[780] Geweih (Gehörn), die aus Knochensubstanz bestehenden Hörner der Hirscharten. Beim Rot-, Dam-, Elch- und Rehwild trägt nur das männliche Tier ein G., beim weiblichen Tier kommt es in schwacher, meist krüppelhafter Ausbildung nur als sehr seltene Abnormität vor, am häufigsten noch beim Rehwild. Beim Renntier tragen beide Geschlechter ein G., das sich aber beim männlichen Stücke durch größere Stärke auszeichnet. Das G. wächst bei allen Hirscharten aus den mit Haut bekleideten Stirnbeinzapfen (Rosenstöcken) hervor, wird in jedem Jahr abgeworfen und von neuem gebildet. Nur bei verletzten und kranken Stücken wird wohl einmal das G. nicht abgeworfen. Das neugebildete G. ist an den im Wachstum begriffenen Spitzen weich und knorpelartig und ganz mit einer haarigen Haut (Bast, Gefege) überzogen (Kolbengeweih). Die Umwandlung in Knochensubstanz erfolgt unter Ablagerung von Kalksalzen, die Blutzufuhr hört auf, und der Bast vertrocknet, das G. ist vereckt. Durch Abreiben des Bastes (Schlagen, Fegen) an Stämmen wird das G. gefegt und nimmt eine mehr oder weniger dunkle Färbung an. Seine Oberfläche ist mit kleinen Erhöhungen (Perlen) bedeckt, die an den Spitzen der Enden fehlen, so daß diese glatt und meist hell erscheinen. Die Größe und Schärfe der Perlen bedingt z. T. die Güte des Geweihes für den Jäger. Die Stärke des Geweihes ist vor allem abhängig von der Nahrung, besonders auch von ihrem Kalkgehalt, Reviere mit Kalkboden liefern unter sonst gleichen Verhältnissen die besten Geweihe. Durch rationelle Fütterung lassen sich die Gewichte derselben stark erhöhen. Inzucht, Abschließung vom Felde durch Eingatterung und starke Inanspruchnahme der Hirsche in der Begattungszeit beeinträchtigen sehr die Geweihbildung, in Wildparken ist deshalb auf Fütterung und Herstellung des richtigen Verhältnisses zwischen männlichem und weiblichem Wilde Bedacht zu nehmen. Die Ausbildung des Einzelgeweihs sowie die Fortbildung im Laufe der Jahre unterliegen gewissen Gesetzen, die aber sehr häufige Änderungen erleiden, besonders beim Rehwild kommen vielfach Abnormitäten vor. So setzen nach dem Abwerfen des alten Geweihes künstlich oder durch einen Unfall kastrierte Stücke das Perückengeweih auf. Es besteht aus einer meist unförmlichen Masse, die mit der normalen Geweihform kaum Ähnlichkeit zeigt und auch nicht gefegt wird. Verletzungen, besonders der Läufe, der Rosenstöcke und der in der Entwickelung begriffenen noch weichen Stangen, bedingen häufig Abnormitäten. Vereinzelt finden sich, besonders in Wildparken, Hirsche, die nur schwach ausgebildete Rosenstöcke, aber kein G. tragen (Büffelhirsche). Beim Rotwild bilden sich im Dezember des ersten Jahres die Rosenstöcke, die im Laufe des Winters auswachsen (Knopfspießer), worauf sich auf ihnen im Frühjahr, je nach den günstigen Lebensverhältnissen, kürzere oder längere Spieße entwickeln (Schmalspießer). Diese Spieße (Fig. 1) werden gewöhnlich erst im September gefegt und im April, bisweilen erst im Mai des folgenden Jahres abgeworfen. Bald darauf entwickelt sich das neue G. vor den Rosenstöcken, indem zwei Stangen herauswachsen, die über dem Rosenstock mit einem wulstigen, geperlten Ring (Rose) versehen sind (starker Spießer). Statt dem zweiten Spieße setzt der Hirsch auch wohl ein Gabelgeweih auf, das über der Rose ein nach vorn stehendes spitzes Ende (Augsprosse) trägt (Gabler, Gabelhirsch, Fig 2). Unter günstigen Verhältnissen findet man auch im zweiten Jahr ein G. von 6 oder 8 Enden, wie überhaupt das Fortschreiten in der Geweihbildung in verschiedenen Wildständen stark voneinander abweicht. Die Sechserstufe (Sechsender, Fig. 3) zeigt außer der Augsprosse noch eine in der Mitte der Stange an einer kleinen Biegung derselben sitzende zweite Sprosse, die Mittelsprosse. Bei der folgenden Altersstufe gabeln sich die Stangen am Ende, der Hirsch trägt mithin an jeder derselben vier Enden und heißt Achtender oder Achter (Fig. 4). In der weitern Entwickelung schiebt sich zwischen Aug- und Mittelsprosse, meist der erstern näher stehend, die Eissprosse ein, der Hirsch wird [780] Zehner oder Zehnender und zwar Gabelzehner und ist von nun an als jagdbar zu bezeichnen (Fig. 5). Eine andre Form des Zehners ist der Kronenzehner, bei dem statt der Eissprosse ein Ende an der Gabel hinzutritt, so daß ein dreiteiliges Gebilde, die Krone, entsteht. Der Zwölfender oder Zwölfer (Fig. 6) hat sowohl die Eissprosse als auch die Krone.
Die weitern Stufen, Vierzehnender, Sechzehnender etc., können normal nur durch weitere Enden in der Krone entstehen, unter derselben neben den drei genannten Sprossen etwa vorhandene Enden sind als nicht normal zu bezeichnen. Das G. ist ungefähr Anfang August vereckt, wird dann gefegt und im März abgeworfen, stärkere Hirsche werfen früher ab und verecken eher als geringere. Die beiden Stangen des Geweihes sind nicht immer gleich ausgebildet, es kann die eine z. B. sechs, die andre vier Enden tragen. Man zählt dann stets die Enden der die größere Zahl zeigenden Stange, verdoppelt dieselbe und nennt den Hirsch ungerade, während er bei gleicher Endenzahl als gerade bezeichnet wird, z. B. gerader und ungerader Zwölfender. Häufig setzen Hirsche, die den Höhepunkt ihrer körperlichen Entwickelung überschritten haben, Geweihe von geringerer Endenzahl als im Jahr vorher auf, sie setzen zurück. Auch mangelhafte Äsung oder Krankheit kann hierzu die Veranlassung sein. Ebenso bleiben Hirsche unter ungünstigen Verhältnissen wohl mehrere Jahre auf derselben Stufe stehen und kommen über eine bestimmte niedrige Endenzahl nicht hinaus. In vielen Gegenden sind Geweihe von mehr als zwölf Enden eine Seltenheit, z. T. allerdings auch wohl eine Folge zu frühzeitigen Abschusses. Aus diesem Grunde sind auch die Geweihe vielfach nicht mehr so schwer und stark, wie man sie in Sammlungen aus früherer Zeit findet, doch liefern Preußen, Pommern, Ungarn und Galizien auch jetzt noch Geweihe bis zu 14 und 15 kg, während im allgemeinen 57 kg schon als sehr gutes Gewicht angesprochen wird. Das an Endenzahl stärkste bekannte G., ein Sechsundsechzigender aus der Oberförsterei Neubrück (von König Friedrich I. von Preußen erbeutet) wird im Jagdschloß zu Moritzburg aufbewahrt.
Da die Zahl der Enden oft nicht dem Alter der Hirsche entspricht, hat man stellenweise eine Art des Ansprechens eingeführt, für die lediglich das Alter maßgebend ist. Man bezeichnet hier den Hirsch, der im dritten Jahre sein zweites G. aufsetzt, als einen Hirsch vom zweiten Kopf und so fort vom dritten und vierten Kopf. Wenn er im sechsten Jahre sein fünftes G. ausgebildet hat, also bei regelmäßigem Aufsetzen ein Zehner geworden ist, heißt er angehend jagdbar, im folgenden Jahre jagdbar und dann weiter gut jagdbar, kapital. Beim Elchhirsch (Fig. 7) bilden sich die ersten Spieße mit Beginn des zweiten Lebensjahres, auf die im nächsten entweder ein stärkeres, mit einer Rose versehenes Spieß- oder häufiger ein Gabelgeweih folgt, das bereits an der Gabelungsstelle eine Abflachung zeigt. Manche Hirsche behalten diese Gabelform auch bei den spätern Geweihbildungen, andre zeigen noch eine Teilung an der Spitze, so daß ein G. von sechs Enden entsteht, das mit zunehmendem Alter stärker wird. Diese Geweihe heißen Stangengeweihe im Gegensatz zu den Schaufelgeweihen. Letztere bilden sich wieder in sehr verschiedener Weise, bald mit schmälern Schaufeln und längern, weniger zahlreichen Enden, bald mit breitern Schaufeln und kürzern Sprossen, aus, deren Zahl bei sehr starken Geweihen bis etwa 12 an jeder Schaufel beträgt. Die starken Hirsche werfen Anfang Oktober, schwache Anfang November ab; erstere fegen kurz vor der Brunst gegen Ende August, letztere gegen Ende September den Bast von den vereckten Geweihen. Beim Damhirschkalb (Fig. 8, S. 782) erscheinen um Neujahr zuerst die kleinen Hervorragungen, die sich bis Ende Mai (Knopfspießer) so weit entwickelt haben, daß die Spieße durchbrechen (Schmalspießer); diese werden dann, ausgewachsen und vereckt (Spießer), Ende September, auch später, gefegt und um Ende Mai des nächsten Jahres abgeworfen. Hierauf bildet sich ein stärkeres Spieß- oder ein Gabelgeweih und im dritten Jahre durch Hinzutreten der Mittelsprosse ein Sechsergeweih, ähnlich wie beim Rothirsch, aus.
Im folgenden Jahre verbreitern sich die Stangen über der Mittelsprosse und nehmen mit zunehmendem Alter mehr und mehr die Schaufelform an. Hiernach unterscheidet man geringe Hirsche, Halbschaufler, starke und Kapitalschaufler. Letztere tragen, mindestens neun Jahre alt geworden, ein über der Mittelsprosse sich allmählich verbreiterndes, oben etwa spannenbreites, bis 5 kg schweres Schaufelgeweih, auf dem sich noch die Adern, die unter dem Bast liegen, erkennen lassen, und aus dessen Schaufeln nach der obern und der hintern Seite zahlreiche fingerlange Zacken hervortreten. Die Damhirsche werfen das G. im April und Mai ab und fegen im September; alte, starke Hirsche früher, junge, schwache später. Bei günstigen Umständen[781] wird schon das zweite G. ein Sechsergeweih, und die Schaufelform entwickelt sich früher und stärker.
Beim Rehwild (Fig. 9) beginnen sich die Rosenstöcke des Bockkitzes im November des Geburtsjahres zu entwickeln, die daraus hervorwachsenden Spießchen werden im Mai oder Juni gefegt (Spießbock) und im Dezember abgeworfen.
Das nächste Gehörn ist dann der Regel nach ein Gabelgehörn (Gabelbock), doch kommen auch statt desselben häufig starke Spieße oder das Sechsergehörn vor; letzteres bildet sich besonders dann, wenn der Bock in Getreidefeldern Ruhe und gute Äsung gehabt hat.
Überhaupt scheinen bei dem sehr weichlichen Rehwild die Entwickelungsverhältnisse des Gehörns mehr als bei Hirschen von äußern Lebensbedingungen abhängig zu sein. Bei zahmen Bockkitzen waren bereits im August des Geburtsjahres, also im Alter von etwa vier Monaten, kugelige Spießchen ausgebildet, die bald gefegt und Ende November abgeworfen wurden, worauf bis April des folgenden Jahres ein zweites, stärkeres Spießgehörn vereckt war. Auch im Freien scheinen die Bockkitze, die in Revieren mit besonders günstigen Verhältnissen stehen, die ersten Spießchen schon im März, also im Alter von etwa 10 Monaten, abzuwerfen und bis zum Monat Juni neue zu verecken, also im ersten Lebensjahr zweimal auszusetzen. Das Rehbocksgehörn bleibt meist auf der Sechserstufe stehen (Fig. 10), es wird mit zunehmendem Alter nur stärker und perliger, erhält auch wohl ausnahmsweise teils durch Gabelung an der Spitze der Enden, teils durch seitliche Auswüchse mehr Sprossen (Achterbock, Zehnerbock). Man spricht jedoch die Rehböcke nicht nach der Endenzahl an, sondern unterscheidet nur schwache, starke und Kapitalböcke. Die starken Böcke werfen ihr Gehörn schon im Monat November ab und fegen das neugebildete bereits im April. Bei keiner Wildart kommen so häufig abnorme Bildungen des Gehörns (Fig. 9 a) vor als beim Rehwild, was wohl gleichfalls mit der Weichlichkeit desselben zusammenhängen mag. Die abgeworfenen Stangen und Geweihe von gefallenen Hirschen sind in den meisten deutschen Staaten als herrenlose Sache zu betrachten und fallen dem Finder zu, soweit es sich nicht um geschlossene Wildparke handelt, in denen sie nach Reichsgerichtsentscheidung dem Jagdberechtigten gehören. In den Provinzen Ostpreußen und Pommern, im Königreich Sachsen, Braunschweig, Anhalt u. Sachsen-Koburg-Gotha etc. hat nur der Jagdberechtigte das Recht der Aneignung. Im Königreich Sachsen und in Anhalt gehören Rehgeweihe zu den herrenlosen Sachen. Die größten Geweihsammlungen besitzen die Museen von Paris, London und besonders das königliche Naturhistorische Museum in Berlin. Ferner sind berühmt die Sammlungen im Schloß Moritzburg, Reinhardsbrunn, Stuttgart, Bebenhausen, Schloß Erbach u. die Sammlung des Grafen Arco-Zinneberg in München.
Vgl. Altum, Die Geweihbildung bei Rothirsch, Rehbock, Damhirsch (Berl. 1874); v. Dombrowski, Die Geweihbildung der europäischen Hirscharten (Wien 1885); v. Raesfeld, Das Rotwild (Berl. 1899); Hoffmann, Zur Morphologie der Geweihe der rezenten Hirsche (Köthen 1901); Brandt, Das Gehörn und die Entstehung monströser Formen (Berl. 1901); Rörig, Die Geweihsammlung der landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin (Neudamm 1896). Geweihähnliche Bildungen finden sich auch bei niedern Tieren, z. B. dem Hirschkäfer, dessen Oberkiefer eine geweihähnliche Form besitzen (s. Tafel »Käfer I«, Fig. 19).
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