Hydromedūsen

[696] Hydromedūsen (Hydrozoen, Hydromedusae, Hydrozoa; hierzu Tafel »Hydromedusen: Röhrenquallen«, mit Erklärungsblatt), Abteilung der Cölenteraten (s. d.), Polypen oder Polypenstöcke (Kolonien) mit zahlreichen Individuen, von denen die einen die Ernährung, andre die Fortpflanzung besorgen.

Fig. 1. Zweig eines Stockes von Obelia gelatinosa. Vergr. a Mund, b horniges Gehäuse, c junge Medusen.
Fig. 1. Zweig eines Stockes von Obelia gelatinosa. Vergr. a Mund, b horniges Gehäuse, c junge Medusen.

Letztere können sich als Medusen oder (Hydroid-) Quallen loslösen und zeigen eine andre Form als die Polypen; aus ihren Eiern gehen jedoch Larven hervor, die sich wieder zur Polypenform entwickeln (s. die Tafel »Entwickelungsgeschichte II«, Fig. 5 u. 9), die dann durch Knospung wieder Polypen u. Medusen erzeugt. Dieser Generationswechsel fehlt bei manchen H., und so kann aus den Eiern direkt wieder die Medusenform entstehen (Fig. 2), oder aber der Polyp selbst bringt Eier hervor, aus denen sich unmittelbar wieder ein Polyp entwickelt (s. unten).

Fig. 2. Freischwimmende, aber noch unreife Meduse der Obelia, von unten. Vergr. a Hörbläschen, b der beiseite geklappte Magen, c Schirm.
Fig. 2. Freischwimmende, aber noch unreife Meduse der Obelia, von unten. Vergr. a Hörbläschen, b der beiseite geklappte Magen, c Schirm.

Aus dem Ei entsteht eine freischwimmende bewimperte (Planula-) Larve, s. Tafel »Entwickelungsgeschichte II«, Fig. 5, die sich festsetzt und, indem sie Mund und Tentakeln erhält, zum Polypen wird, der sich als Hydroidpolyp von den Korallenpolypen besonders durch den Mangel des Schlundrohrs und der Septen unterscheidet. Durch Knospung bildet er den Polypenstock (Fig. 1), der gewöhnlich eine festere röhrenförmige Hülle, die sich in der Umgebung der Einzeltiere kelchartig erweitern kann (Hydrotheca), selten ein Kalkskelett (Hydrokorallen) besitzt. Die von dem (Freß-) Polypen aufgenommene Nahrung kommt dem ganzen Stock zugute, der einen allen Individuen gemeinsamen Hohlraum hat.

Fig. 3. Eine Siphonophore (Physophora hydrostatica).
Fig. 3. Eine Siphonophore (Physophora hydrostatica).

Die ebenfalls durch Knospung am Stock entstandenen sogen. kraspedoten Medusen (Fig. 1) erscheinen in ihrer glockenförmigen, mit muskulösem Randsaum (Velum), Randtentakeln, Mundstiel etc. versehenen Gestalt sehr verschiedenartig von den Polypen, lassen sich jedoch auf sie zurückführen und vielleicht durch ihre Ablösung vom Stock und die Annahme einer freischwimmenden Lebensweise erklären. Die Medusen können am Stock sitzen bleiben und hier im mehr oder weniger rückgebildeten Zustand als Geschlechtsknospen, Gonophoren oder Gonoblastidien Eier und Spermatozoen erzeugen. Sie können von einer Gonotheca umschlossen sein; auch wird wohl ein ganzer Zweig des Stockes als sog. Blastostyl zur Bildung von Geschlechtsknospen in eine besondere Kapsel, das Gonangium, eingeschlossen. Bei Hydra, neben der tentakellosen Protohydra dem einfachsten Vertreter der H., entstehen die Geschlechtsorgane direkt am Polypen. Einige Formen erreichen eine bedeutende Größe, so der in einer Tiefe von 2900 Faden lebende Monocaulus imperator.

Man kann die H. in Hydroiden und Siphonophoren einteilen. 1) Die Hydroiden können in der Polypenform als Einzeltiere auftreten, so Hydra, der Süßwasserpolyp Protohydra (Hydrarien). Die stockbildenden Formen unterscheidet man als Leptomedusen, die sich durch ihre zierlichen Kelche (Campanularidae) und ihre Encopidae genannten Medusen auszeichnen, sodann als Anthomedusen (Tubularia) ohne Kelchhülle der Polypen und endlich als Hydrokorallien (Milleporidae, Stylasteridae), deren Stockhülle verkalken kann, so daß sie ein korallenähnliches Aussehen zeigen. Alle drei Abteilungen können freischwimmende kraspedote Medusen (Fig. 2) hervorbringen, wenn diese nicht zu festsitzenden Geschlechtsknospen geworden sind (s. oben). Hierzu kommt endlich noch die Gruppe der Trachymedusen, die keine Polypen mehr hervorbringen, sondern nur als Medusen auftreten. Fossil kommen Hydrokorallen und auch Medusen vor; außerdem gehören hierher vielleicht die Graptolithen (s. d.). Vgl. Gegenbaur, Zur Lehre vom Generationswechsel der Medusen und Polypen (Würzburg 1854); Hincks, History of the British hydroid Zoophytes (Lond. 1868); Allman, Monograph of the gymnoblastic or tubularian Hydroids (das. 1871–72) und Report on the Hydroida etc. (das. 1883–88); Haeckel, Monographie der Medusen (Jena 1879 -S0); Weismann, Die Entstehung der Sexualzellen bei H. (das. 1883, mit Atlas).

2) Die Siphonophoren, Schwimmpolypen, Blasen- oder Röhrenquallen (Fig. 3) sind freischwimmende Stöcke, ausgezeichnet durch die Vielgestaltigkeit der Einzeltiere, die als Freßpolypen, Geschlechtstiere, Schwimmglocken auftreten, bei der weitgehenden Differenzierung der Kolonie fast wie Organe eines Individuums erscheinen (s. Polymorphismus). Der Stamm der Siphonophoren ist unverästelt und zeigt an seinem obern, flaschenförmig ausgetriebenen Ende einen Luftsack, den Pneumatophor (d), der[696] als Schwimmapparat dient und durch eine endständige Öffnung die Luft austreten lassen kann. Die mit Nährflüssigkeit erfüllte Höhlung des Stammes geht in diejenige seiner Anhänge über, d. h. in die schlauchförmigen, mit Mund versehenen Nährpolypen (a), die mit einem langen kontraktilen u. Seitenzweige mit Nesselorganen (t) tragenden Fangfäden (e) bewaffnet sind, sowie in die medusenähnlichen Geschlechtstiere, die sog. Geschlechtsknospen (b). Letztere sitzen einzeln oder in Trauben am Stamm oder an der Basis verschiedener Anhänge; männliche und weibliche Knospen sind meist an demselben Stock vereinigt, werden aber nur selten als wirkliche kleine Medusen frei und bringen dann die Geschlechtsstoffe hervor. Neben diesen Anhängen gibt es auch noch mundlose Taster (g) mit Fangfäden, blattförmige, knorpelig harte Deckschuppen, die zum Schutz der Freßpolypen, Geschlechtsknospen und Taster dienen, und dicht unter dem Luftsack medusenähnliche Schwimmglocken (c), die zur Ortsbewegung des Stockes dienen. Die Siphonophoren sind ausschließlich Seetiere und kommen oft in großen Scharen an die Oberfläche. Einige von ihnen zeigen Leuchtvermögen; z. T. leben sie in größerer Tiefe. Aus den Eiern entwickeln sich einfache Larven, die den ersten Freßpolypen darstellen und aus ihrer Wandung heraus die erste Schwimmglocke und den Anfangsteil des Stammes hervorsprossen lassen (s. Tafel »Entwickelungsgeschichte II«, Fig. 12), worauf allmählich der ganze Siphonophorenstock entsteht, der die Länge von 1 m erlangen kann; die Fangfäden können einige Meter weit ausgestreckt werden. Man unterscheidet: a) Blasenträger (Blasenquallen, Physophoridae, Fig. 3), mit kurzem, sackförmigem oder langgestrecktem, spiraligem Stamm, flaschenförmigem Luftsack, häufig mit Schwimmglocken und meist mit Deckstücken und Tastern, die mit den Polypen und Geschlechtsknospen in gesetzmäßiger Anordnung wechseln. b) Aurophoridae, mit großem Luftsack, der seitlich eine Öffnung hat, und mit einem Kranz von Schwimmglocken; leben in der Tiefsee. c) Pneumatophoridae, deren Stamm zu einer geräumigen Blase mit Öffnung an der Spitze erweitert ist, ohne Schwimmglocken und Deckstücke; wegen ihres starken Nesselns ist besonders die große Physalia gefürchtet. d) Calycophoridae, ohne Luftsack und Taster und mit einer, zwei oder vielen reihenweise angeordneten Schwimmglocken; die Anhänge entspringen gruppenweise in gleichmäßigen Abständen und können in einen Raum der Schwimmglocken zurückgezogen werden. e) Discoideae, Stamm zu einer flachen Scheibe zusammengedrückt; darüber der in Kammern geteilte Luftsack, der bei einigen Arten wie ein dreieckiges Segel aus dem Wasser hervorragt; die Polypen sitzen an der Unterseite der Scheibe, Schwimmglocken und Deckstücke fehlen. Weiteres s. auf der bei folgenden Tafel nebst Erklärungsblatt. Vgl. Kölliker, Die Schwimmpolypen von Messina (Leipz. 1853); Vogt, Recherches sur les animaux inférieurs, Bd. 1 (Genf 1854); Huxley, The oceanic Hydrozoa (Lond. 1859); Haeckel, Zur Entwickelungsgeschichte der Siphonophoren (Utrecht 1869) u. Report on the Siphonophorae etc. (Challenger-Expedition, Lond. 1888); Metschnikow, Embryologische Studien an Medusen (Wien 1886); Chun, Die kanarischen Siphonophoren (Frankf. 1891–92, 2 Tle.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 696-697.
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