Bylinen

[669] Bylinen (Byliny), Bezeichnung der Heldenlieder der großrussischen Volkspoesie, die sich von uralter Zeit her bis auf den heutigen Tag in der Phantasie und im Munde der untern russischen Volksklassen, namentlich in den nördlichen Gouvernements Olonetz und Archangel, erhalten hat. Die älteste umfangreichere Auszeichnung der außerordentlich zahlreichen Lieder, Rhapsodien, die teils aus vergangenen Jahrhunderten überliefert, teils in Anlehnung an die Formen und den Ton der altern Lieder an spätere Ereignisse (z. B. die Taten und Kämpfe Peters d. Gr.) angeknüpft worden sind, geschah im 18. Jahrh. durch einen gewissen Kirscha Danilow und wurde 1818 von Kalajdowitsch herausgegeben (teilweise ins Deutsche übertragen in dem Buche »Fürst Wladimir und dessen Tafelrunde«, Leipz. 1819, anonym). Das Werk, das eigentlich der Welt den bisher ungeahnten reichen Schatz der russischen Volkspoesie erschloß, ist die Sammlung von Rybnikow (Moskau, Petersb. und Petrosawodsk 1861–67, 4 Bde.). Weitere bedeutende Sammlungen veranstalteten Kirejewskij (Mosk. 1868 bis 1874,10 Lfgn.), HilferdingOnega-B.«, Petersburg 1873), Tichonrawow und Miller (»Russische B.«, Mosk. 1894), Istomin (»Lieder des russischen Volks«, Petersb. 1894), Sobolewskij (»Großrussische Volkslieder«, das. 1895–1900, 6 Bde.). Die Bylina, die einzelne Rhapsodie, hat stets eine bestimmte Versform, der Vortragende oder Sänger fügt der Handlung oft neue Züge hinzu oder verändert die Folge derselben, hält sich aber streng an die überlieferte Beschreibung der Helden und gibt die Reden der Bogatyri (so heißen die Helden) getreulich wieder. Man versucht die Masse der epischen Lieder zu bestimmten Zyklen zu gruppieren, unterscheidet einen Zyklus, der die ältesten russischen Nationalhelden, wie Svjatogor, Mikula u. a., feiert, einen »Zyklus von Nowgorod«, einen »Zyklus von Moskau« etc. Im Mittelpunkte des Ganzen aber stehen die Gesänge, welche die Glanzzeit Wladimirs d. Gr., seines Hofes zu Kiew zum Hintergrund und den Bauernsohn Ilja von Murom (Ilja Muromez, s.d.) zum Helden haben, der erst im 30. Lebensjahr seine Kraft kennen lernt und von da an Taten verrichtet, die alle mehr oder weniger an das Wunder streifen. Ilja und die Helden, die mit ihm dem Kiewschen Zyklus angehören: Dobrynja Nikititsch, Aljoscha Popowitsch u. a., bilden die »Wladimirsche Tafelrunde«. Vgl. Rambaud, La Russie épique (Par. 1876); Wollner, Untersuchungen über die Volksepik der Großrussen (Leipz. 1879).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 669.
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