Armenrecht

[783] Armenrecht, das Recht auf vorläufige Befreiung von den Kosten eines bürgerlichen Rechtsstreits wegen Armut. Nach der deutschen Zivilprozeßordnung (§ 114 bis 127) hat darauf Anspruch, wer außer stande ist, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts, die Kosten des Prozesses zu bestreiten. Eine weitere Voraussetzung ist, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als mutwillig oder aussichtslos erscheint. Ausländer haben auf das A. nur Anspruch, wenn die Gegenseitigkeit verbürgt ist. Das Gesuch um Bewilligung des Armenrechts muß von einem obrigkeitlichen Zeugnis (dem Armutszeugnis) begleitet sein, in dem das Unvermögen zur Bestreitung der Prozeßkosten ausdrücklich bezeugt wird. Eine Verpflichtung, die Armut (durch den sogen. Armeneid) eidlich zu erhärten, besteht nicht mehr. Das A. befreit bis auf[783] weiteres von den Gerichtskosten sowie von der Verbindlichkeit zur Erstattung von Auslagen, zur Sicherheitsleistung wegen der Prozeßkosten und zur Bezahlung der Gebühren des Gerichtsvollziehers und des Anwalts. Die mit dem A. ausgestattete Partei hat jedoch die gestundeten Beträge nachzuzahlen, sobald sie ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Lebensunterhalts dazu imstande ist. Der zum A. zugelassenen Partei ist vom Gericht ein Gerichtsvollzieher und im Anwaltsprozeß (s. d.) ein Rechtsanwalt (Armenanwalt) beizuordnen. Im Parteiprozeß (s. d.) darf der armen Partei nach dem neuen § 116, soweit ihr nicht auf Grund des § 34 der Rechtsanwaltsordnung ein Anwalt beigeordnet worden ist, wenn sie außerhalb des Gerichtsbezirks wohnt, zur unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte in der mündlichen Verhandlung ein Justizbeamter, der nicht als Richter angestellt ist, oder ein Rechtskundiger, der die erste Prüfung bestanden hat, beigeordnet werden. Diese Grundsätze über das A. im Zivilprozeß gelten nach § 419, Abs. 3 der Reichsstrafprozeßordnung auch für den Privatkläger (nicht für den Beschuldigten) im Strafprozeß. – Nach der österreichischen Zivilprozeßordnung (§ 63–73) gelten bezüglich des Armenrechts ähnliche Grundsätze wie nach der deutschen. A. wird auch manchmal der Inbegriff der auf das Armenwesen (s. d.) bezüglichen Rechtssätze genannt. Vgl. Schott, Das A. der deutschen Zivilprozeßordnung (Jena 1900); Derselbe, Über die Reform des Armenrechts (in der Zeitschrift »Das Recht«, 1901, S. 165).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 783-784.
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