Ancillon

[490] Ancillon (spr. angßijóng), 1) Charles, Publizist, geb. 28. Juli 1659 in Metz, gest. 5. Juli 1715 in Berlin, Sohn des Predigers der reformierten Gemeinde in Metz, folgte nach der Aufhebung des Edikts von Nantes seinem Vater nach Berlin und wurde vom Großen Kurfürsten zum juge et directeur de colonie de Berlin, 1699 von Friedrich II. zum juge de tous les Français réfugiés dans le Brandebourg ernannt. Obwohl er als Historiker und Schriftsteller den durch Pufendorfs Tod verwaisten Titel eines Historiographen des Kurfürsten nicht verdiente, ist seine »Histoire de l'établissement des Français réfugiés dans les ètats de l'Électeur de Brandebourg« (Berl. 1690) wegen ihrer Sachlichkeit doch wertvoll.[490]

2) Johann Peter Friedrich, preuß. Staatsmann, Urenkel des vorigen, geb. 30. April 1767 in Berlin, gest. 19. April 1837, studierte in Genf Theologie und wurde 1790 Prediger der französischen Gemeinde zu Berlin, 1792 zugleich Professor der Geschichte an der Kriegsakademie, 1803 Mitglied der Akademie der Wissenschaften und königlicher Historiograph, nachdem er im »Tableau des révolutions du systeme politique de l'Europe depuis le XV. siècle« (1803, 4 Bde.; neue Aufl. 1824) ein viel genanntes Werk veröffentlicht hatte. 1809 zum Staatsrat im Departement des Kultus ernannt und 1810 zum Erzieher des Kronprinzen, nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV., berufen, behielt er einen außerordentlich großen Einfluß auf seinen Zögling, zu dessen Charakterentwickelung er wesentlich beitrug. Nachdem er ihn 1813 und 1814 ins Feld begleitet hatte, ward er 15. Okt. 1814, als der Kronprinz mündig wurde, als Wirtlicher Geheimer Legationsrat in das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten berufen. 1817 ward er zum Mitgliede des Staatsrats, im Mai 1831 wurde er zum Wirklichen Geheimrat sowie zum Chef des Departements für das Fürstentum Neuenburg, 25. Juli d. J. aber zum Staatssekretär für die auswärtigen Angelegenheiten ernannt und 1832 als Staatsminister an die Spitze dieses Ministeriums gestellt. Obwohl A. infolge seiner Schriften hier und da in dem Ruf eines gewissen Liberalismus stand, leitete er die Geschäfte doch in ganz reaktionärem Sinn und im engsten Anschluß an Österreich: er entwarf 1834 mit Metternich das Wiener Schlußprotokoll, das jede Erweiterung konstitutioneller Rechte in Deutschland ausschloß. Er hat eine große Zahl von Abhandlungen in deutscher und französischer Sprache über politische und philosophische Tagesfragen geschrieben (darunter: »Über Souveränität und Staatsverfassungen«, 2. Aufl., Berl. 1816; »Zur Vermittlung der Extreme in den Meinungen«, 2. Aufl., das. 1838, 2 Bde.; »Pensées für l'homme«, das. 1829, 2 Bde.), doch besitzen sie keinen wissenschaftlichen Wert mehr.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 490-491.
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