Ostpreußen

[229] Ostpreußen (hierzu die Karte »Ost- und Westpreußen«), die östliche Hälfte der ehemaligen Provinz Preußen, bildet seit 1. Jan. 1878 eine eigne Provinz, grenzt im N. an die Ostsee und an Rußland, im Osten und S. an das russische Polen, im W. an Westpreußen und hat einen Flächenraum von 36,994 qkm (671,85 QM.).

[Bodenbeschaffenheit. Klima.] Die Provinz liegt im Norddeutschen Tiefland, ist aber durchaus keine Ebene, sondern bietet eine große Abwechselung von Hügelland und ebenen Flächen dar. Von W. nach Osten durchzieht sie in der südlichen Hälfte die Ostpreußische Seenplatte. In dem Nordrande derselben liegen der Schloßberg westlich von Preußisch-Eylau (216 m), der Kucklinsberg bei Darkehmen (164 m) und die Plickener Berge südlich von Gumbinnen (121 m). Im S. dacht sich die Seenplatte zu einer ebenen Landschaft ab, die an Waldungen und Sumpfstrichen reich ist. In dieser Abdachung sind die Goldberge (235 m) und die Dobrziener Berge (218 m), am südlichen Rande der Forst von Napiwoda und der Damerau (201 m) nördlich von Ortelsburg bemerkenswert. Auf der Höhe des Landrückens sind wiederum drei Hochflächen zu unterscheiden. Die erste liegt südlich von Osterode und von den Seen des Oberländischen Kanals und hat in der Kernsdorfer Höhe ihren höchsten Gipfel (313 m); die zweite, zwischen den Seen an der obern Alle und den Masurischen Seen, ist außerordentlich reich an Seen und erhebt sich im Voigtsdorfer Berg, östlich vom Großen Lauternsee, zu 22 im Höhe; die dritte endlich, im Osten der Masurischen Seen, bildet einen flach gewölbten Rücken, auf dessen Seiten im S. und N. auf niedern Platten ansehnliche Waldungen liegen; die wichtigsten Höhenpunkte sind hier: der Pillacker Berg (219 m), die Goldaper Berge (272 m), der Seesker Berg (309 m) und der Woitowosberg an der Grenze östlich von Goldap (283 m). In der Küstenebene treten noch einzelne beträchtliche Erhebungen hervor, so der Signalberg in der Willkischker Höhe am rechten Memelufer bei Ragnit (80 m), der Galtgarben (110 m) und der Große Hausenberg (90 m) im Samland etc. Unterhalb Tilsit erstreckt sich die fruchtbare Tilsiter Niederung (s. Tilsit). Kahle Dünenketten ziehen sich an der Küste entlang. Die größte Einbuchtung der Ostsee, die Danziger Bucht, hat für O. geringere Bedeutung, da sie nur den nordöstlichsten Teil der Frischen Nehrung und die Westküste des Samlandes berührt. Große Strandseen sind das Kurische und das Frische Haff, von der Ostsee durch die gleichnamigen Nehrungen geschieden; ersteres der Mündungssee der Memel, letzteres der des Pregel und eines Teiles der Weichsel. Die Hauptflüsse der Provinz sind Memel (Niemen) und Pregel. Die Memel, ganz im NO., teilt sich in der Tilsiter Niederung in die Ruß und Gilge und empfängt die Scheschuppe, Jura und im Kurischen Haff den Nemonien, die Minge und Dange. Der Pregel, aus Angerapp, Pissa und Inster gebildet, wird bei Insterburg schiffbar, nimmt die Alle auf und entsendet die Deime zum Kurischen Haff. Zur Weichsel fließt die Drewenz von den Hochflächen von Osterode; auch gehören zu ihrem Gebiete durch den polnischen Fluß Narew mehrere Flüsse, die der Ostpreußischen Seenplatte nach S. zu entfließen (Lyckfluß, Pischfluß, Omuleff, Neide). In das Frische Haff[229] geht noch die Passarge, zum Drausensee (Elbing) die Sorge. Von den Kanälen sind hervorzuheben: der Große Friedrichsgraben und der Seckenburger Kanal zwischen Deime und Gilge sowie die Masurische Wasserstraße, welche die großen Seen zwischen Johannisburg und Angerburg verbindet; der Elbing-Oberländische Kanal (s. d.) und der König Wilhelms-Kanal bei Memel. Die sehr zahlreichen Landseen der Provinz bilden mehrere Gruppen. Die Masurische Seengruppe (s. Masurenland) in den Regierungsbezirken Gumbinnen und Allenstein enthält zunächst den Rosch- und den Spirdingsee mit zahlreichen Verzweigungen, den Löwentin- und den Mauersee, alle vier durch die Masurische Wasserstraße verbunden; ferner sind daselbst: der Mucker-, Nieder-, Arys-, Lyck-, Große Sellment-, Raygrod-, Laszmiaden- und Szonstagsee, die kleinere Seengruppe bei der Oberförsterei Rothebude und vereinzelt auf der polnischen Grenze der Wysztyter See, aus dem die Pissa entspringt. Eine andre Seengruppe bei Passenheim enthält kleinere Seen; nördlich von derselben sind der Dadey- und Groß-Lauternsee, westlich an der obern Alle der Lansker See und neben diesem der Große Plauzigsee. Zur Seengruppe von Liebemühl gehören: der Drewenz-, Schillings-, Geserich-, Röthlofsee u.a. auf der Höhe am Elbing-Oberländischen Kanal, der Drausensee am Elbing, bereits in der Niederung, und der Nariensee östlich von Mohrungen; der Geserich- und der Drausensee liegen zum Teil schon in Westpreußen. Das Klima ist gesund, aber (von Gebirgsgegenden abgesehen) rauher als in irgend einem andern deutschen Lande (Durchschnittstemperatur auf dem Landrücken 6,3°, nahe der Küste 6,7°, die mittlere Temperatur des Januars -4,7°). Die jährliche Regenmenge beträgt etwa 53–69 cm.

[Bevölkerung. Nahrungszweige.] Nach der Zählung von 1905 hatte die Provinz 2,034,593 Einw., darunter waren (1900) 1,698,465 Evangelische, 229,196 Katholiken, 13,877 Juden etc. Die Katholiken bilden die Mehrzahl der Bewohner in den vier Kreisen des Ermelandes (s. d.), außerdem sind sie zahlreich in einigen Kreisen des neuen Regierungsbezirks Allenstein. Mennoniten leben in der Tilsiter Niederung. Die Dichtigkeit der Bevölkerung (55 auf 1 qkm) ist mit Pommern die geringste im preußischen Staate. Die Mehrzahl der Bewohner sind Deutsche; außerdem gab es 1900: 155,481 Personen mit polnischer, 130,876 mit masurischer und 109,583 mit litauischer Muttersprache. Die Hauptbeschäftigungen der Bevölkerung sind Landwirtschaft, die gewöhnlichen bürgerlichen Gewerbe, Handel, Schiffahrt und Schiffbau. Von der Gesamtfläche der Provinz entfallen 55,3 Proz. auf Äcker und Gärten, 11,2 auf Wiesen, 6,9 auf Weiden, 17,4 Proz. auf Waldungen. Durch Fruchtbarkeit zeichnet sich die Küstenebene südlich vom Pregel aus. Roggen, Hafer, Weizen und Kartoffeln sind die Hauptfrüchte des Feldes; mehrfach wird noch die graue Erbse angebaut. Garten- und Obstbau werden in mehreren Kreisen der Mitte und im Memeltal getrie ben; sehr gering sind diese Kulturzweige aber auf dem Landrücken und in der südlichen Grenzregion der Provinz. Flachsbau ist vornehmlich im Ermeland von Bedeutung. Vorzügliche Wiesen gibt es am Pregel bei Königsberg; umfangreich, obschon weniger gut, sind sie auch in mehreren Kreisen des Regierungsbezirks Gumbinnen, besonders in der Tilsiter Niederung. Die Waldungen sind im südlichen Teil der Provinz bedeutend; daselbst sind auf der Höhe des Landrückens die Osteroder Heide, die Waldungen an der obern Alle, der Forst von Napiwoda, die Rominter Heide und der Forst von Rothebude und in der südlichen Abdachung der Seenplatte die Johannisburger Wildnis mit der Ortelsburger Heide. Kiefer und Rottanne sind hier die vorherrschenden Waldbäume. Im nördlichen Teil der Provinz sind die Kapornsche Heide auf Samland und der Baumwald am Kurischen Haff bemerkenswert, wo in den sumpfigen Strichen die Erle dominiert. Die Buche erreicht in der Provinz mit der Linie von Tenkitten über Rastenburg bis zum Spirdingsee ihre Polargrenze. Die Waldungen sind überwiegend Staats- oder Krongut. Nach der Viehzählung von 1904 hatte die Provinz 454,935 Pferde, 1,123,396 Stück Rindvieh, 508,204 Schafe, 996,632 Schweine und 39,073 Ziegen. In keinem Teil des Deutschen Reiches erfreut sich die Pferdezucht einer solchen Sorgfalt wie in O.; sie blüht namentlich in den Kreisen zwischen dem Pregel und der Seenplatte und wird unterstützt durch das Hauptgestüt zu Trakehnen (s. d.) sowie die Landgestüte zu Rastenburg, Braunsberg, Insterburg und Gudwallen bei Darkehmen (s. Gestüte). Nicht weniger als 8 Remontedepots sorgen für Erneuerung des Pferdebedarfs der Armee. Auch die Rindviehzucht erfreut sich einer steigenden Bedeutung. Die Schafzucht ist am erheblichsten in den Kreisen der Mitte. Von wilden Tieren sind besonders hervorzuheben: der Edelhirsch, der hier fast seine Ostgrenze erreicht, und das Elentier, das noch in der Stärke von etwa 190 Stück im Ibenhorster Forst am Kurischen Haff gehegt wird; außerdem Rehe, Hafen und Füchse. Auch der Luchs, der Wolf und der Dachs finden sich noch in den größern Waldungen. Von großer Wichtigkeit ist die Zucht des Geflügels. Fischerei wird besonders auf Störe (Kaviar von Pillau), Lachse und Neunaugen emsig betrieben. Aus dem Mineralreich sind der Bernstein, ein echt ostpreußisches Produkt, und der Torf in erster Linie zu nennen; ferner gibt es vorzügliche Tone, Kalk, etwas Raseneisenerz und einige nicht gerade bedeutende Braunkohlenlager. Salz und eigentliche Mineralquellen fehlen. Die Industrie ist nur in einigen Orten (Königsberg, Meniel, Tilsit, Insterburg) von Bedeutung, wo neben Schiffahrt und Schiffbau auch nicht unbedeutende Eisenwerke bestehen. Ferner gibt es in der Provinz zahlreiche Sägemühlen (bei Memel), mehrere große Papierfabriken, Glashütten, Bierbrauereien (Produktion 1904/05: 1,150,338 hl Bier), Branntweinbrennereien (Produktion 1904/05: 172,737 hl Alkohol) etc. Auf dem Lande wird die Leinweberei stark betrieben. Die Reederei der Provinz zählte 1904: 41 Seeschiffe (darunter 38 Dampfer) mit 11,678 Reg.-Ton. (netto) Raumgehalt; hauptsächlichste Seeplätze sind Memel und Königsberg (Hafen Pillau). Den Binnenverkehr unterstützen die schiffbaren Gewässer, die Chausseen und Eisenbahnen (1903: 232 km, vollspurige; meist Staatsbahnen).

Für die geistige Bildung sorgen: eine Universität (Königsberg), eine Akademie (Braunsberg), eine Kunstakademie, 16 Gymnasien, 3 Realgymnasien, eine Oberrealschule, 7 Realschulen, 2 Landwirtschaftsschulen, 11 Schullehrerseminare etc. Die Provinz, deren Hauptstadt Königsberg ist, wird in drei (vor 1905 in zwei) Regierungsbezirke geteilt: Königsberg mit 15, Allenstein (seit 1905) mit 9 und Gumbinnen mit 14 Kreisen. Für die Justiz bestehen ein Oberlandesgericht in Königsberg, 8 Landgerichte zu Allenstein, Bartenstein, Braunsberg, Insterburg, Königsberg, Lyck, Memel und Tilsit und 71 Amtsgerichte (s. die Textbeilage »Die Gerichtsorganisation im Deutschen [230] Reich« im 7. Bd.). Militärisch gehört die Provinz mit Ausnahme der Kreise Osterode und Neidenburg (17. Armeekorps) zum Bezirk des 1. Armeekorps. In den deutschen Reichstag (s. Karte »Reichstagswahlen«) entsendet O. 17, in das preußische Abgeordnetenhaus 32 Mitglieder. Den Handel unterstützen 5 Handelskammern (Braunsberg, Königsberg, Memel, Insterburg und Tilsit). Das Wappen der Provinz (s. Tafel »Preußische Provinzwappen«, Fig. 14) ist in Silber ein königlich gekrönter, goldbewehrter schwarzer Adler mit goldenen Kleestengeln, Zepter und Reichsapfel in den Fängen, auf der Brust den goldenen Namenszug F. R. Die Farben der Provinz sind Schwarz und Weiß. Von ältern Benennungen sind noch im Gebrauch: Litauen, der Regierungsbezirk Gumbinnen bis Goldap; Masuren, der südliche Teil des Regierungsbezirks Gumbinnen und der östliche des Regierungsbezirks Allenstein; Samland, die Insel zwischen Deime, Pregel, Ostsee und den beiden Hassen; Ermeland, die Kreise Braunsberg, Heilsberg, Rössel und Allenstein. Altpreußen umfaßt das ehemalige Herzogtum Preußen, also O. ohne das Ermeland, und von Westpreußen die Kreise Rosenberg und Marienwerder, soweit dieser östlich von der Weichsel liegt.

[Geschichte.] Die heutige Provinz O. ist aus dem durch den zweiten Thorner Frieden (1466) verkleinerten Ordensstaat (vgl. Deutscher Orden, S. 736, u. Preußen, Volksstamm) hervorgegangen; damals ging der bis dahin vom Orden ebenfalls beherrschte westliche Teil, Westpreußen (s. d.) mit der Marienburg, an Polen verloren, während letzteres über den Ordensstaat die Lehnshoheit errang. Der geschwächte und seiner Unabhängigkeit beraubte Ordensstaat, dessen Hauptstadt nun Königsberg war, suchte sich durch eine Reform zu kräftigen und vor allem die polnische Lehnshoheit abzuschütteln. Aber die Reform scheiterte an dem Widerspruch des Deutschmeisters, und selbst als der Orden Mitglieder deutscher Fürstenhäuser, wie 1498 den Herzog Friedrich von Sachsen und 1511 den Markgrafen Albrecht (s. d. 19) von Brandenburg-Ansbach, zu Hochmeistern wählte, um das Reich und die angesehensten Fürstenfamilien zur Hilfe gegen Polen zu veranlassen, erreichte er nichts. Beide Hochmeister wurden, als sie die Lehnshuldigung verweigerten und es auf einen Krieg mit Polen ankommen ließen, vom Reich im Stiche gelassen, und ihre eignen Hilfsmittel waren zu gering. Albrecht schloß nach fruchtlosem Kampfe 7. April 1521 zu Thorn einen Waffenstillstand mit Polen, ernannte den Bischof von Samland, Georg von Polenz, zum Statthalter und reiste 1522 nach Deutschland, um durch Vermittelung des Kaisers einen annehmbaren Frieden zu erlangen. Aber seine Bemühungen scheiterten. Auf dieser Reise hatte er 1523 eine Zusammenkunft mit Luther, der ihm den Rat erteilte, den Orden aufzuheben und Preußen in ein weltliches Herzogtum zu verwandeln. Die Reformation hatte bereits viele Anhänger, und auch der Bischof Polenz erklärte sich 1524 öffentlich dafür. Albrecht folgte Luthers Rat und huldigte dem König von Polen als weltlicher Herzog.

So kam 8. April 1525 der Friede von Krakau zustande. König Siegmund I. belehnte Albrecht 10. April in Krakau mit Preußen in den durch den zweiten Thorner Frieden festgestellten Grenzen, also dem jetzigen O., das seitdem das herzogliche Preußen genannt wurde im Gegensatz zum königlich polnischen Westpreußen, als einem weltlichen Herzogtum. Am 9. Mai zog Albrecht I. in Königsberg ein, wo er von den zahlreichen Anhängern der Reformation gern empfangen wurde. Am 25. Mai setzten königliche Bevollmächtigte den Herzog in die landesherrliche Gewalt ein, und die Bischöfe von Pomesanien und Samland sowie die Städte huldigten ihm als erblichem Fürsten, wogegen er dem Adel und den Städten landständische Rechte zuerkannte. Die wenigen Ritter, die dem Orden treu blieben, wandten sich mit dem Herzog Erich von Braunschweig nach Deutschland; die meisten blieben im Land, erhielten Lehnsgüter und heirateten. Der Herzog selbst vermählte sich 1526 mit der Prinzessin Anna Dorothea von Dänemark. Der Papst Clemens III. erklärte zwar das Verfahren des Herzogs für unrechtmäßig, der Deutsche Orden im Reich protestierte gegen die Säkularisierung des Ordensgebietes und stellte in Walter von Kronberg einen neuen Hochmeister auf, der seinen Sitz in Mergentheim aufschlug; auch der Kaiser verlangte 1530 vom Herzog die Räumung des Landes und bestätigte die 1533 vom Reichskammergericht gegen Albrecht aus gesprochene Acht. Allein dieser blieb im ungestörten Besitz des Landes, da der Kaiser die Reichsacht gegen ihn nicht zu vollstrecken vermochte.

Nichtsdestoweniger hatte der Herzog einen schweren Stand: Unruhen, Religionsstreitigkeiten und Zwiste mit den Ständen machten ihm viel zu schaffen. Der Adel suchte die fürstliche Gewalt zu schwächen, und die Stände riefen in allen Streitigkeiten die Einmischung Polens an, das gern sein Oberlehnsrecht geltend machte. Indes die Reformation hatte dauernd Bestand, und die 1544 gestiftete Universität Königsberg sicherte die Herrschaft deutschen Geisteslebens. Am 20. März 1568 starb Herzog Albrecht. Sein Sohn Albrecht Friedrich, obwohl noch minderjährig, empfing 1569 die Belehnung mit Preußen, Kurfürst Joachim II. von Brandenburg aber erlangte für sich und seine Leibeserben bei dieser Gelegenheit die Mitbelehnung. 1572 übernahm Albrecht Friedrich die Regierung, zeigte aber bald Spuren von Schwermut. Daher wurde 1577 Markgraf Georg Friedrich von Brandenburg von der fränkischen Linie zum Administrator des Herzogtums ernannt und regierte das Land unter mancherlei Zerwürfnissen mit den Ständen bis zu seinem Tode (1603). 1605 wurde Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg Administrator. Nach dessen Tode (1608) erlangte Kurfürst Johann Sigismund, der 1594 Albrecht Friedrichs ältere Tochter, Anna, geheiratet hatte, 1609 die Vormundschaft über seinen blödsinnigen Schwiegervater und wurde 1611 mit Preußen förmlich belehnt.

Doch war die Stellung des Kurfürsten bei der Unbotmäßigkeit der Stände äußerst schwierig und seine Gewalt höchst gering. Auch als nach dem Tode des blödsinnigen Herzogs Albrecht Friedrich (28. Aug. 1618) Preußen an Brandenburg fiel und mit dem brandenburgisch-preußischen Staat vereinigt wurde, besserten sich die Verhältnisse nicht. Bei jedem Regierungswechsel verlangten die Stände als Preis ihrer Huldigung weitere Beschränkungen der landesfürstlichen Gewalt, und Polen kam ihnen mit Verweigerung der Belehnung zu Hilfe, die sowohl Georg Wilhelm (1619–10) als Friedrich Wilhelm (1640 bis 1688) erst nach langen Verhandlungen durch große Geldopfer erreichten. Während des schwedisch polnischen Krieges 1655–60 hatte Preußen durch Verwüstungen seitens der Polen, Tataren und Russen schwer zu leiden. Indes brachte dieser Krieg dem Großen Kurfürsten endlich die ersehnte Befreiung von der fremden Oberlehnshoheit. Nachdem er 1656 im [231] Vertrag von Königsberg Preußen von dem siegreichen König Karl X. Gustav von Schweden zu Lehen genommen hatte, erlangte er nach der Schlacht bei Warschau im Vertrag von Labiau von diesem, 1657 im Wehlauer Vertrag auch von Polen die Anerkennung der Souveränität seines Herzogtums Preußen, die im Frieden von Oliva (1660) bestätigt wurde. Da die Stände ihm die Huldigung als souveränem Landesfürsten verweigerten, wenn er nicht ihre früher erpreßten Vorrechte anerkenne, begann er sofort den Kampf mit ihnen und zwang sie 1662 zur Unterwerfung. Die Führer der ständischen Opposition, Johannes Roth, der Schöppenmeister von Königsberg, und die beiden Kalckstein (s. d.) wurden verhaftet, einer der letztern 1672 wegen Hochverrats hingerichtet. Die brandenburgische Herrschaft ward hiermit in Preußen erst dauernd begründet, und dieses bildet fortan ein Glied des Staates Preußen (s. d.).

Als einziger souveräner Besitz der brandenburgischen Hohenzollern wurde Preußen zum Königreich erhoben, indem Kurfürst Friedrich III. sich 18. Jan. 1701 in Königsberg selbst zum König in Preußen krönte. 1709–11 raffte eine von Polen her eingeschleppte Pest 236,000 Menschen, ein Drittel der Bevölkerung, hinweg; in Litauen lagen weite Strecken wüst. Diesen Schaden machte Friedrich Wilhelms I. Fürsorge wieder gut, der durch Befreiung der Bauern, Beförderung der Einwanderung (20,000 Familien bis 1728, 1732: 17,000 Salzburger) und Wiederaufbau der zerstörten Häuser und Höfe, wofür er viele Millionen verwendete, die Provinz wieder zur Blüte brachte; 12 Städte und 332 Dörfer wurden neu angelegt oder wieder aufgebaut. Unter Friedrich d. Gr. wurde Preußen nach der Schlacht von Großjägersdorf (30. Aug. 1757) von den Russen besetzt und blieb 1758–62 in deren Besitz. 1772 wurde durch die erste polnische Teilung Westpreußen (s. d.) wiedergewonnen und mit dem Königreich Preußen, seitdem meist O. genannt, wenigstens unter Einem Zepter vereinigt. Administrativ blieben beide Preußen geschieden. O. zerfiel in das deutsche Kammerdepartement mit acht und das litauische mit drei Kreisen. Bei der Neuorganisation des Staates in Provinzen 1808 wurde aus Ost- und Westpreußen je eine Provinz gebildet. Die Erhebung des preußischen Volkes 1813 ging von O. aus; die ostpreußischen Stände gingen mit der Organisation der Landwehr voran, die sich auf dem Schlachtfeld den größten Ruhm erwarb. 1824–77 bildeten Ost- und Westpreußen eine Provinz.

Literatur. Vgl. »Handbuch für die Provinz O.« (Behörden etc., Königsb. 1891); »Gemeindelexikon der Provinz O.« (vom königlichen Statistischen Amt, Berl. 1898); Wiedemann, Die kommunale Verfassung und Verwaltung der Provinz O. (das. 1881); »Handbuch des Grundbesitzes im Deutschen Reich«, 3. Lief.: Ostpreußen (4. Aufl., das. 1903); Kühne, Ortsverzeichnis der Provinz O. (Königsb. 1893); Bötticher, Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz O. (das. 1892–99); Lemke, Volkstümliches in O. (Mohrungen 1884–86, 2 Bde.); Horn, Kulturbilder aus Altpreußen (Leipz. 1886), und folgende Schriften von Frischbier: Preußische Sprüchwörter und volkstümliche Redensarten (2. Aufl., Berl. 1865; 2. Sammlung 1876), Volksreime und Volksspiele (das. 1867), Volkslieder in plattdeutscher Mundart (Königsb. 1877) und in hochdeutscher Sprache (Leipz. 1893), Preußisches Wörterbuch (Berl. 1882–83); Ambrassat, Die Provinz O. (Königsb. 1896); das Sammelwerk »O., Land und Volk« (Stuttg. 1901–1902, 16 Tle.); Jentzsch, Höhenschichtenkarte der Provinz O., 1: 300,000 (Königsb. 1892).

Zur Geschichte: Baczko, Geschichte Preußens (Königsberg 1793–1800, 6 Bde.); Voigt, Geschichte Preußens von der ältesten Zeit bis zum Untergang der Herrschaft des Deutschen Ordens (das. 1827–38, 9 Bde.); Lohmeyer, Geschichte von Ost- und Westpreußen (1. Abt., 2. Aufl., Gotha 1881); Pierson, Elektron, oder über die Vorfahren etc. der alten Preußen (Berl. 1869); Ewald, Die Eroberung Preußens durch die Deutschen (Halle 1872–86, 4 Bde.); Perlbach, Preußische Regesten bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts (das. 1875–76); Voigt, Codex diplomaticus prussicus (das. 1836–61, 6 Bde.); »Scriptores rerum prussicarum« (hrsg. von Hirsch, Töppen, Strehlke, Leipz. 1861–74, 5 Bde.); »Akten der Ständetage Preußens« (hrsg. von Töppen, das. 1884–86, 5 Bde.); Tschackert, Urkundenbuch zur Reformationsgeschichte des Herzogtums Preußen (das. 1890, 3 Bde.); Ehrenberg, Die Kunst am Hofe der Herzöge von Preußen (das. 1899); Schumacher, Niederländische Ansiedelungen im Herzogtum Preußen 1525–1568 (das. 1903); Horn, Die Verwaltung Ostpreußens seit der Säkularisation (Königsb. 1890); Brünneck, Zur Geschichte des Grundeigentums in Ost- und Westpreußen (Berl. 1891–96).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 229-232.
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