Flußkrebs

[734] Flußkrebs (Krebs, Astacus), Gattung der Scherenkrebse (s. Krebse), lebt nur in Süßwasser und umfaßt zahlreiche Arten. Die Jungen kommen (im Unterschied von denen des naheverwandten Hummers) aus dem Ei fast ganz in Gestalt der Alten. Der gemeine Flußkrebs (A. fluviatilis, s. Tafel »Krebstiere II«, Fig. 2 u. 3), 15 cm lang und 120–140 g schwer, grünlichbraun, lebt in fließenden Gewässern und in Seen, am liebsten an Steilufern (wo er sich bei Tage zwischen Wurzeln und in Löcher verkriecht), aber auch an Flachufern unter Steinen, und nährt sich von Aas, Schnecken, Würmern, Insektenlarven etc., die er nachts erbeutet. Im Winter verläßt er kaum sein Loch. Er häutet sich im Sommer, frißt den abgeworfenen Panzer, wartet als sogen. Butterkrebs die Erhärtung des neuen in einem Schlupfwinkel ab und begattet sich im Oktober oder November, worauf sich das Weibchen in ein Erdloch zurückzieht und hier verweilt, bis aus den an den Schwimmfüßen angeklebten 200–400 großen Eiern die Jungen ausschlüpfen. Dies geschieht im Mai oder Juni; die Jungen sind dann höchstens 15 mm lang, häuten sich im ersten Sommer 5–81ual, später seltener. Im 3. Jahre sind sie schon 10–12 cm lang, im 5. oder 6 Jahre fortpflanzungsfähig. Die großen, über 100 g[734] schweren Krebse sind gegen 20 Jahre alt. In der Magenwand liegen die sogen. Krebsaugen (s.d.), die nach der Häutung verdaut werden, um den Kalk für den neuen Panzer zu liefern. Man unterscheidet drei Rassen: den Edelkrebs (Astacus fluviatilis nobilis), der sich in Deutschland, Dänemark, Südschweden, Frankreich, Italien und in den Stromgebieten des Finnischen und Weißen Meeres findet; den Steinkrebs (A. f. torrentium), der mehr eine Gebirgsform ist, vielfach neben dem Edelkrebs lebt, allein aber in England, auf der Iberischen Halbinsel, im Hochgebirgsland Deutschlands und Österreich-Ungarns; den galizischen F. (A. leptodactylus), bewohnt alle Flüsse und Flußgebiete, die dem Schwarzen, Asowschen und Kaspischen Meer angehören. Infolge der Kanalverbindungen der Wolga etc. mit den Flußgebieten des Finnischen und Weißen Meeres ist er auch in diese eingedrungen und beginnt hier den Edelkrebs zu verdrängen. Mit Vorteil hat man den F. für den Markt gemästet (Clairfontaine bei Rambouillet), den größten Handel mit Krebsen hat Berlin, das sich aus der Mark, Pommern, Ost- und Westpreußen versorgt und die sogen. Oderkrebse weiter versendet. England bezieht jährlich mehr als 15,000 Schock Krebsschwänze. Man fängt die Tiere in Reusen und Fangkasten und bewahrt sie für den Winter in großen, von Quellwasser durchströmten Behältern. 8–14 Tage lassen sich gut abgetrocknete Krebse in einem kühlen Keller lebend erhalten. Früher war der Krebsreichtum weit größer, noch im 17. Jahrh. bezog Küstrin große Einnahmen aus den Warthekrebsen, deren in einem Jahre an 32,5 Mill. Schock über Küstrin versendet wurden. Die Oder ist seit Regulierung des Oderbruches arm daran, und ebenso sind die Krebse in vielen andern Gewässern zurückgegangen, besonders auch seitdem die Krebspest (s.d.) große Verwüstungen angerichtet hat. Man bezieht jetzt vielfach den F. aus galizischen und russischen Gewässern und gibt die für den Markt ungeeigneten Tiere als Satzkrebse zur Neubesetzung der Gewässer ab. Der galizische Krebs besitzt schmale Scheren, und die Muskulatur seines Hinterleibes, des Schwanzes, ist schwach entwickelt; auch ist sein Fleisch weniger schmackhaft als das des Edelkrebses. Dagegen übertrifft seine Fruchtbarkeit die des letztern um das Vierfache (die Eierzahl steigt bei einem großen Tier auf 800 Stück); er ist sehr lebhaft und beweglich, und wo er sich ansiedelt, verschwindet der Edelkrebs. Sein schnelleres Wachstum und seine Größe werden von manchen Krebshändlern, die ihn den Nowgorodschen oder Riesenkrebs nennen, benutzt, um für ihn als Satzkrebs Reklame zu machen. Ein auffallendes Kennzeichen des galizischen Krebses ist die blasse, weißliche Farbe an der untern Seite der Extremitäten, namentlich auch der Scheren und des Unterleibes, die auch beim Kochen nicht in Rot übergeht. Eine vierte Flußkrebsrasse (A. pachypus) lebt im Kaspischen Meer und eine fünfte (A. angulosus) in den Gebirgsbächen der Krim, des nördlichen Abhanges des Kaukasus sowie im untern Laufe des südlich vom Kaukasus verlaufenden und in das Schwarze Meer mündenden Rion. In Sibirien kennt man Flußkrebse aus dem Amur, dann findet man sie in Japan, aber sie fehlen dem ganzen übrigen Asien und in ganz Afrika. Krebszucht ist wegen des langsamen Wachstums wenig rentabel; dagegen hat man mit Erfolg in Elsaß-Lothringen, Bayern, Thüringen und in der Oder alte Krebse zur Fortpflanzung ausgesetzt. Bachkrebse sind schmackhafter als Flußkrebse; letztere sind dunkelbraun und in der Qualität fast gleich, während die aus Seen in Qualität und Färbung mannigfach abweichen. Kalmusreiche Gewässer liefern bittere Krebse. Am schmackhaftesten ist der erwachsene F. nach der Häutung, die in Flüssen und Bächen im Juni, in Seen im Juli erfolgt. Sehr fett ist er auch noch bis Oktober. Sein Fleisch ist schwer verdaulich. Das Rotwerden beim Kochen beruht auf der Zerstörung eines bläulichen Farbstoffes, der im Leben den roten verdeckt. – In Nordamerika, östlich vom Felsengebirge, von Kanada bis Florida und Mexiko, vertritt den altweltlichen F. die nahe verwandte Gattung Cambarus Erichs., von der merkwürdigerweise eine Art in den Höhlen Krains und des Karstes auftritt, und eine zweite in der Mammuthöhle von Kentucky, die beide blind und einander sehr ähnlich sind. C. Clarkii lebt im Mississippi und wird in New Orleans verspeist, und C. affinis im Potomac bei Washington kommt in New York auf den Markt. Dieser Krebs, der 14 cm lang wird und ein sehr wohlschmeckendes Fleisch besitzt, ist mit gutem Erfolg in Frankfurt a. O. eingewöhnt worden und wird jetzt auch in Frankreich gezüchtet. Die Cambarus-Arten sollen der Krebspest widerstehen. Beim Kochen werden sie rot wie unsre Krebse. Vgl. Huxley, Der Krebs (deutsch, Leipz. 1880); Faxon, Revision of the Astacidae (Boston 1885); Püchner, Der Krebs und seine Zucht (Wien 1887); Dröscher, Desgleichen (Berl. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 734-735.
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