[555] Guyau (spr. gijo), Jean Marie, franz. Philosoph, geb. 28. Okt. 1854 in Laval, gest. 31. März 1888 in Mentone, war der Sohn der unter dem Pseudonym G. Bruno auf pädagogischem Gebiete mit großem Erfolg schriftstellernden Dame, die sich in zweiter Ehe mit Alfr. Fouillée (s. d.) vermählte. Schon mit 19 Jahren erhielt er einen Preis von der Akademie für sein »Mémoire sur la Morale utilitaire, depuis Épicure jusqu'à l'école anglaise«. Einen Kursus der Philosophie am Lycee Condorcet, mit dem er beauftragt worden war, mußte er wegen seiner leidenden Gesundheit bald aufgeben. Er lebte dann meist in Pau, Biarritz, Nizza und Mentone. G. schrieb: »La morale d'Épicure et ses rapports avec les doctrines contemporaines« (Par. 1878, 3. Aufl. 1886); »La morale anglaise contemporaine« (1879, 3. Aufl. 1886); »Vers d'un philosophe« (1881); »Les problèmes de l'esthétique« (1884); »Esquisse d'une morale sans obligations ni sanctions« (1885, 2. Aufl. 1890); »L'irréligion de l'avenir« (1886, 4. Aufl. 1890); »L'art an point de vue sociologique« (1889); »Education et hérédité« (1889, 2. Aufl. 1892); »La genèse de l'idée de temps« (1890). Wie Fouillée in seiner spätern Zeit, dem er in der Philosophie am meisten folgte, huldigte auch G. einem modifizierten Evolutionismus, indem er namentlich die soziologische Idee neben der Kunst und dem Leben, als dem Zusammenhang der vergangenen und der zukünftigen Zeiten, in sein Denken hereinflocht. Die Evolution ist ihm das gesamte Leben selbst, dessen Grundgesetz darin besteht, daß, wer am intensivsten für sich lebt, auch am extensivsten für andre lebt. Die Moral Guyaus kennt keine Verpflichtung und keine Billigung, sie bezweckt als bloße Wissenschaft nur, das Leben zu erhalten und zu vermehren. Nicht Pflicht ist der Zusammenhang der Menschen untereinander, sondern Tatsache. In der Religion zeigt sich die Solidarität des Menschen nicht nur mit andern Menschen, sondern mit dem ganzen Kosmos. Sie ist ein allgemeiner Soziomorphismus. Doch muß Religion ebenso wie Moral jedem Menschen individuell sein im Verhältnis zur intensiven Auswirkung seines Lebens. Auch in der Kunst waltet das soziologische Moment vor, da der Grund des ästhetischen Wohlgefallens darin besteht, sich mit den einzelnen Dingen und mit dem Universum verbunden zu fühlen. Vgl. Fouillée, La morale, l'art et la religion d'après G. (3. Aufl., Par. 1897); Dauriac, L'esthétique de G. (in »Année philosophique«, Bd. 1, 1891); Carlebach, Guyaus metaphysische Anschauungen (Würzb. 1896); Willenbücher, Guyaus Prinzip des Schönen und der Kunst (Erlang. 1899) und Guyaus soziologische Ästhetik (1. Teil, Mainz 1900).