich begrenzt und im Dachraum von einem hohen Brandgiebel überragt. – Durch einen beweglichen Schutzvorhang (s.d.) in Wellblechkonstruktion abschließbar, s. [19], S. 701, wird eine wirkungsvolle Sicherung bei Feuersgefahr geschaffen.

Der Bühnenraum nimmt mit seiner seitlichen Begrenzung, den Kulissen, d.h. verstellbaren gemalten Leinwandrahmen und dem dahinter liegenden Gange die Breite des Theaters ein. Die Tiefe ist etwa der des Zuschauerraums gleich. Als Bühnendecke dient der Schnürboden, ein Lattengerüst, an welchem die gemalten Dekorationsstücke, als: Hintergründe, Soffitten und Flugmaschinen an Schnüren auf und ab gezogen werden; er sollte 1,2 m höher liegen als die doppelte Höhe der Bühnenöffnung, damit die großen Hintergründe in ihrer ganzen Höhe, d.h. ohne Aufrollen gehoben werden können. – Der Fußboden des Podiums erhält ein Gefäll von ca. 4% des besseren Sehens wegen. Er enthält teils Versenkungsöffnungen, teils auf die ganze Breite durchgehende Schlitze in Entfernungen von ca. 1,20 m, um die Kulissen und Versetzstücke in ihnen verschieben und fest stellen zu können. Bewegt werden sie von dem unter dem Boden liegenden Maschinenkeller aus, der durch mehrere Zwischenböden in niedere Stockwerke geteilt ist. Die Bühnenbeleuchtung erfolgt durch eine wagerechte Reihe von Lampen an der Bühnenrampe und den Soffitten oder Deckenstücken, sodann durch die senkrecht übereinander stehenden Kulissenlampen. Alle Lampen können zur Erhöhung der Illusion durch drehbare Schirme in blaue oder rote Färbung versetzt werden.

Bei den großen Opfern an Menschenleben, welche die Theaterbrände [19] herbeiführten, konnte es nicht ausbleiben, daß seitens der staatlichen Behörden Verordnungen erlassen wurden, welche die Anordnungen gegen Feuersgefahr sowohl bezüglich der Uebertragung von außen als der Entstehung und Verbreitung von Feuer im Innern feststellen, im besonderen den Schutz der Zuschauer und des Theaterpersonals bezwecken, indem sie die einzelnen Baukonstruktionen der Wände, Decken, Treppen u. dergl., der Ausgänge, wie auch die Heizungs-, Beleuchtungs- und Lüftungseinrichtungen eingehend besprechen [19]–[22]. Vgl. a. Bd. 3, S. 791. Es bieten demzufolge die in neuester Zeit erbauten Theater einen erhöhten Schutz in Brandfällen. Ueberhaupt hat sich eine Vollendung in der Ausführung dieser Kunsttempel herausgebildet, welche sich in hervorragenden Meisterleistungen in dieser Gebäudegattung kundgibt. Besonders erwähnenswerte Beispiele sind in den europäischen Großstädten zu bewundern: die Große Oper in Paris [8], das Opernhaus zu Wien, das neue Opernhaus in Frankfurt a.M. von Lucae [11 e] und [16], (das alte) und das neue Hoftheater in Dresden [13 e] von G. Semper [7], das Hofburgtheater in Wien [2a]. Aber auch in weniger großartigen Theatergebäuden kann das architektonische Schaffen herrliche Wirkung erzielen und zeigen die von den Architekten Fellner und Helmer in Wien [12], a–d, [13], f–h, erstellten genügsam, zu welcher Entwicklung in formaler Schönheit und praktischer Ausgestaltung diese Gebäudeart gebracht werden kann.[532]


Literatur: [1] Handbuch der Architektur, IV. Teil, Halbbd. 6, Heft 5, Theater von Baurat M. Semper. – [2] Baukunde des Architekten, Bd. 2, Berlin 1884; a) Steinbrecht, C., Theater, S. 653; b) Büsing, Sicherung der Theater gegen Feuer, S. 685. – [3] Weinbrenner, F., Ueber Theater in architektonischer Hinsicht, Tübingen 1809. – [3a] Langhans, Ueber Akustik und Katakustik der Theater, Berlin 1810. – [4] Palladio, A., Fabriche e disegni etc., Vicenza 1796 (A Bde.), Bd. 1. – [5] Morelli, Teatro d'Imola, Roma 1880. – [6] Schinkels Bauwerke, Berlin 1831. – [7] Semper, G., Das Kgl. Hoftheater in Dresden, o. J. – [8] Garnier, Ch., Le nouvel Opera de Paris, 1880. – [9] Daly et Davioud, Les théâtres de la place du Châtelet et Paris, 1865. – [10] Allgemeine Bauzeitung, Wien; a) Hof- und Nationaltheater, München 1840; b) Morin, Stadttheater in Hagenau, 1860; c) Komische Oper zu Wien, E. Förster, 1875. – [11] Zeitschrift für Bauwesen, Berlin; a) Langhans, Viktoriatheater, Berlin 1860; b) Runge und le Brun, Opernhaus in Philadelphia, 1860; c) Bohnstedt, L., Stadttheater, Riga 1869; d) Langhans, Stadttheater, Leipzig 1870; e) Lucae, Opernhaus, Frankfurt a.M. 1883; f) v. d. Hude & Hennike, Lessingtheater, Berlin 1889. – [12] Zeitschr. d. Oesterr. Ing.- und Arch.-Ver. Wien; a) Fellner, Stadttheater, Wien 1874; b) Helmer, Theaterbauten, 1881; c) Fellner & Helmer, Schloßtheater, Totis 1892; d) Dies., Stadttheater, Zürich 1893; e) Adler & Sullivan, Das deutsche Opernhaus in Chicago, 1892. – [13] The Builder, London; a) Garnier, Charles, New Opera, Paris 1870/71; b) Ders., Le théâtre de Monte Carlo, 1881; c) Giese, Theater, Düsseldorf 1876; d) Ybl, Operahouse, Budapest 1876; e) Semper, New Theater, Dresden 1878; f) Fellner & Helmer, Nationaltheater, Budapest 1876; g) Dies., Theater, Augsburg 1878; h) Dies., Theater, Brünn 1883. – [14] Engineering, Jahrg. 1896; Sachs, E.O., Ueber moderne Bühneneinrichtungen. – [15] Berlin und seine Bauten, 1896. – [16] Frankfurt a.M. und seine Bauten, 1886. – [17] Dresdener Bauten, 1878. – [18] Leipzig und seine Bauten, 1892. – [19] Fölsch, Theaterbrände und die zur Verhütung erforderlichen Schutzmaßregeln, Hamburg 1878. – [20] Deutsche Bauzeitung 1882. – [21] Verordnung s.d. Königreich Sachsen vom 26. Dezember 1882. – [22] Ortspolizeiliche Vorschriften über die Feuerpolizei in den Theatern Berlins vom 29. Juni 1881. – Ueber alle wichtigen neuen Theater Europas s. [23] Sachs, Erwin O., Modern Operahouses and Theaters, erschienen 2 Bde., London 1897. – [24] Sturmhöfel, A., Szene der Alten und Bühne der Neuzeit, Berlin 1889. Wegen des antiken Theaters verweisen wir auf die nachfolgende Literatur: Strack, Das altgriechische Theatergebäude, Potsdam 1843; Wieseler, Theatergebäude und Denkmäler des Bühnenwesens bei den Griechen und Römern, Göttingen 1851; Schönborn, Die Szene der Hellenen, Berlin 1858; Geppert, Die altgriechische Bühne, Leipzig 1843; Müller, A., Lehrbuch der griechischen Bühnenaltertümer, Freiburg i. B. 1886; Oehmichen, Griechischer Theaterbau, Berlin 1886; Haigh, The Attic theater, Oxford 1890; Stengel & Oehmichen, Sakralaltertümer und Bühnenwesen der Griechen und Römer, München 1890; Becker, Handbuch der römischen Altertümer, Bd. 1, Leipzig 1843; Opitz, R., Schauspiel und Theaterwesen der Griechen und Römer, Leipzig 1889; Arnold, Das altrömische Theatergebäude, Leipzig 1873.

Weinbrenner.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 530-533.
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